Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Beginn der Zuckerproduktion im Kloster Knechtsteden
Alles begann in der Zeit der französischen Besetzung des Rheinlandes. Zwischen 1801 und 1813 waren alle Deutschen des linken Rheinufers Bürger der Französischen Republik. In der Zeit der französischen Herrschaft im Rheinland gab es an verschiedenen Stellen erste Versuche zur Zuckerherstellung aus Rüben. Durch die sogenannte „Kontinentalsperre“war nämlich ein erheblicher Mangel an Rohrzucker entstanden. Da nur noch geringe Mengen dieses Rohrzuckers aus Übersee hereingeschmuggelt werden konnten, wurde er zu fast unerschwinglichen „Schmugglerpreisen“gehandelt.
Das veranlasste die Brüder Herbertz aus Uerdingen, nachdem sie bereits in Uerdingen eine „Zuckerrübenfabrik“gebaut und in Betrieb genommen hatten, auch in Dormagen die Zuckergewinnung aus Rüben zu erproben. Bei der Suche nach einem passenden Gebäude wurden sie schnell fündig. Die Franzosen hatten im Rahmen der Säkularisierung alle kirchlichen Einrichtungen geschlos- Auf einer Postkarte grüßte man aus Dorma- sen und für gen mit einem Bild der Fabrik. andere Ver- wendungen freigegeben. So erging es auch dem Kloster Knechtsteden, in dem nun genug Platz für andere Unternehmungen war. Das war auch den Brüdern Herbertz vom französischen Innenministerium berichtet worden. Sie erwarben am
5. Januar 1810 die Gebäude des säkularisierten Klosters zum Preis von 77.000 Franken. Am 14. September 1811 erhielten sie vom französischen Innenministerium die Erlaubnis zur Zuckerproduktion, wie die Akten belegen: „In den Gebäuden der früheren Prämonstratenserabtei wird nun Rübenrohzucker hergestellt, der dann in der Uerdinger Raffinerie weiter verarbeitet wird.“So entstand dort die erste Dormagener Zuckerfabrik.
Die Brüder benötigten natürlich große Mengen Zuckerrüben für ihre Anlage, auch deshalb, weil die Zuckerausbeute noch gering war. Sie sprachen dazu alle Bauern in der Umgebung von Dormagen an, forderten sie auf, ihre Produktion umzustellen – weg von der ausschließlichen Kornund Kartoffelproduktion – hin zum regelmäßigen Anbau der Zuckerrübe. Nur mühsam gelang zunächst die Auskristallisierung des Zuckersirups in der sogenannten Zuckerhütte. Doch gerade hier im Kloster machten die Brüder große Fortschritte. Bereits 1812 hatte sich das Verfahren schon deutlich verbessert.
Wie sehr die Brüder vom Erfolg dieses Vorhabens überzeugt waren, mag das aus dem Französischen übersetzte Schriftstück bezeugen, das sie 1812 an das französische Innenministerium schrieben: „Die
Brüder Henry Joseph und Jean Guilleaume Herbertz, Kaufleute in Uerdingen, erklären nach dem kaiserlichen Dekret vom 15. Januar des letzten Jahres durch das vorliegende Schriftstück, daß sie ihre Rübenzuckerfabrik in Knechtsteden, Bürgermeisterei Nievenheim, Kanton Dormagen, Arrondissement Köln, vollendet haben; und schließlich, daß dieses Unternehmen, das bei der Ernte des letzten Jahres 1811 nahezu 700.000 Kilogramm Zuckerrüben verarbeitet hat, sich bei der kommenden Ernte beweisen und 1 Million Kilogramm Zuckerrüben verarbeiten wird. Ausgestellt, Knechtsteden, den 5. März 1812“.
Die Zuckerausbeute war jedoch nach heutigem Maßstab sehr gering. Der verwertbare Zuckeranteil lag nur zwischen zwei und drei Prozent (heute ist der Mittelwert 19,5 Prozent). Als dann 1815 die Kontinentalsperre aufgehoben wurde und die Preise für Rohrzucker drastisch fielen, sank der Absatz dramatisch. Damit konnte sich der Rübenzucker gegenüber dem überseeischen Rohrzucker nicht mehr behaupten. Als eine der letzten Rübenzuckerfabriken im Rheinland stellte deshalb auch das Unternehmen der Gebrüder Herbertz 1818 den Betrieb ein. Für die Bauern war das ein herber Rückschlag.
Doch in Dormagen begann die Produktion nach der erzwungenen Pause von Neuem. Seit den 1830er Jahren hatte in Zons die Verwertung von Zuckerrüben zur Gewinnung von Zucker oder Rübenkraut eine besondere Bedeutung. Als 1837 die Zölle auf eingeführten Rohrzucker erneut stark erhöht wurden und entsprechend die Preise für Zucker anstiegen, versuchten der Zonser Gutsbesitzer Aldenhoven und Peter Schwengers ihr Glück mit der Produktion von Rübenzucker. Aldenhoven baute dazu eine Scheune um, in der dann die Zuckerrüben – wie zuvor in Knechtsteden – verarbeitet wurden. Im selben Jahr begann auch Peter Schwengers in Zons im Haus Rheinstraße 8 mit der Gewinnung von Rübenzucker. Bei einem öffentlichen Verkauf des Betriebes von Wilhelm Füsgen im Jahr 1840, ersteigerte Peter Schwengers dessen Niederlassung. Die enorme Produktivität des Betriebes wird deutlich, wenn man betrachtet, was hier versteigert wurde: u.a. 12.130 Pfund roher Zucker, 8.000 Pfund „Farinzucker“, 1.670 Pfund „Melis Zucker“und 7.100 Pfund Sirup. Wohl wegen mangelnder Rentabilität schloss aber der Betrieb des Peter Schwengers bereits 1842. Bis 1844 hielt Aldenhoven durch, dann schloss er aus wirtschaftlichen Gründen seine Zuckerrübenfabrik („Kruckpaasch“genannt).