Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
RWE halbiert Garzweiler – Kohle-Aus schon 2030
Der Konzern ist bereit, die Verstromung von Braunkohle bereits in acht Jahren einzustellen. Das hat gravierende Auswirkungen auf den Tagebau Garzweiler und die Kraftwerke in Grevenbroich. 280 Millionen Tonnen Kohle bleiben im Boden.
GREVENBROICH Der Energiekonzern RWE hat sich mit dem Bundeswirtschaftsministerium darauf verständigt, das Ende der Braunkohleverstromung deutlich vorzuziehen: Bereits 2030, in acht Jahren, soll Schluss sein. Das hat Auswirkungen insbesondere auf den Betrieb des Tagebaus Garzweiler und auf die Kraftwerke in der Region. Ursprünglich sollten der Tagebau und etwa die beiden Neurather BoA-Blöcke bis 2038 laufen. Der vorgezogene Ausstieg entspricht einer Halbierung der bislang vorgesehenen Zeitspanne. Das bedeutet auch: 280 Millionen Tonnen Braunkohle bleiben im Boden – 280 Millionen Tonnen CO2 sollen eingespart werden. Was das für Grevenbroich bedeutet.
Mitarbeiter RWE zählt aktuell revierweit rund 7500 Beschäftigte in der Braunkohle, davon entfällt mit zusammengerechnet etwa 4000 Mitarbeitern der größte Teil auf den Tagebau Garzweiler und das Kraftwerk Neurath. „Der nochmals beschleunigte Kohleausstieg darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Deshalb wollen wir den Ausstieg wie bisher sozialverträglich gestalten“, sagt RWE-Vorstandsvorsitzender Markus Krebber: „Uns war wichtig, dass auch der Bund zugesichert hat, die gesetzlichen Regelungen so anzupassen, dass niemand ins Bergfreie fällt.“Auch den Mitarbeitern, die nicht vorzeitig in den Ruhestand wechseln können, sollen Perspektiven im Unternehmen oder bei anderen Arbeitgebern aufgezeigt werden. Es soll Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen geben. Zum Ende des Jahrzehnts soll der Personalabbau deutlich beschleunigt werden.
Kraftwerke Die 2012 in Betrieb genommenen BoA-Blöcke F und G in Neurath sollen nicht wie geplant Ende 2038 vom Netz gehen, sondern schon am 31. März 2030. Die Blöcke haben eine Leistung von je 1060 Megawatt. Auch BoA-Block K in Niederaußem wird Ende März 2030 in Rente geschickt. RWE räumt der Bundesregierung ein, bis spätestens 2026 über den Verbleib der Kraftwerke in der Sicherheitsbereitschaft zu entscheiden. Dazu zählt neben den BoA-Blöcken auch ein alter 600-Megawatt-Block. In Sicherheitsbereitschaft bleiben könnten die Blöcke bis Ende 2033 – ohne Auswirkungen auf den halbierten Tagebau.
Energiekrise Die Blöcke D und E im alten Teil des Kraftwerks Neurath werden nicht wie geplant zum Ende dieses Jahres abgeschaltet. Angesichts der aktuellen Energiekrise sollen die beiden Blöcke länger laufen: Ihre Leistung von zusammen 1200 Megawatt soll bis 31. März 2024 im Markt verbleiben – mit der Option auf eine Verlängerung um ein Jahr. Die dadurch entstehenden Emissionen sollen durch das vorgezogene Kohle-Aus eingespart werden.
Entschädigung Durch den Weiterbetrieb der Alt-Blöcke in Neurath hat RWE geringere Erlösausfälle. Das ist einer der Gründe dafür, dass der vorgezogene Kohleausstieg ohne zusätzliche Kompensationszahlungen umgesetzt werden soll. Das geht aus der Vereinbarung der Wirtschaftsministerien auf Bundes- und Landesebene mit RWE hervor. Demnach bleibt es bei der für den Kohleausstieg 2038 vereinbarten Entschädigung von 2,6 Milliarden Euro.
Tagebau Garzweiler Statt der genehmigten 560 Millionen Tonnen Braunkohle sollen jetzt nur noch 280 Millionen Tonnen Kohle im Tagebau Garzweiler gefördert werden. Der Ort Erkelenz-Lützerath soll dafür weichen, weitere Orte jedoch sollen verschont bleiben. Um die Verfüllung des östlichen Restlochs von Garzweiler II zu gewährleisten, werden 650 Millionen Kubikmeter weiterer Abraum benötigt. Diese Mengen sollen noch bis 2030 aus dem laufenden Betrieb gewonnen werden.
Rekultivierung Die Rekultivierung der Tagebaue soll bis 2035 laufen. Teil dessen ist auch die Verfüllung der Tagebaue zu Seen – mit Wasser aus dem Rhein. „Die Prozesse müssen beschleunigt werden“, sagt RWE-Sprecher Matthias Beigel auch in Bezug auf die Rheinwasser-Transportleitung, deren Bau 2025 beginnen soll. Bis 2030 soll die Leitung stehen. Zunächst war geplant, ab 2030 „nur“den Tagebau Hambach zu verfüllen und die Feuchtgebiete in der Schwalm-Nette-Region zu versorgen. Nun dürfte der Tagebau Garzweiler dazukommen.
Erneuerbare Energien RWE will sein Ausbauziel von einem Gigawatt Leistung aus erneuerbaren Energien in NRW weiter aufstocken. Der Konzern will in Deutschland 15 Milliarden Euro in sein grünes Kerngeschäft investieren. Das Rheinische Revier bleibt ein Schwerpunkt. Der Ausbau umfasst Windkraftanlagen und Fotovoltaik-Anlagen auf Freiflächen. RWE will auch ehemalige Tagebauflächen nutzen. Wo möglich, sollen Projekte mit Stromspeichern und Hybridkraftwerken kombiniert werden.
Strukturwandel Der nochmals vorgezogene Kohleausstieg im Revier zwingt alle Akteure, den Strukturwandel im Revier zu beschleunigen. Der Zeitplan war ohnehin schon knapp – jetzt wird er noch einmal um acht Jahre verkürzt. Eine Stärkung des Strukturwandels etwa durch neue Industrie-Arbeitsplätze soll durch moderne Gaskraftwerke erzielt werden, die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden könnten.
Zukunft Wasserstoff RWE nimmt hier die alten Kohlekraftwerke in NRW ins Visier. „Wir prüfen alle Standorte, es gibt aber noch keine Investitionsentscheidungen“, sagt Konzernsprecher Beigel. Auf Grevenbroicher Grund befinden sich die Kraftwerke Frimmersdorf (bereits stillgelegt) und Neurath (mit den modernen BoA-Blöcken F und G). Die H2-fertigen Kraftwerke sollen eine Kapazität von zusammen drei Gigawatt haben und die Kapazität der drei großen BoA-Blöcke im Revier ersetzen.
Die Bundesregierung soll rasch die Rahmenbedingungen für den Bau schaffen. So sollen die modernen Kraftwerke möglichst noch in diesem Jahrzehnt ans Netz gehen und bis 2030 zu mindestens 50 und ab 2035 zu 100 Prozent mit CO2freiem Wasserstoff betrieben werden können.