Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Der Rhein-Kreis ist nicht einfach zu kopieren“
Bei der Messe Expo Real unterstützt Marcus Longerich, Vorstand Sparkasse Neuss, den Rhein-Kreis. Stärken und Herausforderungen der Region.
Herr Longerich, erst Corona, jetzt der Krieg in der Ukraine mit seinen weitreichenden Folgen auch für Deutschland, ein Land weiter im Krisenmodus: Welche Erwartungen haben Sie an die Expo Real in diesem Jahr?
MARCUS LONGERICH Die Expo Real steht seit jeher für Zukunftsthemen. Mit unserer Präsenz auf der Messe signalisiert der Rhein-Kreis, dass er nicht nur über attraktive Standorte für Unternehmen und vielfältige Immobilienprojekte verfügt, sondern gleichzeitig mit der Sparkasse einen kompetenten Ansprechpartner für alle finanziellen Fragen bietet, der schnell und flexibel direkt vor Ort entscheiden kann – gerade jetzt, unter extrem herausfordernden Rahmenbedingungen.
Wir sprechen aktuell zwar über Inflation, Energiepreisschock und gestörte Lieferketten, andererseits zeigt die gerade veröffentlichte Studie „Mittelstandsbarometer“für den Rhein-Kreis Neuss einen Geschäftsklimaindex auf einem Allzeithoch. Was macht den Kreis als Wirtschaftsstandort stark? LONGERICH Der Rhein-Kreis Neuss steht für gute Zukunftsperspektiven und sichere Arbeitsplätze, für Stabilität und den Zusammenhalt in der Gesellschaft, für einen erfolgreichen Strukturwandel und vieles andere mehr. Als Sparkasse haben wir im letzten Jahr 79 Millionen Euro für kleine und mittelständische Unternehmen im Rhein-Kreis zur Verfügung gestellt. Darunter 14 Millionen Euro aus den staatlichen CoronaHilfspaketen. Im Ergebnis konnten wir damit 2692 Arbeitsplätze in unserer Region sichern und weitere 124 Arbeitsplätze neu schaffen.
Der Rhein-Kreis setzt im Prozess des Strukturwandels darauf, sich als Standort für die Digitalwirtschaft, aber auch für Existenzgründer zu positionieren. Wie beurteilen Sie die Chancen für eine solche Entwicklung?
LONGERICH Wir verstehen die fortschreitenden Möglichkeiten der Digitalisierung als Chance, um im Interesse unserer Kunden besonders einfache und gleichzeitig besonders sichere Lösungen für alle täglichen Bankgeschäfte und Serviceleistungen anbieten zu können. Digitale Lösungen sind insbesondere gute Lösungen, wenn es darum geht, es Menschen und Betrieben leichter zu machen, ihren immer komplexer werdenden Alltag zu meistern. Außerdem unterstützen digitale Angebote die Weiterentwicklung und
Intensivierung der persönlichen Beratung.
Worauf kommt es an, wenn der Rhein-Kreis Wohlstand und wirtschaftliche Stärke auch in Zukunft erhalten möchte?
LONGERICH Es ist nicht nur wichtig, die Wirtschaftsstärke und den Wohlstand im Kreis durch nachhaltige Regionalentwicklung zu sichern und zu stärken, zudem muss der Transformationsprozess sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet werden. Durch die Unterzeichnung der Musterresolution der Agenda 2030 bekennt sich der Rhein-Kreis Neuss im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Umsetzung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) der Vereinten Nationen. Auch unsere Sparkassen-Selbstverpflichtung für klimafreundliches und nachhaltiges Wirtschaften basiert unmittelbar auf den SDGs.
Das Ifo-Institut hat seine Wachstumsraten drastisch gekappt und spricht von einer bevorstehenden „Winterrezession“. Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Unternehmen im Rhein-Kreis? LONGERICH Ich rechne mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung, wir werden weniger Wachstum verzeichnen und aufgrund der hohen Inflationsrate eine stärkere Geldentwertung haben. Dabei stimme ich dem Ifo-Institut zu – schwerwiegende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sehe ich im Rhein-Kreis nicht und hoffe auf eine wirtschaftliche Erholung in den kommenden Jahren.
Braucht es jetzt neue Rettungsschirme oder ähnliche Instrumente auch um kleine oder mittlere Unternehmen in der Krise vor der Insolvenz zu retten – mit allen negativen Folgen für Inhaber, Mitarbeiter, aber auch die Infrastruktur in den Kommunen? LONGERICH Mit Rettungsschirmen allein ist es nicht getan. Im Unterschied zur Covid-Unterstützung, wo es sich um einen temporären Lockdown gehandelt hat, stehen wir jetzt möglicherweise vor einer substanziellen Rezession. Eine gute Unterstützung der eigenen Hausbank ist viel wert. Wir ermutigen unsere Kunden, frühzeitig mit uns zu sprechen, um eine verlässliche Kalkulationsbasis zu schaffen.
Was können Geldinstitute wie die Sparkasse tun, um die Belastungen für ihre Kunden zu mildern? LONGERICH Für die Sparkasse geht es um mehr als Geld. Für uns stehen die Menschen und die Betriebe unserer Region im Mittelpunkt der täglichen Arbeit. Wir haben viel geleistet, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für unsere Kundinnen und Kunden so erträglich wie möglich zu gestalten. Wir waren und sind immer persönlich für unsere Kunden da, garantieren die sichere Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Bargeldversorgung, stellen schnell und unkompliziert Fördermittel bereit und ermöglichen auf der Grundlage unserer hohen Beratungskompetenz auch unter herausfordernden Rahmenbedingungen eine erfolgreiche Planung der wirtschaftlichen Zukunft für Jedermann.
Bei der Expo Real geht es primär um Gewerbeimmobilien. Was wünschen Sie sich von den Kommunen mit Blick auf das Angebot an Gewerbeflächen und -immobilien im Kreisgebiet?
LONGERICH Meiner Meinung nach sind alle Kommunen im RheinKreis Neuss sehr aktiv und bemühen sich, entsprechende Flächen zur Verfügung zu stellen. Das sieht man unter anderem auch daran, dass die Bereitschaft zu interkommunalen Gewerbegebieten mittlerweile stark ausgeprägt ist – sogar über den Kreis hinaus. Die große Herausforderung sehe ich in dem Zusammenbringen von Nachhaltigkeit und begrenztem Flächenverbrauch und den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft. Ich glaube, dass in der Weiterentwicklung zum Beispiel der alten Kraftwerkstandorte in Grevenbroich viel Potenzial liegt, diese Komplexe miteinander zu versöhnen. Einen Wunsch habe ich aber auch – aber eher an die Gesetzgebung in Bund und Land: Beschleunigung von Verfahren, Rechtssicherheit und privilegierte Behandlung bereits bestehender gewerblich genutzter Liegenschaften zur Nachverdichtung und Weiterentwicklung.
Welche Nachfrage nach Flächen für Expansion oder Ansiedlungen machen Sie bei Ihren Kunden aus? LONGERICH Da gibt es natürlich eine große Spannbreite. In unserem Neusser Hafen, meiner Meinung nach dem „Kraftzentrum“der Neusser Wirtschaft, geht es oft um Zukauf von Produktions- und Werkflächen, aber auch um die Nachverdichtung auf bereits im Eigentum befindlichen Grundstücken. Der wachsende Handwerksbetrieb sucht teilweise händeringend freie
Flächen, um Büro und Lager unterzubringen. Oft berichten Kunden von zwei bis drei Lagerflächen und einem Büro an unterschiedlichen Standorten – das ist natürlich weder ökologisch nachhaltig noch wirtschaftlich sinnvoll.
Warum entscheiden sich Unternehmen für eine Ansiedlung im RheinKreis?
LONGERICH Das ist aus meiner Sicht ganz klar: die Lage im Rheinland und die unmittelbare Nähe zu Köln und Düsseldorf aber auch zu den Niederlanden. Und zwar sowohl rein wirtschaftlich aber auch im Hinblick auf Attraktivität für dringend benötigte Fachkräfte. Die trimodale Infrastruktur mit Wasser, Schiene, Straße – und dem internationalen Flughafen in Düsseldorf vor der Tür. Das alles sind Standortfaktoren, die niemand leicht kopieren oder nachbauen kann. Und zu guter Letzt: starke Unternehmen siedeln sich da an, wo starke Unternehmen sind.
Wie könnte der Rhein-Kreis seine Standortqualität noch verbessern? LONGERICH Die eben hervorgehobene Infrastruktur macht mir Sorgen. Zum einen müssen wir dafür sorgen, vorhandene Infrastruktur zu sichern bzw. zu verbessern. Wir brauchen aber auch die Infrastruktur der Zukunft: nachhaltige Energie für eine sichere und günstige Versorgung, modernen ÖPNV für eine mobile Bevölkerung, gut ausgebaute Wasserwege, Straßen und Schienen, aber auch Glasfaser in jedem Haus – ob Gewerbe oder Wohnung. Fairerweise möchte ich aber sagen, dass das nicht nur den Rhein-Kreis oder die Kommunen angeht – das ist Verantwortung bis in die Bundespolitik, aber auch von uns allen, Bürgern und Wirtschaft hier vor Ort.
In den vergangenen Jahren hat das Thema „Wohnungsbau“auf der Expo Real immer mehr an Bedeutung gewonnen. Was prägt derzeit den Immobilienmarkt im RheinKreis?
LONGERICH Zur Zeit gibt es ein überschaubares Angebot an Neubauten und Baugebieten im Rhein-Kreis, dafür ein steigendes Angebot an Bestandsimmobilien aufgrund der längeren Vermarktungszeiten. Die hohe Attraktivität durch die Nähe zu den Metropolstädten Köln und Düsseldorf sorgt für weiterhin stabile Preise, die im Vergleich zu den beiden Städten günstiger sind. Die Kombination aus Zinssteigerung, Energiekrise, Inflation und hohen Preisen führt zum Teil allerdings auch zu einer Kaufzurückhaltung beziehungsweise zu einem eingeschränkten Käuferklientel. Stichwort: Machbarkeit/Finanzierbarkeit.
Haben die steigenden Zinsen einen negativen Effekt auf die Realisierung größerer Wohnungsbauprojekte?
LONGERICH Der Rhein-Kreis Neuss wird weiterhin Zuzugsregion bleiben – daher wird auch weiter gebaut werden. In gewisser Weise gibt es eine Normalisierung, die wir aber gar nicht mehr als „normal“betrachten: Auch Neubauten können nicht mehr zu jedem Preis verkauft werden, und auch ein Kaufinteressent kann Preise wieder verhandeln. Die längeren Vermarktungszeiten hatte ich ja bereits erwähnt. Ich glaube aber auch, dass wir wirkliche Innovationen im Wohnungsbau brauchen: gute Qualität, kostengünstig durch skalierbare technische Innovationen erstellt. Das alles gibt es durchaus, trifft aber bisher teilweise (noch) nicht auf das nötige Interesse. Aber die Kombination aus steigenden Zinsen und Inflation kann hier eine bereits angelegte Entwicklung beschleunigen.
Und wie sollten (potenzielle) private Bauherren reagieren, die sich plötzlich mit steigenden Zinsen konfrontiert sehen?
LONGERICH Wir empfehlen ein frühzeitiges Gespräch mit dem/ der jeweiligen Kunden-Berater/in, um vor allem die langfristige Zinssicherung zu klären. Vorab sollten außerdem folgende Punkte kritisch hinterfragt werden: Sind die zu Grunde liegenden Kalkulationen der Baukosten realistisch und machbar? Passen die sich hieraus ergebenden monatlichen Raten zu meinen finanziellen Vorstellungen? Muss gegebenenfalls kleiner oder anders geplant werden? Verfüge ich über ausreichend planbare Reserven?
Die Stadt Neuss plant die Landesgartenschau im Jahr 2026 und will ihr Zentrum mit dem städtebaulichen Großprojekt am Wendersplatz neu definieren. Welcher Nutzen ist damit für Image und Standortqualität der Stadt verbunden? LONGERICH Getreu dem Motto der Neusser Landegartenschau „Gemeinsam an den Rhein“wird eine Verknüpfung und Aufwertung mehrerer Grünflächen von der Innenstadt aus an den Rhein erfolgen. Neben der Schaffung eines langfristigen, attraktiven Naherholungsgebiets dienen die Planungen der ökologischen Verknüpfung und Aufwertung des Stadtgebiets. Vorhandene Flächen werden gut integriert. Ziel ist es, in Neuss Neues zu schaffen und damit ein modernes und zukunftsgerichtetes Neusser Stadtbild zu verwirklichen.