Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Auch Kritik am Islam gehört zu Deutschland“
Der Publizist spricht über die Einflussnahme Katars in Europa, die Strategie des WM-Gastgebers und über falsche Toleranz.
Herr Mansour, Katars WM-Botschafter, Khalid Salman, hat vor Kurzem mit diffamierenden Aussagen unter anderem zu Homosexualität im Westen Empörung ausgelöst. Kommt diese Empörung zu spät?
MANSOUR Ich bin überrascht, dass die Leute überrascht sind über die Aussagen von Khalid Salman, denn was er gesagt hat, ist seit Jahren Teil der Ideologie des Landes, das er vertritt. Es gehört zudem zum Gedankengut in allen islamischen Ländern im arabischen Raum und wird über Sender wie Al Dschasira verbreitet und theologisch hergeleitet. Katar ist nicht nur problematisch, weil es Tausende Arbeiter versklavt hat, den Tod vieler in Kauf nahm und homosexuelle Menschen verfolgt, sondern auch, weil es den politischen Islam in Europa finanziert und unterstützt. Der Westen ist immer überrascht, wenn aus irgendeinem aktuellen Anlass Akteure des politischen Islam Überzeugungen aussprechen, die westlichen Werten fundamental widersprechen. Wir sehen nicht, dass dahinter ein System steht, das Einfluss nehmen will und seit Jahren eine islamistische Agenda verfolgt. Das richtet sich gegen Homosexuelle, Juden, Schiiten und viele Ausdrucksformen von Freiheit, die wir in Europa für selbstverständlich halten.
Homosexualität als „haram“zu bezeichnen, entspricht aber einer weitverbreiteten Auslegung des Islam. MANSOUR Ja, genau wie es der konservativen Auslegung des Katholizismus entspricht. Aber es gibt in der katholischen Kirche eine Debatte, und die fehlt im Islam. In den meisten islamischen Ländern ist das Leben für homosexuelle Menschen schwierig, aber es gibt eine Hierarchie der Unterdrückung. In Katar werden Homosexuelle nicht in Ruhe gelassen, man verfolgt sie, mobbt sie, bekämpft sie theologisch. Das ist Teil eines Islamverständnisses, das in der arabischen Welt leider weit verbreitet ist. Und natürlich gibt es auch in Deutschland konservative Muslime, die Homosexualität offen ablehnen. Das ist ein Problem für die Integration. Wenn nämlich Menschen in Deutschland Moscheevereine besuchen, in denen Homosexualität verteufelt wird, und dann draußen auf der Straße eine Gesellschaft erleben, die offen und frei damit umgeht, wird es für sie natürlich schwierig, diese Gesellschaft zu akzeptieren und Freiheit inklusive der sexuellen Selbstbestimmung als Chance zu sehen. So entstehen Parallelgesellschaften.
Der frühere Außenminister und
SPD-Politiker Sigmar Gabriel beklagt deutsche Arroganz im Umgang mit Katar und findet die deutsche Überheblichkeit „zum Kotzen“. Der Grünen-Politiker Joschka Fischer pflichtet ihm bei. Sollten wir uns mit Urteilen zurückhalten? MANSOUR Nein, dann verraten wir unsere Werte. Katar ist kein Land, in dem es punktuell, etwa beim Thema Homosexualität, ein Problem gäbe. Katar, genau wie etwa der Iran, ist Teil des politischen Islam, unterstützt die
Muslimbrüder und verfolgt Ziele auch in der westlichen Welt, auch in Deutschland. Katar hat sehr viel Geld in die Fußball-Weltmeisterschaft investiert, um sich reinzuwaschen und in der Welt gut dazustehen. Das Land will zeigen, wie großartig es ist, und nutzt jede Gelegenheit, um sich als weltoffen zu inszenieren. Das ist hochproblematisch. Das sollten wir nicht verharmlosen.
Welche Ziele verfolgt der politische
Islam in Europa?
MANSOUR Die Akteure in Europa wissen natürlich, dass sie nicht morgen einen Systemwechsel herbeiführen können. Aber sie wollen mehr Einfluss – vor allem auf die Muslime, aber auch auf die Politik, um zum Beispiel im Nahen Osten konservative Kräfte zu unterstützen. Vertreter des politischen Islam in Europa versuchen, Zugang zu den Bildungssystemen zu bekommen, konservativen Islamunterricht anzubieten und sich in die Integrationsarbeit einzuschalten. Nach außen geben sie sich demokratisch und liberal, nach innen predigen sie konservativ-islamische Inhalte.
Es gibt die legitime Forderung vieler Muslime in Deutschland nach mehr Teilhabe und Wertschätzung. Wie lässt sich unterscheiden zwischen diesem Anliegen und den Einflussversuchen des politischen Islam?
MANSOUR Natürlich geht es mir nicht darum, politisch interessierte Muslime, die mitgestalten wollen, zu delegitimieren. Im Gegenteil! Sie haben das Recht dazu, sollen sich einbringen, als Muslim in Deutschland versuche ich ja selbst mitzugestalten. Politische Islamisten geben sich in ihren wahren Zielen zunächst nicht zu erkennen, diese Verschleierung ist Teil ihrer Strategie. Darum ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, bestimmte Verbindungen zu beleuchten. Der Staatsschutz tut das auch und warnt vor gewissen Akteuren und Vereinen, aber viele Politiker nehmen das nicht ernst. Sie reagieren auch nicht auf Signale, die für alle erkennbar sind. Wenn Islamvertreter etwa Themen wie das Kopftuchtragen besetzen und Kritik am Kopftuch als islamophob bezeichnen. Oder wenn sie pauschal auf „dem Islam“als Bereicherung beharren und einen kritischen Diskurs ablehnen. Das wichtigste Erkennungsmerkmal ist Doppelmoral: Wenn sich Moscheevereine nach außen liberal verkaufen, nach innen aber Frauen unterdrücken oder Homosexualität verteufeln.
Für Außenstehende ist das aber oft schwer einzuschätzen.
MANSOUR Ja, aber es geht auch um falsche Toleranz. Wenn Politiker die Verfassungsschutzberichte ernst nähmen, gäbe es keinen Muezzinruf an einer Ditib-Moschee in Köln, es gäbe keinen „Bericht gegen antimuslimischen Rassismus“in Berlin, der von Akteuren lanciert wurde, die den Muslimbrüdern nahestehen. Es gäbe keine islamische Gefängnisseelsorge, betrieben von Islamic Relief, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, würde nicht als „Papst der Muslime“gefeiert, und die WM in Katar würde nicht verteidigt. Dass die Strukturen und Verbindungen des politischen Islam in Deutschland so oft verkannt werden, ist auch ein Zeichen für das Desinteresse an Muslimen. Menschen im öffentlichen Leben wollen sich weltoffen in Szene setzen, dann gibt es das Foto mit Islamvertretern zum Fastenbrechen oder ein Abendessen während des
Wahlkampfs, aber es wird nicht genau hingesehen, mit wem man sich ablichten lässt. Es gibt so viele Muslime in Deutschland, die mit dem politischen Islam nichts am Hut haben. Aber gerade Menschen in der Öffentlichkeit landen immer wieder bei denselben, fragwürdigen, selbst ernannten Islamvertretern. Im Umgang etwa mit der AfD ist die Sensibilität viel größer. Über den Muezzinruf an der DitibMoschee in Köln hat es Diskussionen gegeben, aber im Namen der Religionsfreiheit wurde für den Ruf entschieden.
MANSOUR Ich sehe das kritisch. Die Freiheit stirbt in kleinen Schritten. Erst werden Tatsachen geschaffen, dann ist es irgendwann nicht mehr möglich, darüber noch zu diskutieren. So funktioniert der politische Islam. Er macht die Diskussionsräume enger und enger. Wir werden erleben, dass es in Köln nicht bei einem Muezzinruf am Freitag bleiben wird. Und wenn neue Forderungen kommen, wird es wieder heißen, nur Populisten seien dagegen. Der Islam gehört zu Deutschland, aber auch die Kritik am Islam gehört zu Deutschland – als Teil der Demokratie. Ich bin nicht gegen Vielfalt. Ich bin gegen das Sichtbarmachen von Religion in der Öffentlichkeit, gegen die naive Wertschätzung von Akteuren des politischen Islam, gegen die Verharmlosung von Ditib, aber natürlich nicht gegen den Islam an sich. Ich bin selbst Muslim. Und es stimmt mich traurig, wie wenig Menschen bereit sind, eine aufklärerische, kritische Haltung gegenüber dem Islam auch öffentlich zu unterstützen. Dabei müsste das in einem demokratischen Land selbstverständlich sein.