Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Bas sieht Notwendigkeit über Reizthemen zu sprechen
ERFURT (dpa) Wenig Euphorie, eher sorgenvolle Töne. Es war der Tag der Deutschen Einheit, doch die Furcht vor Spaltung, Krieg und Krise schwang mit bei der zentralen Feier am Montag in Erfurt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), noch blass und hager nach seiner Corona-Quarantäne, bemühte noch einmal Alt-Kanzler Willy Brandt mit dem Satz vom Zusammenwachsen des Zusammengehörenden – dann sprach er über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und versuchte, die Energiesorgen der Menschen zu dämpfen. Beides lastet auf dem Land und der Politik 32 Jahre nach der Vereinigung.
Die Reden betonten wie üblich an diesem Feiertag Gemeinsamkeit und Solidarität, doch klangen eben auch Bedenken über ein erneutes Auseinanderdriften an: „Ob CoronaPandemie oder Energieknappheit – die Krisen der Zeit zeigen, was vorher schon nicht gestimmt hat, und rücken die bestehenden Differenzen ins Licht der Scheinwerfer“, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Wirtschaftsstruktur, Arbeitswelt und Lebensweise ständen vor Veränderungen.
„Das löst bei vielen Menschen Ängste und Sorgen aus“, so der LinkenPolitiker, der derzeit auch Bundesratspräsident ist.
Wieder einmal waren am Tag der Deutschen Einheit vielerorts in Ostdeutschland Demonstrationen geplant. Nach Polizeiangaben gingen dort insgesamt rund 100.000 Menschen auf die Straße. Dass dies auch im Westen des Landes mit Sorge gesehen wird, machte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas deutlich. Sie hielt die Festrede im Erfurter Theater. Ihre eine zentrale Botschaft: in der Krise zusammenhalten, sich nicht angiften, Streit demokratisch austragen. „Wie wir miteinander umgehen, entscheidet wesentlich über die Stärke unseres Landes.“
Es sei notwendig, miteinander über Reizthemen wie Impfpflicht oder Waffenlieferungen zu reden, sagte Bas. Demokratischer Streit führe zu Lösungen. „Doch Verständnis und Respekt können nicht in einer vergifteten Atmosphäre gedeihen.“Ihr Appell an die Bürger: „Ich wünsche mir weniger Wut und mehr Respekt, weniger Rechthaberei und mehr Neugier, weniger Vorurteile und mehr Empathie.“