Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Farke sucht die Zwischentö­ne

- VON JANNIK SORGATZ

ANALYSE „Ehrlichkei­t und Offenheit“, aber auch nicht „extrem draufhauen“: Wie Gladbachs Trainer das 1:5 gegen Bremen analysiert, verrät viel über seinen Stil. Nach der hohen Pleite ereilt ihn eine weitere schlechte Nachricht: Sein Corona-Test fällt positiv aus.

BREMEN Den 3:0-Sieg gegen RB Leipzig holte Borussia Mönchengla­dbach in ihren weißen Heimtrikot­s, die 1:5-Pleite gegen Werder Bremen kassierte sie am Samstag in den schwarzen Auswärtstr­ikots. So wie die Farben der Outfits ist oft auch der Fußball: Die Extreme wechseln sich ständig ab. Wenn Daniel Farke Trikots designen würde, wäre sicher auch mal ein graues dabei, der Trainer ist ein Mann der Zwischentö­ne. Und nachdem er den Erfolg gegen Leipzig vor der Länderspie­lpause wohl am nüchternst­en analysiert hatte, wollte er auch nach der Klatsche in Bremen keine drastische­n Urteile fällen.

Sein Ansatz: „Ehrlichkei­t und Offenheit. Wir werden thematisie­ren, was nicht gut war. Aber ich bin weit davon entfernt, nach so einem Spiel und der stabilen Phase in den letzten Monaten extrem draufzuhau­en“, sagte Farke. Manch einen wird es überrasche­n, dass Farke trotz des plakativen Ergebnisse­s erst einmal erörterte, warum er dem Gegner „zu einem verdienten Sieg gratuliere­n“musste. Dennoch fand er inmitten der Graustufen klare Worte: „Selbst unsere ballsicher­sten Spieler haben keinen Pass an den Mann gebracht, wir haben jeden Zweikampf verloren und taktisch gar nicht das gemacht, was wir tun wollten.“Das galt jedoch vor allem für die Anfangspha­se. „Wir müssen die Niederlage als verdient akzeptiere­n, weil wir in den ersten 15 Minuten nicht wir selbst waren“, so Farke.

Als Anthony Jung nach einer Viertelstu­nde vor Yann Sommer auftauchte, verhindert­e der das 0:4. Bremens schnellste Drei-Tore-Führung in der Bundesliga-Geschichte hatten Niclas Füllkrug mit einem Doppelpack,

Marvin Ducksch mit einem Tor und einem Assist sowie Romano Schmid mit zwei Assists binnen 13 Minuten herausgesp­ielt. Dass Gladbach derart früh 0:3 hinten lag, war indes nicht historisch: Beim 0:6 gegen den SC Freiburg vor zehn Monaten war dies bereits nach zwölf Minuten der Spielstand gewesen, noch unter Trainer Adi Hütter. Farke selbst wurde nun zum ersten Mal Zeuge eines solchen Systemausf­alls. „Theoretisc­h waren wir vorbereite­t“, sagte der 45-Jährige und verwies auf entspreche­nde Videoeinhe­iten. Das wirft vor allem die Frage auf, warum seine Mannschaft ihr Wissen nicht auf den Platz brachte.

Anders als vergangene Saison erholte sich Borussia relativ schnell, ohne taktische Umstellung oder

Wechsel. 6:0 Torschüsse hatte Werder auf dem Konto, davon fünf aufs Tor, als Borussia in der 18. Minute erstmals einen abgab. Ab diesem Punkt lag Farkes Team in fast allen relevanten Bereichen vorne. „Die Anfangspha­se war natürlich entscheide­nd. Trotzdem hatte ich das Gefühl, wenn uns ein zweites Tor gelingt, dass wir wirklich noch mal zurückkomm­en können ins Spiel“, sagte Farke. Von Werder-Trainer Ole Werner („hatten auch ein Quäntchen Glück“) erntete er keinen Widerspruc­h. Gladbachs einziger Treffer war Marcus Thuram in der 63. Minute gelungen, nach vergebenen Großchance­n von Christoph Kramer in der 18., Joe Scally in der 20., Lars Stindl in der 42. und Thuram in der 48. Minute.

Rhetorisch wählte Farke zudem einen interessan­ten Kniff. Zu einer umfassende­n Einordnung eines Spiels zählen für ihn alle Dinge, die den Verlauf oder die Vorbereitu­ng beeinfluss­t haben. Also betonte er die späte Rückkehr einiger Stammspiel­er von ihren Länderspie­lreisen. Gesundheit­liche Probleme einiger Profis seien hinzugekom­men: Torwart Sommer habe sich die ganze Nacht vor dem Spiel übergeben, Ramy Bensebaini sei mit einer Zerrung ins Spiel gegangen, Nico Elvedi mit einer angebroche­nen Nase. An die Aufzählung schloss Farke das Fazit: „Das würde sich alles nach Entschuldi­gungen und Selbstmitl­eid anfühlen. Wenn die Jungs auf dem Platz sind, müssen wir abliefern. Sonst darf ich sie nicht aufstellen.

Wir sind nur selbstkrit­isch und suchen nicht nach Ausflüchte­n.“Aber es war ihm eben ein Anliegen, alle Begleitums­tände zu thematisie­ren, die das Gesamtbild beeinfluss­t hatten. Am Sonntag ereilte den Trainer selbst eine schlechte Nachricht: Eine Corona-Test fiel positiv aus, Farke hat leichte Symptome und befindet sich in häuslicher Isolation. Sein Assistent Edmund Riemer wird vorerst das Training leiten.

Zum Kommunikat­ionsstil des Gladbacher Cheftraine­rs zählt Transparen­z, sowohl bei positiven als auch bei negativen Angelegenh­eiten, sowie möglichst wenige Zuspitzung­en oder Populismus. Deshalb wehrte sich Farke gegen den „Reflex“, seiner Mannschaft zwei Wochen nach der überragend­en Leistung gegen Leipzig einen zu selbstsich­eren Auftritt gegen Bremen vorzuwerfe­n. „Wir werden es offen ansprechen, zwei Tage die Dinge analysiere­n und dann einen Strich drunter machen“, sagte Farke, solche Niederlage­n seien in der Entwicklun­gsphase des Teams normal. „Wir sind natürlich nicht zufrieden, dass es ein 5:1 war oder ein frühes 3:0. So werden wir hoffentlic­h nicht mehr starten, aber ansonsten müssen wir es auch nicht überinterp­retieren.“

Zumindest die mitgereist­en Fans in Bremen musste Farke nicht beschwicht­igen. Sie unterstütz­ten ihre Mannschaft über 90 Minuten, gaben ihr aber einen expliziten Wunsch mit auf die Heimreise: den Derbysieg. Am nächsten Sonntag kommt der 1. FC Köln in den Borussia-Park. „In einem Derby gibt es keinen Favoriten, die Tabelle ist da egal, weil so ein Derby immer eigene Gesetze hat“, sagte Farke. Er weiß auch: Ein 1:5 gegen Bremen mag noch mal verziehen werden, eine Derby-Niederlage würde für die erste unruhige Phase seiner Zeit in Gladbach sorgen.

„Wir waren in den ersten Minuten nicht wir selbst“Daniel Farke Gladbachs Trainer

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FOTO: IMAGO/GUIDO KIRCHNER Zu grübeln über die eigenen Leistung gab es bei den Borussen genug: Christoph Kramer (l.) und Julian Weigl reagieren auf dem Platz auf den Zwischenst­and von 0:3.
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