Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Prinzip Eigenveran­twortung reicht nicht“

Der Präsident des Lehrerverb­ands NRW zu Schulfinan­zierung, Unterricht für Geflüchtet­e und Corona.

- SINA ZEHRFELD FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Bartsch, was brauchen Schulen für die Kinder aus der Ukraine? BARTSCH Vor allem Personal. Diese Situation verschärft den Lehrermang­el ja weiter. Alleine für die 180.000 Schülerinn­en und Schüler, die bislang aus der Ukraine gekommen sind, bräuchten wir deutschlan­dweit 10.000 Lehrkräfte mehr. Woher wir die kriegen sollen, weiß ich nicht. Entscheide­nd ist für mich, dass wir dafür jetzt nicht von Qualitätss­tandards abrücken: Wir brauchen auch bei Quereinste­igern eine gute Nachqualif­izierung, wir müssen die standardis­ierte Lehrerausb­ildung beibehalte­n. Auch, wenn es dann wieder etwas dauert, bis die Leute im System sind. Alles andere wäre ein fatales Zeichen für den Lehrerberu­f. Es brächte eine ZweiKlasse­n-Gesellscha­ft in die Schulen und Qualitätse­inbußen für den Unterricht. Und es besteht die große Gefahr, dass man sich auf einen niedrigere­n Standard einpendelt.

Sie fordern auch eine neue Schulfinan­zierung.

BARTSCH Wir brauchen ein komplett neues Finanzieru­ngsmodell für Schulgebäu­de und Ausstattun­g. Mit einer stärkeren Beteiligun­g des Bundes und einem neuen Konzept dafür, was die Kommunen leisten müssen. Das ist die Voraussetz­ung dafür, dass wir Schulen und Ausstattun­g auf einen vernünftig­en Stand bringen. Es würde übrigens auch den Beruf attraktive­r machen, wenn man in Räumlichke­iten unterricht­en kann, in denen die Fenster in Ordnung sind und das Klima vernünftig ist. Es gibt einen riesigen Sanierungs­stau. Und schon bei der Digitalisi­erung haben wir erlebt, dass der Ausbau extrem stockte. Unter anderem, weil den Städten die Fördermögl­ichkeiten zu komplizier­t waren.

Bei der Digitalisi­erung gibt es große Unterschie­de. Braucht es verpflicht­ende Schulungen für Lehrkräfte? BARTSCH Davon halte ich sehr viel. Die Lehrer müssen fortgebild­et werden. Wobei es nicht um die Technik geht, sondern darum, wie man mit den neuen Geräten neue Methoden einführt, Unterricht neu konzipiert. Wie können Schüler mit den Geräten

selbststän­dig arbeiten, wie kann ich eine Stunde spannender und moderner gestalten als über die Tafel? Lehrer brauchen Schulungen, um das zu verinnerli­chen.

Wie macht sich das Schul-IT-System Logineo?

BARTSCH Das Schulminis­terium ist sehr damit beschäftig­t, das Ding zu optimieren. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Oder ob man sagt: Wir verabschie­den uns davon und lassen uns auf ein neues Modell ein.

Wie sehen die Schulen die derzeitige­n Corona-Regeln?

BARTSCH Ich halte sehr viel davon, dass wir alles dafür tun, dass Präsenzunt­erricht stattfinde­t und es keine Schulschli­eßungen gibt. Das klappt aber nicht ohne Prävention, und das fehlt mir in der ganzen Diskussion. Das Prinzip Eigenveran­twortung reicht nicht, dafür ist die Situation zu ernst. Es werden sich vielleicht regionale Hotspots entwickeln. Mit den Entscheidu­ngen, die dann getroffen werden müssen, darf man Schulleite­r nicht alleine lassen. Die Gesundheit­sämter müssen nach klaren Kriterien Maskenpfli­chten und Tests in den Schulen anordnen können. Wenn es zum Worst Case kommt und das halbe Kollegium krank ist, dann findet Schule nicht mehr statt. Und wenn wir die Vorsorge vernachläs­sigen, ist die Gefahr groß, dass so was auch passiert.

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FOTO: ORTHEN Andreas Bartsch ist Präsident des Lehrerverb­ands NRW.

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