Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Von Grenzen und Widerstand in der DDR
Zum Tag der Deutschen Einheit hat die Stadt Korschenbroich einen Festakt veranstaltet. Dabei berichtete der Journalist Siegbert Schefke von seinem bewegten Leben und zeigte selbstgefilmte Aufnahmen der Montagsdemonstrationen.
KORSCHENBROICH Geschichte live mitzuerleben und sie mitzugestalten: Das kann Siegbert Schefke von sich sagen. Er schilderte jetzt bei der Feier der Stadt Korschenbroich zum Tag der Deutschen Einheit anschaulich, „was möglich war in einer Zeit, in der nichts möglich schien.“Siegbert Schefke wurde 1959 in der DDR, in Eberswalde, geboren und erfuhr: „Auch in einer Diktatur ist die Kindheit schön.“Doch er merkte auch, dass er seine Ost-Oma in Prenzlau besuchen konnte, seine West-Oma in Recklinghausen jedoch nicht. Schefkes Vater animierte den Sohn, ein Studium zu versuchen. Doch nun begannen die Mühlen der Diktatur zu mahlen. In der Schule konnten nur die besten zwei das Abitur machen, Schefke gehörte nicht dazu. Seine Lehrerin sagte ihm warum: „Dein Klassenstandpunkt ist nicht gefestigt.“
Schefke konnte jedoch in Frankfurt an der Oder das Fachabitur machen, sein Wunsch: „Ich wollte Architekt werden.“Doch vor dem Studium wurde ihm der nächste Stein in den Weg gelegt. „Ich sollte drei Jahre zur Armee, wollte das aber nicht.“So leistete er 18 Monate Wehrdienst, verbrachte die Zeit mit 18 Soldaten auf einem Zimmer und durfte nur alle acht Wochen nach Hause fahren. Danach gelang es ihm, in Cottbus Hochbau zu studieren, und er stellte sich nicht zum ersten Mal die Frage: „Warum tut der Staat mir das an.“In dieser Zeit lernte er die „Reiseunfreiheit“der DDR kennen. Er fuhr in die Tschechoslowakei, nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien, kaufte sich in Budapest Kinokarten, um auf Leinwand die Rolling Stones zu sehen.
Zudem erwarb er Bücher, doch die „Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll“wurden an der Grenze konfisziert. Als 1982/83 Atomraketen in Ost und West stationiert wurden, protestierte Schefke mit seiner Unterschrift dagegen. Er wurde vom Studium exmatrikuliert, wurde zunächst Dachdecker, konnte später aber weiter studieren.
Für Sigbert Schefke begann nun eine Zeit, in der er etwas tun wollte, um „die 17 Millionen Menschen in der DDR zu sensibilisieren.“Er nahm telefonischen Kontakt mit Roland Jahn auf, der später die Behörde zu den Stasiunterlagen leitete und damals Kontakte zum Sender Freies Berlin hatte. Schefke begann zu filmen und unter großen Schwierigkeiten die Filmkassetten an westliche Medien zu schicken.
In einem kurzen Film zeigte Schefke bei der Feier im Ratssaal der Stadt die Montagsdemonstrationen in Leipzig. Gemeinsam mit seinem Freund Aram Radomski hatte Schefke die Menschenmengen gefilmt, auch am 9. Oktober 1989. „Damals wohnte ich in Berlin, wurde von der Stasi überwacht, bin über die Dächer zu einem Treffpunkt. Von dort sind Aram und ich nach Leipzig gefahren.“Als sie nach Berlin zurückkamen und Schefke wieder über die Dächer in seine Wohnung kam, „stand die Stasi immer noch vor der Tür.“Am 9. Oktober habe es noch keine Transparente bei der Demo gegeben, am 16. Oktober schon drei. „Es war still in Leipzig, man hörte die Leute gehen und ab und zu etwas rufen: ‚Völker erhebt euch‘ und ‚Wir sind das Volk‘.“Schefke filmte, wodurch es eine Öffentlichkeit gab, die der Staat zur Kenntnis nehmen musste. „Damals war eine chinesische Lösung geplant“, sagte Schefke. „Als wir nach Leipzig fuhren, überholten wir viele Militärfahrzeuge mit dem gleichen Ziel.“
Dann kam der 9. November 1989, Schabowski und sein Zettel. Schefke verabredete sich mit Freunden, um gemeinsam zu versuchen, über die Grenze zu gehen und sich in der Kneipe Kuckuckssei in Kreuzberg
zu treffen. An der Bornholmer Straße habe er, so Schefke, den Leiter der Übergangsstelle, Major Harald Jäger, so lange bequatscht, bis er ihm einen Stempel zur Ausreise in den Pass machte. „Mit Aram bin ich dann über die Brücke und habe nun West-Grenzer erwartet, aber da war keiner.“Schefke und Radomski gehörten an diesem Abend zu den ersten, die nach Westberlin kamen. „Zehn Tage später habe ich dann meine Oma in Recklinghausen besuchen können“, sagte Schefke, der heute als Redakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet.
Sigbert Schefke war nicht zum ersten Mal am Tag der Deutschen Einheit in Korschenbroich. Bereits 2012 berichtet er von seinen Erlebnissen. Daran erinnerte Bürgermeister Marc Venten zu Beginn der Feier.