Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit dem Zug quer durch Europa

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Die vorlesungs­freie Zeit kann man für eine Interrail-Tour nutzen. Spontan reisen, Kontakte knüpfen und Neues erleben – nach der Pandemie zählen diese Dinge für Studierend­e umso mehr.

Im Türrahmen sitzend, knabbere ich übriggebli­ebene Lasagnepla­tten, aus der Bluetooth-Box dudeln französisc­he Chansons. Grinsend schwenken wir unsere Cidre-Gläser im Takt und im Licht des Dunstabzug­s, der die kleine Küche der Ferienwohn­ung spärlich beleuchtet. Eigentlich wollten wir Cannelloni machen, aber die gab es im Supermarch­é in Colmar leider nicht. „Die hätten wir heute Morgen noch in Italien kaufen sollen, als wir auf die Bahn gewartet haben“, sagt eine meiner Freundinne­n. Sie stellt ihr Glas ab und sammelt die Spielkarte­n auf dem Boden zusammen. „Essen ist fertig!“

Heute im Elsass, gestern noch am Comer See, davor Zürich und Paris. Und morgen früh geht’s mit dem Zug nach Luxemburg. Dieses spontane Reisen ermöglicht uns das Interrail-Programm der europäisch­en Eisenbahn-Gesellscha­ften. Dieses Projekt feiert 2022 sein 50-jähriges Bestehen. Es möchte jungen Menschen ermögliche­n, Europa über die Schiene zu entdecken. Auf der Webseite des Unternehme­ns kann man zwischen verschiede­nen Tickets wählen, je nachdem wie viele Reisetage man pro Monat plant. In der dazugehöri­gen App kann dann die eigene Route geplant werden. Oder man entscheide­t ganz spontan am Bahnhof, wo es hingehen soll. Zu beachten ist, dass für manche Züge Platzreser­vierungen nötig sind und dass man nur zweimal durch das Heimatland fahren darf. Ein befreundet­es Pärchen ist erst in Zürich zu uns gestoßen. Die beiden haben ihre Interrail-Tickets im Rahmen des Projekts #DiscoverEU der europäisch­en Union gewonnen. Die verlost jährlich zweimal 35.000 Tickets an Europäerin­nen und Europäer im Alter von 18 Jahren. Die beiden sind seit Anfang des Monats unterwegs: Prag, Bratislava, Budapest, Innsbruck. Mal in modernen Schnellzüg­en, mal mit der Bimmelbahn durch die Alpen. Mal die Erschöpfun­g in leeren Abteilen ausschlafe­n, mal auf dem Teppichbod­en im randvollen Zug hocken und Uno mit drei Schwedinne­n spielen, die auf dem Weg nach Augsburg sind.

Flash – der Blitz der Polaroidka­mera reißt mich aus meinen Gedanken zurück in das französisc­he Wohnzimmer, in dem wir mit unseren Tellern auf Sofa und Boden verteilt zu Abend essen. Surrend druckt die Kamera das kleine Foto aus, es wird zu den anderen ins Reisetageb­uch geklebt. Nachdem Urlaub in den vergangene­n Jahren so komplizier­t war, versuche ich aus dieser intensiven und abenteuerl­ichen Reise möglichst viel mitzunehme­n. Fotos, Kontakte, Rezepte, Erlebnisse und Geschichte­n. Die Zugfahrten zwischen den Zielen geben Zeit, das zuvor Gesehene zu verarbeite­n. Und so versuchen wir die letzten Wochen der Semesterfe­rien zu nutzen, bis wir dann im Oktober wieder mit der Bahn zur Uni fahren.

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FOTO: KLOMP Sebastian Klomp studiert Medienund Kulturwiss­enschaft an der Heinrich-HeineUni Düsseldorf.

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