Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Moderner Jazz im Einklang mit zeitgenössischer DJ-Kultur
NEUSS Der Essener Trompeter JohnDennis Renken brachte sein Quintett Tribe zur Jazzreihe „Blue in Green“in der Alten Post mit. Die Übersetzung des englischen Wortes „Tribe“ins Deutsche ist im Grunde ganz simpel: „Stamm“. Doch auch verstärkt durch das Worldwideweb in den vergangenen Jahrzehnten und vor allem zuletzt durch die sozialen Medien ist um den Begriff „Tribe“eine ganze Ideenwelt entstanden, die weit mehr bedeutet als nur die Übersetzung: Ein Tribe ist eine mal mehr, mal weniger eng miteinander verbundene Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Sprache sprechen, ähnlichen Interessen folgen und vergleichbare Vorlieben haben. Erst dadurch kann aus einer losen Gruppe ein engmaschig strukturiertes, gemeinschaftlich organisiertes und soziales Gefüge werden, dessen Gesamtheit der Mitglieder füreinander verantwortlich ist.
Tribe hat der Trompeter Renken also auch sein aktuelles Quintett genannt. Kerntruppe seines Tribes ist das Zodiak Trio mit ihm, dem Gitarristen Andreas Wahl und dem Schlagzeuger Bernd Oezsevim. Vor beinahe 20 Jahren haben die drei nämlich begonnen, das für den modernen Jazz übliche, analoge Instrumentarium akustisch durch verschiedene Versatzstücke aus dem elektronischen und digitalen Baukasten zu erweitern. Vor fünf Jahren dann, als Renken improvisierender Stadtmusikant von Moers war, hat er sein Trio mit der Altsaxofonistin Angelika Niescier und dem Posaunisten Klaus Heidenreich zum Quintett vergrößert und diesem den Namen Tribe gegeben.
Aus familiären Gründen konnte Heidenreich nicht mit nach Neuss kommen und wurde durch den Posaunisten Janning Trumann ersetzt. Keine leichte Aufgabe für den Kölner, denn die Improvisationsmusik von Tribe ist komplex – auch und gerade deshalb, weil sie nicht herkömmlichen Formen und Strukturen
im Jazz von Heute folgt. Bewusst hat Renken auf einen Bassisten verzichtet, damit Oezsevim ungehindert vom Schlagzeug aus eine Energiewelle nach der anderen über die Köpfe des Publikums jagen kann. Für die drei Bläser und den Gitarristen scheint das wiederum Aufforderung zu sein, sich kopfüber in die aufschäumende und hoch wirbelnde Plasmakaskade zu stürzen. Das Spektrum der Klangfarben reicht vom strahlenden Koronakranz der Trompete über die hell stiebenden
Funken des Altsaxofons und dem glühend-heißen Malstrom der Posaune bis zu den schruntigen Powerakkorden der Gitarre. Den fünf Musikern von Tribe geht es vor allem darum, die eigene Emotionalität ohne Umwege über den Intellekt zum Ausdruck zu bringen. Erst mit dieser Haltung glückt es ihnen, modernen Jazz als tranceartigen Rave zu inszenieren und so mit den verschiedenen Formen zeitgenössischer DJ-Kultur in Einklang zu bringen.