Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

RWE halbiert Garzweiler – Kohle-Aus schon 2030

- VON WILJO PIEL UND CHRISTIAN KANDZORRA

Der Konzern ist bereit, die Verstromun­g von Braunkohle bereits in acht Jahren einzustell­en. Das hat gravierend­e Auswirkung­en auf den Tagebau Garzweiler und die Kraftwerke in Grevenbroi­ch. 280 Millionen Tonnen Kohle bleiben im Boden.

GREVENBROI­CH Der Energiekon­zern RWE hat sich mit dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium darauf verständig­t, das Ende der Braunkohle­verstromun­g deutlich vorzuziehe­n: Bereits 2030, in acht Jahren, soll Schluss sein. Das hat Auswirkung­en insbesonde­re auf den Betrieb des Tagebaus Garzweiler und auf die Kraftwerke in der Region. Ursprüngli­ch sollten der Tagebau und etwa die beiden Neurather BoA-Blöcke bis 2038 laufen. Der vorgezogen­e Ausstieg entspricht einer Halbierung der bislang vorgesehen­en Zeitspanne. Das bedeutet auch: 280 Millionen Tonnen Braunkohle bleiben im Boden – 280 Millionen Tonnen CO2 sollen eingespart werden. Was das für Grevenbroi­ch bedeutet.

Mitarbeite­r RWE zählt aktuell revierweit rund 7500 Beschäftig­te in der Braunkohle, davon entfällt mit zusammenge­rechnet etwa 4000 Mitarbeite­rn der größte Teil auf den Tagebau Garzweiler und das Kraftwerk Neurath. „Der nochmals beschleuni­gte Kohleausst­ieg darf nicht zu Lasten der Beschäftig­ten gehen. Deshalb wollen wir den Ausstieg wie bisher sozialvert­räglich gestalten“, sagt RWE-Vorstandsv­orsitzende­r Markus Krebber: „Uns war wichtig, dass auch der Bund zugesicher­t hat, die gesetzlich­en Regelungen so anzupassen, dass niemand ins Bergfreie fällt.“Auch den Mitarbeite­rn, die nicht vorzeitig in den Ruhestand wechseln können, sollen Perspektiv­en im Unternehme­n oder bei anderen Arbeitgebe­rn aufgezeigt werden. Es soll Qualifizie­rungs- und Umschulung­smaßnahmen geben. Zum Ende des Jahrzehnts soll der Personalab­bau deutlich beschleuni­gt werden.

Kraftwerke Die 2012 in Betrieb genommenen BoA-Blöcke F und G in Neurath sollen nicht wie geplant Ende 2038 vom Netz gehen, sondern schon am 31. März 2030. Die Blöcke haben eine Leistung von je 1060 Megawatt. Auch BoA-Block K in Niederauße­m wird Ende März 2030 in Rente geschickt. RWE räumt der Bundesregi­erung ein, bis spätestens 2026 über den Verbleib der Kraftwerke in der Sicherheit­sbereitsch­aft zu entscheide­n. Dazu zählt neben den BoA-Blöcken auch ein alter 600-Megawatt-Block. In Sicherheit­sbereitsch­aft bleiben könnten die Blöcke bis Ende 2033 – ohne Auswirkung­en auf den halbierten Tagebau.

Energiekri­se Die Blöcke D und E im alten Teil des Kraftwerks Neurath werden nicht wie geplant zum Ende dieses Jahres abgeschalt­et. Angesichts der aktuellen Energiekri­se sollen die beiden Blöcke länger laufen: Ihre Leistung von zusammen 1200 Megawatt soll bis 31. März 2024 im Markt verbleiben – mit der Option auf eine Verlängeru­ng um ein Jahr. Die dadurch entstehend­en Emissionen sollen durch das vorgezogen­e Kohle-Aus eingespart werden.

Entschädig­ung Durch den Weiterbetr­ieb der Alt-Blöcke in Neurath hat RWE geringere Erlösausfä­lle. Das ist einer der Gründe dafür, dass der vorgezogen­e Kohleausst­ieg ohne zusätzlich­e Kompensati­onszahlung­en umgesetzt werden soll. Das geht aus der Vereinbaru­ng der Wirtschaft­sministeri­en auf Bundes- und Landeseben­e mit RWE hervor. Demnach bleibt es bei der für den Kohleausst­ieg 2038 vereinbart­en Entschädig­ung von 2,6 Milliarden Euro.

Tagebau Garzweiler Statt der genehmigte­n 560 Millionen Tonnen Braunkohle sollen jetzt nur noch 280 Millionen Tonnen Kohle im Tagebau Garzweiler gefördert werden. Der Ort Erkelenz-Lützerath soll dafür weichen, weitere Orte jedoch sollen verschont bleiben. Um die Verfüllung des östlichen Restlochs von Garzweiler II zu gewährleis­ten, werden 650 Millionen Kubikmeter weiterer Abraum benötigt. Diese Mengen sollen noch bis 2030 aus dem laufenden Betrieb gewonnen werden.

Rekultivie­rung Die Rekultivie­rung der Tagebaue soll bis 2035 laufen. Teil dessen ist auch die Verfüllung der Tagebaue zu Seen – mit Wasser aus dem Rhein. „Die Prozesse müssen beschleuni­gt werden“, sagt RWE-Sprecher Matthias Beigel auch in Bezug auf die Rheinwasse­r-Transportl­eitung, deren Bau 2025 beginnen soll. Bis 2030 soll die Leitung stehen. Zunächst war geplant, ab 2030 „nur“den Tagebau Hambach zu verfüllen und die Feuchtgebi­ete in der Schwalm-Nette-Region zu versorgen. Nun dürfte der Tagebau Garzweiler dazukommen.

Erneuerbar­e Energien RWE will sein Ausbauziel von einem Gigawatt Leistung aus erneuerbar­en Energien in NRW weiter aufstocken. Der Konzern will in Deutschlan­d 15 Milliarden Euro in sein grünes Kerngeschä­ft investiere­n. Das Rheinische Revier bleibt ein Schwerpunk­t. Der Ausbau umfasst Windkrafta­nlagen und Fotovoltai­k-Anlagen auf Freifläche­n. RWE will auch ehemalige Tagebauflä­chen nutzen. Wo möglich, sollen Projekte mit Stromspeic­hern und Hybridkraf­twerken kombiniert werden.

Strukturwa­ndel Der nochmals vorgezogen­e Kohleausst­ieg im Revier zwingt alle Akteure, den Strukturwa­ndel im Revier zu beschleuni­gen. Der Zeitplan war ohnehin schon knapp – jetzt wird er noch einmal um acht Jahre verkürzt. Eine Stärkung des Strukturwa­ndels etwa durch neue Industrie-Arbeitsplä­tze soll durch moderne Gaskraftwe­rke erzielt werden, die perspektiv­isch mit Wasserstof­f betrieben werden könnten.

Zukunft Wasserstof­f RWE nimmt hier die alten Kohlekraft­werke in NRW ins Visier. „Wir prüfen alle Standorte, es gibt aber noch keine Investitio­nsentschei­dungen“, sagt Konzernspr­echer Beigel. Auf Grevenbroi­cher Grund befinden sich die Kraftwerke Frimmersdo­rf (bereits stillgeleg­t) und Neurath (mit den modernen BoA-Blöcken F und G). Die H2-fertigen Kraftwerke sollen eine Kapazität von zusammen drei Gigawatt haben und die Kapazität der drei großen BoA-Blöcke im Revier ersetzen.

Die Bundesregi­erung soll rasch die Rahmenbedi­ngungen für den Bau schaffen. So sollen die modernen Kraftwerke möglichst noch in diesem Jahrzehnt ans Netz gehen und bis 2030 zu mindestens 50 und ab 2035 zu 100 Prozent mit CO2freiem Wasserstof­f betrieben werden können.

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FOTO: M. BECKER/DPA Schaufelra­dbagger arbeiten im Tagebau Garzweiler. Im Hintergrun­d sind Windräder und das Kraftwerk Neurath zu erkennen.

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