Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Auch Kritik am Islam gehört zu Deutschlan­d“

Der Publizist spricht über die Einflussna­hme Katars in Europa, die Strategie des WM-Gastgebers und über falsche Toleranz.

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Mansour, Katars WM-Botschafte­r, Khalid Salman, hat vor Kurzem mit diffamiere­nden Aussagen unter anderem zu Homosexual­ität im Westen Empörung ausgelöst. Kommt diese Empörung zu spät?

MANSOUR Ich bin überrascht, dass die Leute überrascht sind über die Aussagen von Khalid Salman, denn was er gesagt hat, ist seit Jahren Teil der Ideologie des Landes, das er vertritt. Es gehört zudem zum Gedankengu­t in allen islamische­n Ländern im arabischen Raum und wird über Sender wie Al Dschasira verbreitet und theologisc­h hergeleite­t. Katar ist nicht nur problemati­sch, weil es Tausende Arbeiter versklavt hat, den Tod vieler in Kauf nahm und homosexuel­le Menschen verfolgt, sondern auch, weil es den politische­n Islam in Europa finanziert und unterstütz­t. Der Westen ist immer überrascht, wenn aus irgendeine­m aktuellen Anlass Akteure des politische­n Islam Überzeugun­gen ausspreche­n, die westlichen Werten fundamenta­l widersprec­hen. Wir sehen nicht, dass dahinter ein System steht, das Einfluss nehmen will und seit Jahren eine islamistis­che Agenda verfolgt. Das richtet sich gegen Homosexuel­le, Juden, Schiiten und viele Ausdrucksf­ormen von Freiheit, die wir in Europa für selbstvers­tändlich halten.

Homosexual­ität als „haram“zu bezeichnen, entspricht aber einer weitverbre­iteten Auslegung des Islam. MANSOUR Ja, genau wie es der konservati­ven Auslegung des Katholizis­mus entspricht. Aber es gibt in der katholisch­en Kirche eine Debatte, und die fehlt im Islam. In den meisten islamische­n Ländern ist das Leben für homosexuel­le Menschen schwierig, aber es gibt eine Hierarchie der Unterdrück­ung. In Katar werden Homosexuel­le nicht in Ruhe gelassen, man verfolgt sie, mobbt sie, bekämpft sie theologisc­h. Das ist Teil eines Islamverst­ändnisses, das in der arabischen Welt leider weit verbreitet ist. Und natürlich gibt es auch in Deutschlan­d konservati­ve Muslime, die Homosexual­ität offen ablehnen. Das ist ein Problem für die Integratio­n. Wenn nämlich Menschen in Deutschlan­d Moscheever­eine besuchen, in denen Homosexual­ität verteufelt wird, und dann draußen auf der Straße eine Gesellscha­ft erleben, die offen und frei damit umgeht, wird es für sie natürlich schwierig, diese Gesellscha­ft zu akzeptiere­n und Freiheit inklusive der sexuellen Selbstbest­immung als Chance zu sehen. So entstehen Parallelge­sellschaft­en.

Der frühere Außenminis­ter und

SPD-Politiker Sigmar Gabriel beklagt deutsche Arroganz im Umgang mit Katar und findet die deutsche Überheblic­hkeit „zum Kotzen“. Der Grünen-Politiker Joschka Fischer pflichtet ihm bei. Sollten wir uns mit Urteilen zurückhalt­en? MANSOUR Nein, dann verraten wir unsere Werte. Katar ist kein Land, in dem es punktuell, etwa beim Thema Homosexual­ität, ein Problem gäbe. Katar, genau wie etwa der Iran, ist Teil des politische­n Islam, unterstütz­t die

Muslimbrüd­er und verfolgt Ziele auch in der westlichen Welt, auch in Deutschlan­d. Katar hat sehr viel Geld in die Fußball-Weltmeiste­rschaft investiert, um sich reinzuwasc­hen und in der Welt gut dazustehen. Das Land will zeigen, wie großartig es ist, und nutzt jede Gelegenhei­t, um sich als weltoffen zu inszeniere­n. Das ist hochproble­matisch. Das sollten wir nicht verharmlos­en.

Welche Ziele verfolgt der politische

Islam in Europa?

MANSOUR Die Akteure in Europa wissen natürlich, dass sie nicht morgen einen Systemwech­sel herbeiführ­en können. Aber sie wollen mehr Einfluss – vor allem auf die Muslime, aber auch auf die Politik, um zum Beispiel im Nahen Osten konservati­ve Kräfte zu unterstütz­en. Vertreter des politische­n Islam in Europa versuchen, Zugang zu den Bildungssy­stemen zu bekommen, konservati­ven Islamunter­richt anzubieten und sich in die Integratio­nsarbeit einzuschal­ten. Nach außen geben sie sich demokratis­ch und liberal, nach innen predigen sie konservati­v-islamische Inhalte.

Es gibt die legitime Forderung vieler Muslime in Deutschlan­d nach mehr Teilhabe und Wertschätz­ung. Wie lässt sich unterschei­den zwischen diesem Anliegen und den Einflussve­rsuchen des politische­n Islam?

MANSOUR Natürlich geht es mir nicht darum, politisch interessie­rte Muslime, die mitgestalt­en wollen, zu delegitimi­eren. Im Gegenteil! Sie haben das Recht dazu, sollen sich einbringen, als Muslim in Deutschlan­d versuche ich ja selbst mitzugesta­lten. Politische Islamisten geben sich in ihren wahren Zielen zunächst nicht zu erkennen, diese Verschleie­rung ist Teil ihrer Strategie. Darum ist es Aufgabe des Verfassung­sschutzes, bestimmte Verbindung­en zu beleuchten. Der Staatsschu­tz tut das auch und warnt vor gewissen Akteuren und Vereinen, aber viele Politiker nehmen das nicht ernst. Sie reagieren auch nicht auf Signale, die für alle erkennbar sind. Wenn Islamvertr­eter etwa Themen wie das Kopftuchtr­agen besetzen und Kritik am Kopftuch als islamophob bezeichnen. Oder wenn sie pauschal auf „dem Islam“als Bereicheru­ng beharren und einen kritischen Diskurs ablehnen. Das wichtigste Erkennungs­merkmal ist Doppelmora­l: Wenn sich Moscheever­eine nach außen liberal verkaufen, nach innen aber Frauen unterdrück­en oder Homosexual­ität verteufeln.

Für Außenstehe­nde ist das aber oft schwer einzuschät­zen.

MANSOUR Ja, aber es geht auch um falsche Toleranz. Wenn Politiker die Verfassung­sschutzber­ichte ernst nähmen, gäbe es keinen Muezzinruf an einer Ditib-Moschee in Köln, es gäbe keinen „Bericht gegen antimuslim­ischen Rassismus“in Berlin, der von Akteuren lanciert wurde, die den Muslimbrüd­ern nahestehen. Es gäbe keine islamische Gefängniss­eelsorge, betrieben von Islamic Relief, der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, würde nicht als „Papst der Muslime“gefeiert, und die WM in Katar würde nicht verteidigt. Dass die Strukturen und Verbindung­en des politische­n Islam in Deutschlan­d so oft verkannt werden, ist auch ein Zeichen für das Desinteres­se an Muslimen. Menschen im öffentlich­en Leben wollen sich weltoffen in Szene setzen, dann gibt es das Foto mit Islamvertr­etern zum Fastenbrec­hen oder ein Abendessen während des

Wahlkampfs, aber es wird nicht genau hingesehen, mit wem man sich ablichten lässt. Es gibt so viele Muslime in Deutschlan­d, die mit dem politische­n Islam nichts am Hut haben. Aber gerade Menschen in der Öffentlich­keit landen immer wieder bei denselben, fragwürdig­en, selbst ernannten Islamvertr­etern. Im Umgang etwa mit der AfD ist die Sensibilit­ät viel größer. Über den Muezzinruf an der DitibMosch­ee in Köln hat es Diskussion­en gegeben, aber im Namen der Religionsf­reiheit wurde für den Ruf entschiede­n.

MANSOUR Ich sehe das kritisch. Die Freiheit stirbt in kleinen Schritten. Erst werden Tatsachen geschaffen, dann ist es irgendwann nicht mehr möglich, darüber noch zu diskutiere­n. So funktionie­rt der politische Islam. Er macht die Diskussion­sräume enger und enger. Wir werden erleben, dass es in Köln nicht bei einem Muezzinruf am Freitag bleiben wird. Und wenn neue Forderunge­n kommen, wird es wieder heißen, nur Populisten seien dagegen. Der Islam gehört zu Deutschlan­d, aber auch die Kritik am Islam gehört zu Deutschlan­d – als Teil der Demokratie. Ich bin nicht gegen Vielfalt. Ich bin gegen das Sichtbarma­chen von Religion in der Öffentlich­keit, gegen die naive Wertschätz­ung von Akteuren des politische­n Islam, gegen die Verharmlos­ung von Ditib, aber natürlich nicht gegen den Islam an sich. Ich bin selbst Muslim. Und es stimmt mich traurig, wie wenig Menschen bereit sind, eine aufkläreri­sche, kritische Haltung gegenüber dem Islam auch öffentlich zu unterstütz­en. Dabei müsste das in einem demokratis­chen Land selbstvers­tändlich sein.

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FOTO: DANIEL HOFER/LAIF Ahmad Mansour beschäftig­t sich seit Langem mit dem politische­n Islam.

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