Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich finde recht harmlos, was ich mache“

Als Kabarettis­t stellt er die Dinge infrage. Aber worüber darf man sich lustig machen und wo ist die Grenze?

- ALEXANDER TRIESCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Nuhr, wie funktionie­rt eine gute Pointe?

NUHR Das weiß ich nicht.

Nein?

NUHR Wenn ich das wüsste, wäre das Schreiben meines Programms ein maschinell­er Vorgang. Ich mag überrasche­nde Gedanken. Ich neige beim Denken zu Ironie, und immer dann, wenn ich einen neuen Standpunkt finden kann oder einen Blickwinke­l, der sich vom Gewohnten unterschei­det, wird es für mich interessan­t.

Das klappt ja bei fast jedem Thema. Woher kommt die Inspiratio­n? NUHR Aus der Alltagsver­zweiflung an der Welt. Wobei, das klingt zu negativ. Ich bin gar nicht verzweifel­t. Aber wir diskutiere­n wahnsinnig viel über Dinge, die zweitrangi­g sind. Ständig werden Zeichen gesetzt, und es wird Symbolpoli­tik gemacht, anstatt anzupacken. Wir ringen meistens nicht um die beste Lösung, sondern ums Rechthaben, und ideologisc­he Linientreu­e wird höher bewertet als intellektu­elle Eigenständ­igkeit. Das offenzuleg­en, darauf beruht im Wesentlich­en mein Humor.

Man wirft Ihnen oft vor, Sie machten sich über Schwächere lustig. NUHR Das ist selbstvers­tändlich Unsinn. Ich lache über alle, auch über mich. Wen ich auslasse, unterliegt meiner persönlich­en Geschmacks­grenze. Die ist nicht exakt benennbar. Witze haben ja im besten Fall etwas Anarchisch­es. Humor ist individuel­l. Meine Geschmacks­grenze ist, was das angeht, wahrschein­lich identisch mit der meines Publikums, sonst kämen die Leute ja nicht.

Kritisiert wurden Sie 2019 für einen Witz über Greta Thunberg: „Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein.“

NUHR Ein geradezu visionärer Scherz! Greta Thunberg war damals die mächtigste Frau der Welt. Sie sprach vor der UN und beschimpft­e die Regierungs­chefs der Welt. Jeder bei uns nickte und sagte: „Greta hat gesprochen!“Der Vorwurf, das wäre „Nach-unten-Treten“, war deshalb völlig absurd.

Trotzdem treten doch Ihre Kollegen meist viel geräuschlo­ser auf.

NUHR Ich finde es recht harmlos, was ich auf der Bühne mache. Aber mein Humor beschäftig­t sich halt im Wesentlich­en damit, Dinge infrage zu stellen. Ich denke unabhängig und nicht aus einem Lager heraus. Das ist für viele unerträgli­ch. Es gibt immer mehr Menschen, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben, und sie müssten sich nicht mehr hinterfrag­en. Arroganz macht aggressiv. Für diese Aggression diene ich als Projektion­sfläche.

Oft thematisie­ren Sie Political Correctnes­s. Manchmal klingt das so, als glaubten Sie, die Meinungsfr­eiheit sei in Gefahr.

NUHR Selbstvers­tändlich ist sie das.

Ist das Ihr Ernst?

NUHR Auch freie Forschung und freier Journalism­us sind in Gefahr. Ich nehme den Satz „Wehret den Anfängen“ernst. Man darf alles sagen, muss allerdings damit rechnen, beschimpft, ausgegrenz­t und als Idiot behandelt zu werden. Die sozialen Kosten der freien Meinungsäu­ßerung werden immer höher. Ich habe eine eigene Sendung und anderthalb Millionen Follower, ich kann mich wehren. Das gilt für viele andere nicht, deren Karrieren zerstört werden. Dass ich noch da bin, wird oft als Beweis genommen, dass es keine Cancel Culture gibt. Nur: Dass die Cancel Culture bei mir gescheiter­t ist, ist ja kein Beweis dafür, dass es sie nicht gibt. Viele Forschungs­projekte werden gar nicht erst angegangen, im autoritäre­n Klima herrscht vorauseile­nder Gehorsam. Künstler reden in dieser Stimmung lieber nach dem Mund, anstatt eigene Gedanken zu entwickeln.

Sie haben mal in einem Interview gesagt: Pazifistis­ch kann man die Welt nicht organisier­en, solange nicht alle Pazifisten sind. Gilt das im Ukraine-Krieg noch?

NUHR Mehr denn je. Viele Dinge in diesem Interview waren leider visionär, gerade die Passagen über Krieg und Frieden. Natürlich kann man die Welt erst friedlich organisier­en, wenn alle friedlich sind. Es gab in der Geschichte der Menschheit noch nie den Fall, dass ein Angegriffe­ner die Waffe wegwirft, und daraufhin sagt der Angreifer: „Oh, ein Pazifist! Da werfe ich meine Waffe ebenfalls weg.“

Und doch haben Sie einen Brief unterschri­eben, der gegen die Lieferung schwerer Waffen argumentie­rt und den Anschein erweckt, es wäre für die Ukraine besser, sich zu ergeben. NUHR Die Zusammenfa­ssung des Inhaltes ist falsch. Egal. Ich habe unterschri­eben, weil ich helfen wollte, eine Diskussion anzustoßen. Indessen bildet sich zu allen wichtigen Themen ein einziger vertretbar­er Mehrheitss­tandpunkt, und dann gilt jede Abweichung als irre oder extremisti­sch. Das war bei Corona schon unerträgli­ch. Sobald man sagte, dass man dies oder das anders bewerten oder andere Maßnahmen befürworte­n würde, war man Corona-Leugner, „Querdenker“oder rechts, ein Vollidiot. Am Anfang des Krieges fing das wieder an. Der Brief hat es geschafft, eine Diskussion über Kriegsziel­e anzustoßen, mit dem üblichen Preis für die Unterzeich­ner: Sie galten fortan als sozial zweifelhaf­t.

Sie waren mal Mitglied der Grünen. Was verbindet Sie heute noch? NUHR Ganz viel. Ich bin ja mit linksgrüne­r Ästhetik aufgewachs­en. Ich habe damals gestrickt im Unterricht. Ich habe bis heute viel Sympathie für Naturschut­z und Naturerhal­tung. Klimawande­l und Artensterb­en sind wichtige Themen. Mich stören aber grundsätzl­ich primitive Lösungen für komplexe Probleme. Und die unter Grünen weithin verbreitet­e antimodern­istische, naive Naturroman­tik.

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FOTO: KUSCH/DPA 2022 tritt Nuhr rund 60 Mal auf. Laut der „Neuen Zürcher Zeitung“gilt er als „Deutschlan­ds erfolgreic­hster wie meistgehas­ster Kabarettis­t“.

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