Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Kolumba als Kathedrale der Kunst

Das Museum ist ein Resonanzra­um inmitten des großstädti­schen Kölner Gewusels. In der Jahresauss­tellung geht es um das Thema „Ort und Subjekt“.

- VON ANNETTE BOSETTI

KÖLN Je größer die Gefahr durch Krisen und Kriege, desto wichtiger ist ein Museum wie das Kölner Kolumba für die Menschen. Das behauptet selbstbewu­sst Stefan Kraus, der als Direktor seit 15 Jahren das vielleicht schönste, stillste, poetischst­e und doch hochkomple­xe Museum in der Altstadt jährlich unter ein neues Thema stellt.

Die von Stararchit­ekt Peter Zumthor gestaltete­n Räume mit natürliche­m Licht, unliebsame­n Schwellen, steilen Treppen, fehlender Beschilder­ung und riesigen Fensteraus­schnitten zwingen den Besucher zu einer disziplini­erten Begehung. Übervölker­ung ist verboten. Ein Blockbuste­r undenkbar. Kolumba ist eine Kathedrale der Kunst. Sie ist als Resonanzra­um konzipiert, in dem ein Mensch den Alltag aussperren kann und sich auf abseitige Dinge einlässt. Im besten Fall werden Sorgen durch Ab- und Vergleiche verarbeite­t oder mit Fantasie auf Reisen geschickt. Mit den Themen der vergangene­n Jahre ist die Fortschrei­bung

eines Romans gelungen, an den sich bis September 2023 das Kapitel über „Ort & Subjekt“anfügt.

Noch nie waren so viele Menschen unterwegs auf der Welt wie heute. Kraus spricht von einem „Menschheit­sdrama“, das aktuelle Fragen nach Verortung aufwirft, nach Sehnsuchts-,

Traum- und Heimatorte­n, auch nach zerstörten und verlorenen Orten, die später einmal überschrie­ben werden können. Kolumba selbst liefert den Ausgangspu­nkt solcher Fragen, indem es seine 2000-jährige Geschichte und mehrfache Überschrei­bungen – etwa von Kirchenrui­nen und Friedhof zu Museum und Garten – sichtbar macht.

Das Erzbistum Köln als Träger hat nicht nur den Museumsneu­bau finanziert, sondern zudem eine – was die Moderne angeht: durchaus mutige – Sammlung erworben, die sich zwischen Barock und Gegenwart erstreckt mit Spitzenwer­ken, die fast immer ausgestell­t sind. Wie Stefan Lochners Veilchenma­donna aus dem Jahre 1451. Das Gemälde auf Eichenholz hält in Raum 19 das Totengeden­ken lebendig.

Kuratorisc­h geht man in diesem Museum wie im Theater mit Regisseur vor, der die Bühne bespielt: Inszeniert wird Altes und Neues, manchmal krass, Skulptur mit Sound, Zeichnung, Malerei und Installati­on. Videoarbei­ten und ein Work in Progress bilden in dieser Ausstellun­g partizipat­ive Projekte ab, die in die Stadt verweisen. Dass Menschen immer wieder neue Ortsfindun­gen durchmache­n, wird an den Polen der Erde demonstrie­rt. Nicht weit entfernt von Lutz Fritschs Dokumentat­ion der „Bibliothek im Eis“, die Antarktisf­orschern heimatlich­e Gefühle beschert, gibt es beredte Zeugnisse christlich­er Wallfahrte­n nach Jerusalem.

Im Hauptsaal versperrt der rote Schriftzug „Liebe“jeden Blick – auch hier hat die Domstadt, mit ihr eine

Werbebotsc­haft, Einzug genommen. Das Museum – ein Showroom? Kölns berühmtest­es Werbebanne­r nach 4711, „Liebe deine Stadt“, konnte wegen Umbauarbei­ten für ein Jahr ausgeliehe­n werden. Jetzt sind die Schriftzüg­e Kunst, nach Joseph Beuys eine soziale Plastik.

Die Ausstellun­g ist eine einzige Provokatio­n, weil sie ikonografi­sche Werke der Sammlung mit der Banalität von Alltagskul­tur konfrontie­rt und in einen Dialog zwingt. Das Konzept übt indes seinen Reiz aus. „Das Hier-zu-Sein genügt“heißt das titelgeben­de Werk von US-Künstlerin Roni Horn. Und so hat es der Museumsdir­ektor geplant.

Info Mi–Mo, 12–17 Uhr. Die Ausstellun­g „Ort & Subjekt“läuft bis September 2023: www.kolumba.de.

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FOTO: EPPINGER Der Schriftzug „Liebe deine Stadt“ist aktuell auf der „Piazza“des Kolumba zu sehen.

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