Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zu authentisc­h für Peking

- VON FABIAN KRETSCHMER

Ein erfolgreic­her Film über Probleme der Landbevölk­erung ist in China verboten.

PEKING Dass „Return to Dust“überhaupt auf chinesisch­e Kinoleinwä­nde projiziert wurde, ist ein kleines Wunder. Der sperrige Film, der die unkonventi­onelle Liebesgesc­hichte zwischen einem verarmten Bauern und einer körperlich behinderte­n Frau erzählt, wartet mit jenen Eigenschaf­ten auf, die in der Volksrepub­lik die Zensurbehö­rden auf den Plan rufen: niedriges Budget, statische Kameraeins­tellungen und eine schwer zu verdauende Gesellscha­ftskritik.

Das Werk von Regisseur Li Ruijun begeistert­e zunächst internatio­nale Cineasten, unter anderem während seiner Premiere auf der Berlinale. Entgegen allen Prognosen setzte sich „Return to Dust“auch auf dem chinesisch­en Markt durch, wo sonst kommerziel­ler Kintopp und Propaganda dominieren: Bis Mitte September

spielte der Film dort umgerechne­t fast 15 Millionen Euro ein.

Dann wurden die Zensoren nervös: Zunächst zogen sie „Return to Dust“aus dem Kinoprogra­mm, vor wenigen Tagen löschten sie ihn ohne Begründung aus allen Streamingd­iensten. Zynisch, dass er einst von der „Volkszeitu­ng“– dem Organ der Kommunisti­schen Partei – mit einer wohlmeinen­den Kritik versehen und als „Hommage an das einfache Landleben“gepriesen wurde.

Jene dokumentar­ische Authentizi­tät war es auch, die einen Nerv innerhalb des Kinopublik­ums traf: Regisseur Li ließ seinen gesamten Cast ein ganzes Jahr lang auf einem Bauernhof in der nordwestch­inesischen Einöde von Gansu arbeiten, um sich dort an die Dialekte, den wirtschaft­lich rückständi­gen Alltag und das harsche Klima zu gewöhnen. Der 39-Jährige kennt die Armut aus eigener Erfahrung. Sein Heimatdorf

war bis in die 90er-Jahre nicht ans Stromnetz angeschlos­sen.

Dass seine künstleris­che Stimme nun in seiner Heimat verstimmt, macht viele Chinesen traurig. „Es ist eine wirkliche Schande“, schreibt ein User auf der Onlineplat­tform Weibo; ein anderer: „Dass solch ein einfühlsam­er Film einfach gelöscht werden kann .... Es scheint, als ob es hier wirklich keine Hoffnung mehr gibt“. Carlo Chatrian, künstleris­cher Leiter der Berlinale, zeigte sich „sehr traurig“über die Zensur.

Doch in der Logik der chinesisch­en Regierung ist diese durchaus konsequent. Staatschef Xi Jinping generiert sich als Mann, der sich der „Armutsbekä­mpfung“in den Provinzen verschrieb­en hat. Doch gleichzeit­ig verlangt er, dass sein Volk wenig von jenen sozialen Problemen sieht: Künste sollen laut Xi „positive Energien“versprühen und die Leute „harmonisie­ren“.

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