Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das Beste kommt zuerst
Nach elfjähriger Sanierung und Erweiterung erstrahlt das Königliche Museum der Schönen Künste in Antwerpen neu – mit Werken von den alten Meistern bis zur Moderne.
ANTWERPEN Nur auf den ersten Blick ist das neue Museum das alte. Zwar lassen die hohen, dunkelrot und dunkelgrün gefärbten Säle für die riesigen Formate von Rubens und anderen Meistern nichts von Veränderung spüren, doch bilden die Räume im Stil des Fin de Siècle mit ihren plüschigen Doppelbänken in der Mitte nur den größeren Teil eines neuen Ganzen. Der andere, der dem Museum einen Zuwachs von 40 Prozent Fläche beschert, ist ein verschachteltes weißes Gebilde, das wie von oben in die einstigen Lichthöfe gehängt erscheint.
Statt Rubens und van Dyck machen sich dort Moderne und Postmoderne breit, von James Ensor über Günther Uecker bis zu Anselm Kiefer. Die flämische Regierung hat sich die elfjährige Restaurierung und Erweiterung rund 100 Millionen Euro kosten lassen. Jetzt ist das neoklassizistische Gebäude im Antwerpener Süden wieder die größte Attraktion der größten Stadt Belgiens.
Andere Museen zeigen das Beste erst zum Schluss, in Antwerpen ist es umgekehrt. Der erste Saal der alten Abteilung überwältigt die Besucher sogleich mit riesigen Formaten der Alten Meister. Dabei fällt der Blick unmittelbar auf die Stirnseite, wo Rubens‘ fast fünf Meter hohe, mehr als drei Meter breite „Anbetung der Heiligen Drei Könige“thront: eine bewegte Szene, die das Staunen der Gäste angesichts des auf Marias Schoß strampelnden Jesuskinds festhält. Im Hintergrund recken zwei Kamele ihre Köpfe. Rubens soll das Bild innerhalb von zwei Wochen auf die Leinwand gezaubert haben.
Ein Saal mit Heiligendarstellungen schließt sich an. Rubens setzt dort einen Akzent mit dem „Letzten Abendmahl des heiligen Franz von Assisi“. Nicht minder sticht Murillo mit seinem ins Gebet versenkten Franz heraus, davor ein Totenschädel – eine fesselnde Komposition. Aus dem 19./20. Jahrhundert mischt sich der flämische Bildhauer George Minne ein mit der gänzlich weißen Darstellung eines Mannes, der in einem Kasten vermutlich Knochen mit sich führt: „Der Reliquienträger“.
Von Jan van Eyck stammt eines der ergreifendsten Bilder der Sammlung: die heilige Barbara vor einer im Bau befindlichen Kathedrale inmitten eines Heers von Arbeitern. Sie hält einen Palmwedel und hat sich in ein Gebetbuch vertieft. An anderer Stelle im weitläufigen Kunstgehäuse trifft man auf das Bild, mit dem das Museum vorzugsweise für sich wirbt: Jean Fouquets „Madonna, umgeben von Seraphim und Cherubim“. Maria erscheint darauf milchig weiß, mit einer diamantenbesetzten Krone geschmückt und bei entblößter linker Brust den Jesusknaben auf einer weißen Decke haltend, wie eine Königin des Himmels. Die strenge Komposition entstand bereits im 15. Jahrhundert und wirkt nicht nur in ihren Farben, als sei sie aus der Gegenwart gegriffen.
Damit auch Kinder Überraschungen erleben, hat das Museum einen belgischen Tausendsassa engagiert: Christophe Coppens, Schauspieler, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner. In mehreren Sälen hat er jeweils eine dunkelrote Großskulptur platziert, auf der Kinder herumturnen dürfen. Im Fall der überdimensionierten Hand, die aus einer Wand ragt, handelt es sich nur um etwas zum Schauen – und zum Gruseln. Denn von Zeit zu Zeit drehen sich die nach oben zeigenden knochigen Finger nach unten. Wer von den Alten Meistern in die Moderne wechselt, wird sich die Augen reiben. Aus dem Halbdunkel der Vergangenheit sieht man sich plötzlich in weiße, hell erleuchtete Kuben versetzt. Um 1880 beginnt dort die neuere Kunst. Die weißen Wände, Decken und spiegelnden Böden, zwischen denen Ensor und die nachfolgende Moderne sich entfalten, wirken schick, aber auch etwas steril: ein Triumph vor allem der Architekten. Was die Kunst anlangt, so mischt sich dort Belgisches und Niederländisches mit gesamteuropäischer Moderne. Eine mehrere Geschosse überwindende weiße Treppe, architektonisches Schmuckstück des Neubaus, lädt ein zur Fortsetzung des Gangs durch die Kunst der „Modernen Meister“. Doch Vorsicht beim Aufstieg: Die Tiefe der Stufen ist zu gering. Wer sich mit Schuhgröße 44 über die Stufen bewegt, fühlt sich unsicher und absturzgefährdet. Zum Glück gibt es einen Aufzug.