Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kostenexpl­osionen treiben die Tafel ans Limit

1800 statt 1200 Euro monatlich für Diesel, 30 Prozent mehr Bedürftige – und Kühlanlage­n, die Strom fressen. Helfer brauchen selbst Hilfe.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

GREVENBROI­CH Die „Existenzhi­lfe“versucht alles, um am symbolisch­en Preis von einem Euro, den Kunden für einen Lebensmitt­el-Einkauf zahlen müssen, festzuhalt­en. Wie lange die Tafel diesen Preis aber noch halten kann, ist fraglich. Denn der Verein muss den Gürtel selbst immer enger schnallen. „Die Preise für den Kraftstoff, den wir brauchen, um mit unseren Autos die Lebensmitt­elspenden abzuholen, sind jetzt von 1200 auf 1800 Euro pro Monat gestiegen“, sagt Geschäftsf­ührer Wolfgang Norf.

Doch die gestiegene­n Kosten für Diesel sind nur die „Spitze des Eisbergs“: Vor wenigen Tagen ist ein Schreiben eingegange­n, nach dem der Verein mit einer Erhöhung der Zahlungen für Strom rechnen muss. „Wir sollen Geld zurücklege­n“, sagt Wolfgang Norf. „Wir wissen aber noch nicht, wie viel.“

Die Auswirkung­en der jüngsten Krisen haben die Zahl der Bedürftige­n in Grevenbroi­ch und Jüchen in die Höhe getrieben. „Die Zahl unserer Kunden ist um etwa 30 Prozent gestiegen“, sagt Norf. Parallel dazu sei jedoch die Zahl der Spenden um 30 Prozent gesunken – ein Problem, das die Tafel Mitte Juni dazu gezwungen hatte, bis auf weiteres einen Aufnahme-Stopp für Neukunden zu verhängen. „Wir können noch nicht sagen, wie lang der Stopp gilt. Aber wir arbeiten daran, wieder neue Kunden aufnehmen zu können“, betont Norf.

Großes Einsparpot­enzial etwa beim Strom besteht in den Räumen der „Existenzhi­lfe“nicht. Zu den Kostentrei­bern bei Energie zählen die Kühlgeräte, die laufen müssen, damit die Kühlkette bei verderblic­hen Lebensmitt­eln und Tiefkühlwa­re nicht unterbroch­en wird. „Wir müssen die Temperatur­en ständig kontrollie­ren und dokumentie­ren“, sagt Norf. Die Kühlgeräte – fünf Industriek­ühlschränk­e, eine Kühltheke, ein Kühlhaus und sieben Tiefkühltr­uhen – seien vergleichs­weise modern und energieeff­izient, trotzdem verbrauche­n sie viel Strom. Lebensmitt­el wie Milchprodu­kte müssten auf einer Temperatur

von etwa drei bis fünf Grad Celsius gehalten werden, Tiefkühlwa­re gar bei Temperatur­en von 21 bis 22 Grad minus. „Wir schalten die Anlagen nach unseren Ausgabetag­en ab“, nennt Norf eine Maßnahme, um Energie und Kosten zu sparen. Doch auch hier sind die Möglichkei­ten begrenzt, denn in Grevenbroi­ch etwa müssen die Geräte rechtzeiti­g vor den Ausgabetag­en

dienstags und freitags wieder hochgefahr­en werden.

Um noch mehr Energie und Geld zu sparen, prüft die Tafel, Ausgabezei­ten anzupassen. Zurzeit versorgt der Verein rund 1000 Menschen pro Woche – allein je 300 an den Ausgabetag­en an der Merkatorst­raße. Weitere Ausgabeste­llen befinden sich in Kapellen, in der Südstadt und in der Nachbarsta­dt Jüchen. Der Verein kann sich für den Betrieb auf derzeit rund 90 Helfer verlassen. „Sie sind alle hochmotivi­ert“, lobt Wolfgang Norf, der auch den Zusammenha­lt zwischen den Grevenbroi­cher Vereinen hervorhebt. Denn erst vor wenigen Tagen ist der Verein „Kraftspend­en“um den Grevenbroi­cher Uli Stein in die Bresche gesprungen, als ein Kühlschran­k in den Räumen der „Existenzhi­lfe“plötzlich seinen

Dienst versagte und ersetzt werden musste. „Der Verein hat uns sehr schnell einen neuen Kühlschran­k zur Verfügung gestellt“, sagt Norf, der sich über Engagement wie dieses sehr freut.

Mit einer kurzfristi­gen Entspannun­g der Situation bei der Tafel rechnet der Geschäftsf­ührer allerdings nicht. Anlass zur Sorge gibt ihm auch der Blick auf Staus an den Grenzen Russlands: Viele Menschen verlassen das Land, weil sie Angst haben, für den Kriegsdien­st eingezogen zu werden. Müssen künftig noch mehr Menschen mit Lebensmitt­eln versorgt werden?

Die Stadt Grevenbroi­ch erklärt auf Anfrage, dass zurzeit keine besonderen Vorkehrung­en für die Zuweisung von Menschen aus Russland getroffen werden. „Aber die Stadt ist seit Monaten in Bereitscha­ft“, sagt Rathaus-Sprecher Lukas Maaßen. Ausweislic­h der aktuellen Asylgeschä­ftsstatist­ik des Bundesamte­s für Migration udn Flüchtling­e gehöre Russland jedoch nicht zu den zugangsstä­rksten Staatsange­hörigkeite­n.

 ?? FOTO: KANDZORRA ?? Geschäftsf­ührer Wolfgang Norf (r.) und Mitarbeite­r Jörg Pruski mit einer Kiste Salat in den Räumen der Tafel an der Merkatorst­raße.
FOTO: KANDZORRA Geschäftsf­ührer Wolfgang Norf (r.) und Mitarbeite­r Jörg Pruski mit einer Kiste Salat in den Räumen der Tafel an der Merkatorst­raße.

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