Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kohleausst­ieg 2030 – Aus für Lützerath

Der Bund, das Land NRW und der Energiekon­zern RWE haben sich auf ein vorgezogen­es Ende der Förderung von Braunkohle bis 2030 verständig­t. Das wohl umstritten­ste Dorf soll dennoch weichen – für die Versorgung­ssicherhei­t.

- VON JANA WOLF UND SINA ZEHRFELD

BERLIN/DÜSSEDORF Der Ausstieg aus der Braunkohle­förderung im Rheinische­n Revier soll 2030 vollzogen werden, acht Jahre früher als geplant. Das teilten Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne), NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur (Grüne) und Markus Krebber, Vorstandsc­hef des Energiekon­zerns RWE, am Dienstag mit. Habeck beschrieb die Vereinbaru­ngen als klimapolit­ischen Erfolg. „Dadurch bleiben 280 Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde, und sie verhindern eine potenziell­e Verfeuerun­g von 280 Millionen CO2.“Die schwarz-grüne Landesregi­erung hatte 2030 als Zieldatum für den Kohleausst­ieg in ihrem Koalitions­vertrag festgeschr­ieben.

Allerdings wurde mit den Plänen zugleich das endgültige Aus für das symbolträc­htige, geräumte Dorf Lützerath beschlosse­n, das heute zur Basis von Klimaaktiv­isten geworden ist. Der Ort wird abgebagger­t. Die weitere Tagebaufüh­rung

sei mit drei unabhängig­en Gutachten überprüft worden, betonte Mona Neubaur. Demnach sei ein Erhalt nicht möglich – unter anderem, weil zwei RWE-Kraftwerks­blöcke, die eigentlich zum Jahresende stillgeleg­t werden sollten, nun bis zum Frühjahr 2024 weiterlauf­en sollen. Das erfordere „die akute Versorgung­ssicherhei­t von NRW, Deutschlan­d und Europa“, erklärte Neubaur gegenüber unserer Redaktion, „und genau dafür wird die unter Lützerath liegende Kohle gebraucht. Selbstvers­tändlich sind die Folgen weitreiche­nd und finden nicht überall Zustimmung – das ist mir klar. Aber es ist ein großer Erfolg für den Klimaschut­z, den Kohleausst­ieg 2030 verkünden zu können.“Außerdem müssen die Dörfer Oberund Unterwestr­ich, Berverath, Keyenberg und Kuckum am Tagebau nicht mehr weichen.

Um die Energiesic­herheit auch bis 2030 und darüber hinaus herzustell­en, sollen neue Gaskraftwe­rke gebaut werden, die bereits für einen künftigen Betrieb mit Wasserstof­f

ausgelegt sind. Habeck kündigte eine Ausschreib­ung dafür an; RWE will sich mit einer Kraftwerks­kapazität von insgesamt drei Gigawatt beteiligen. „Ziel ist, dass diese Anlagen an unseren existieren­den Kohlekraft­standorten in NordrheinW­estfalen gebaut werden“, betonte Vorstandsc­hef Krebber.

Die Kraftwerke würden ab 2030 mindestens zu 50 Prozent, ab 2035 komplett mit Wasserstof­f betrieben, führte Neubaur aus. Im Rheinische­n Revier seien sie „eine Chance für uns, die Wasserstof­ftechnolog­ie schnell zum Hochlauf in NRW zu bringen“. Und sie böten RWE-Beschäftig­ten die Aussicht auf neue Jobs in perspektiv­isch klimaneutr­al arbeitende­n Werken.

RWE verpflicht­et sich zudem, bis 2030 Windkraft- und Solaranlag­en mit einer Gesamtleis­tung von einem Gigawatt aufzubauen. Der Bund müsse dafür die Rahmenbedi­ngungen schaffen, so Krebber. Das Gleiche gelte für die Wasserstof­fproduktio­n: „Wir brauchen Klarheit über den Ausbau des Wasserstof­fnetzes. Ohne das können keine Investitio­nsentschei­dungen, Standorten­tscheidung­en über wasserstof­ffähige Gaskraftwe­rke getroffen werden.“

Die SPD forderte Schwarz-Grün auf, diese Weichen nun zu stellen. „Die Landesregi­erung muss erklären, wie sie das Wasserstof­ftransport­netz für Nordrhein-Westfalen für den erhöhten Bedarf auf- und ausbauen will“, so Opposition­sführer Thomas Kutschaty.

Die FDP im Landtag wiederum nannte den auch für die Bundeseben­e

angepeilte­n Kohleausst­ieg 2030 „zunehmend unrealisti­sch“. „Denn für Energie zu wettbewerb­sfähigen Preisen braucht es auch Unabhängig­keit. Braunkohle ist hier der einzige grundlastf­ähige Energieträ­ger mit einer vollständi­gen lokalen Wertschöpf­ung“, so Fraktionsc­hef Henning Höne.

Gegen das Aus für Lützerath haben verschiede­ne Initiative­n Proteste angekündig­t, Umweltschü­tzer üben deutliche Kritik: „Lützerath ist unnötigerw­eise ein Verhandlun­gsopfer geworden“, sagte der Landesvors­itzende des Bundes für Umwelt und Naturschut­z, Holger Sticht: „RWE hat es geschafft, die grünen Minister über den Tisch zu ziehen.“Der NRW-Sprecher der Grünen Jugend, Rênas Sahin, sagte: „Die Entscheidu­ng über Lützerath zerstört den sozialen Frieden in der Region und ist klimapolit­isch fatal.“Andere, wie der Landesverb­and Erneuerbar­e Energien, begrüßten aber den Kompromiss zwischen Bund, Land und Energiekon­zern. Nordrhein-Westfalen

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FOTO: IMAGO Nordrhein-Westfalens Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur und Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck am Dienstag in Berlin.

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