Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Zu authentisch für Peking
Ein erfolgreicher Film über Probleme der Landbevölkerung ist in China verboten.
PEKING Dass „Return to Dust“überhaupt auf chinesische Kinoleinwände projiziert wurde, ist ein kleines Wunder. Der sperrige Film, der die unkonventionelle Liebesgeschichte zwischen einem verarmten Bauern und einer körperlich behinderten Frau erzählt, wartet mit jenen Eigenschaften auf, die in der Volksrepublik die Zensurbehörden auf den Plan rufen: niedriges Budget, statische Kameraeinstellungen und eine schwer zu verdauende Gesellschaftskritik.
Das Werk von Regisseur Li Ruijun begeisterte zunächst internationale Cineasten, unter anderem während seiner Premiere auf der Berlinale. Entgegen allen Prognosen setzte sich „Return to Dust“auch auf dem chinesischen Markt durch, wo sonst kommerzieller Kintopp und Propaganda dominieren: Bis Mitte September
spielte der Film dort umgerechnet fast 15 Millionen Euro ein.
Dann wurden die Zensoren nervös: Zunächst zogen sie „Return to Dust“aus dem Kinoprogramm, vor wenigen Tagen löschten sie ihn ohne Begründung aus allen Streamingdiensten. Zynisch, dass er einst von der „Volkszeitung“– dem Organ der Kommunistischen Partei – mit einer wohlmeinenden Kritik versehen und als „Hommage an das einfache Landleben“gepriesen wurde.
Jene dokumentarische Authentizität war es auch, die einen Nerv innerhalb des Kinopublikums traf: Regisseur Li ließ seinen gesamten Cast ein ganzes Jahr lang auf einem Bauernhof in der nordwestchinesischen Einöde von Gansu arbeiten, um sich dort an die Dialekte, den wirtschaftlich rückständigen Alltag und das harsche Klima zu gewöhnen. Der 39-Jährige kennt die Armut aus eigener Erfahrung. Sein Heimatdorf
war bis in die 90er-Jahre nicht ans Stromnetz angeschlossen.
Dass seine künstlerische Stimme nun in seiner Heimat verstimmt, macht viele Chinesen traurig. „Es ist eine wirkliche Schande“, schreibt ein User auf der Onlineplattform Weibo; ein anderer: „Dass solch ein einfühlsamer Film einfach gelöscht werden kann .... Es scheint, als ob es hier wirklich keine Hoffnung mehr gibt“. Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter der Berlinale, zeigte sich „sehr traurig“über die Zensur.
Doch in der Logik der chinesischen Regierung ist diese durchaus konsequent. Staatschef Xi Jinping generiert sich als Mann, der sich der „Armutsbekämpfung“in den Provinzen verschrieben hat. Doch gleichzeitig verlangt er, dass sein Volk wenig von jenen sozialen Problemen sieht: Künste sollen laut Xi „positive Energien“versprühen und die Leute „harmonisieren“.