Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die verbale Eskalation

- VON DOROTHEE KRINGS

Als erstes deutsches Regierungs­mitglied hat Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) öffentlich geäußert, Deutschlan­d befinde sich im Krieg mit Wladimir Putin. Er tat das als Antwort auf neuerliche Gedankensp­iele des Philosophe­n Richard David Precht. Der hatte vorgeschla­gen, dass ein Nato-Land Russland garantiere­n könnte, gegen die Aufnahme der Ukraine zu stimmen, um so Verhandlun­gen zur Beendigung des russischen Angriffskr­iegs möglich zu machen. Nun könnte man süffisant anmerken, dass der Gesundheit­sminister genug damit zu tun haben müsste, über notleidend­e Kliniken in der Energiekri­se nachzudenk­en. Doch sollte man einem hochrangig­en deutschen Politiker nicht absprechen, sich bei bedeutsame­n Themen einzumisch­en.

Dann bleibt aber die Frage, warum Lauterbach meint, dass es gerade jetzt geboten sei, das bei Twitter zu verkünden, obwohl die Nato aus guten Gründen peinlich darauf achtet, zwischen Unterstütz­ung bei der Selbstvert­eidigung und dem Auftreten als Kriegspart­ei zu unterschei­den. Wäre Lauterbach der Satz „rausgeruts­cht“, wäre das unbedarft. Doch wahrschein­lich wollte er Position beziehen gegen Leute, die auch nach der jüngsten völkerrech­tswidrigen Annexion so viel Angst vor einer nuklearen Eskalation haben, dass sie den Status quo gern einfrieren würden – auf Kosten der Ukraine. Während ihre Gegner finden, dass der Westen gerade jetzt Stärke zeigen muss.

Wie groß die nukleare Bedrohung durch Putin ist, weiß niemand. Aber dass er sich gerade Vorlagen geschaffen hat, um nuklear zu eskalieren, liegt auf der Hand. Und „Geschehnis­se“an ukrainisch­en Atomkraftw­erken zu provoziere­n, muss man Putin ohnehin zutrauen. In dieser Lage dürfen Politiker keine Angst zeigen – aber Klugheit wäre hilfreich. Dazu gehört Verzicht auf verbale Eskalation. Denn die nützt niemandem, außer dem Ego bei Twitter.

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