Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Tagebau-Kommunen fordern einen Reviervertrag
Frühzeitigeres Kohle-Aus schürt die Sorge um das Gelingen des Strukturwandels. Verwaltungschefs formulieren Forderung.
GREVENBROICH (wilp/ki-) Das Revier wird acht Jahre früher aus der Braunkohle aussteigen, acht Jahre früher als geplant. Erste Reaktionen von Verwaltungschefs und Politikern aus dem Rhein-Kreis Neuss.
Klaus Krützen, Bürgermeister der Stadt Grevenbroich: „Mit einem Ausstieg 2030 war zu rechnen. Der Zeitpunkt jetzt überrascht jedoch. Wir befinden uns in einer Situation der Versorgungsunsicherheit. Ob es bis 2030 wirklich belastbare Alternativen zur Braunkohle gibt, ist noch längst nicht klar. Ich sehe den Ausstieg 2030 auch aus Arbeiternehmerperspektive. Für die Mitarbeiter ist das ein schwerer Schlag und nicht leicht zu verstehen. Erst wird die Braunkohle dringend benötigt und Kraftwerksblöcke gehen wieder ans Netz, dann wird früher abgeschaltet. Mit dem Aus 2030 gehen bis zu 4000 Arbeitsplätze verloren. Das bedeutet auch: Mit dem Strukturwandel muss es endlich schneller gehen, viel ist noch nicht zu sehen. Als Anrainer-Kommunen fordern wir einen Reviervertrag. Wenn die Ministerien schon Verträge mit RWE abschließen, um Dinge zukunftsfest zu gestalten, dann sollen sie das auch mit uns tun. In Sachen Strukturwandel muss jetzt mehr Dampf auf den Kessel kommen.“
Harald Zillikens, Bürgermeister der Stadt Jüchen: „Wir sind mit dem
Strukturwandel jetzt schon massiv im Rückstand. Mit dem KohleAus 2030, wenn es denn wirklich kommt, woran man mit Blick auf eine sichere Stromversorgung sehr wohl Zweifel haben kann, müsste jetzt viel mehr Tempo in die Strukturwandelprozesse kommen. Beispiel Revier-S-Bahn: Wir erleben die entscheidenden Akteure dickfellig und unflexibel. Wenn davon die Rede ist, dass die Bahn irgendwann Mitte der 2030er Jahre kommen soll, ist das einfach viel zu spät. Wir fordern, dass zumindest sofort schon mit dem Aus- und Umbau der Bahnhöfe begonnen werden kann. Die Verbesserungen dort würden auch schon nützen, wenn die S-Bahn noch nicht fährt. Was wir als Tagebau-Anrainerkommunen fordern: einen Reviervertrag, in dem deutlich geregelt ist, wie der Strukturwandel in den wenigen verbleibenden Jahren ablaufen soll. Vertreter von Land und Kommunen müssen jetzt schnell an einen Tisch kommen.“
Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein: „Die Mitteilung zum Kohleausstieg 2030 überrascht nicht, der Zeitpunkt ist allerdings wegen der weltweiten Energiekrise unglücklich. Die Versorgungssicherheit, insbesondere für unsere energieintensive Industrie, muss gewährleistet bleiben. Außerdem erhöht das den Druck auf den Strukturwandel. Bund und Land müssen nun schneller liefern bei der Infrastruktur und den Projekten, die Arbeitsplätze und Wertschöpfung ermöglichen sollen.“
Hans-Jürgen Petrauschke, Landrat: „Ein früheres Kohle-Aus war abzusehen. Die Frage ist allerdings, ob bis 2030 genügend andere Energiequellen vorhanden sein werden, damit die energieintensive Industrie, die wir vor Ort haben, gesichert ist. RWE sieht vor, an den Kraftwerksstandorten künftig Gaskraftwerke zu installieren, die für Verwendung von Wasserstoff geeignet sind. Sieben Jahre für Planung und Umrüstung halte ich allerdings für sehr sportlich. Da muss mehr Beschleunigung rein.“
Sven Ladeck, Vorsitzender der CDUKreistagsfraktion: „Der Ausstieg 2030 ist eine enorme Herausforderung. Wichtig ist eine Planungssicherheit für die energieintensive Industrie und ihre vielen Arbeitsplätze, um die ich mir große Sorgen mache. Da steht der Rhein-Kreis vor großen Herausforderungen. Fraglich, ob es in der jetzigen Zeit sinnvoll ist, auf Gaskraftwerke umzustellen.“
Erhard Demmer, Sprecher für Strukturwandel und Wirtschaft der Kreistags-Grünen: „Die politische Vereinbarung
zwischen Bund, Land und RWE ist eine gute Nachricht für den Rhein-Kreis und eine solide Grundlage, um den Strukturwandel anzukurbeln und insbesondere den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben.“
Heike Troles, CDU-Landstagsabgeordnete: „Ministerpräsident Hendrik Wüst hat bereits unter SchwarzGelb erklärt, dass NRW alles dafür tun werde, dass der Kohle-Ausstieg schon 2030 gelinge. Daher überrascht mich die jetzt getroffene Vereinbarung nicht. Versorgungssicherheit, bezahlbarer Strom, Planungssicherheit und Energiewende stehen weiterhin im Fokus und sind Voraussetzungen für das Gelingen eines nachhaltigen Strukturwandels. Oberstes Ziel muss sein, auf allen Ebenen eine Beschleunigung in Planungs- und Genehmigungsverfahren zu bekommen.“
Simon Rock, Landtagsabgeordneter der Grünen: „Der beschleunigte Kohleausstieg ist ein nennenswerter und notwendiger Schritt für eine gelingende Energiewende und zur Bekämpfung der Klimakrise. Wichtig für den Wirtschafts- und Industriestandort und die energieintensiven Unternehmen ist, dass unmittelbare Planungssicherheit hergestellt wird und Perspektiven für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien aufgezeigt werden.“