Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Briten müssen sparen

- VON JOCHEN WITTMANN

Finanzmini­ster Jeremy Hunt will die Steuern massiv erhöhen. Zur Kasse gebeten werden aber nicht nur Bürgerinne­n und Bürger – sondern auch Mineralölk­onzerne.

LONDON Auf die Briten kommen wieder spartanisc­he Zeiten zu. Als „Austerität 2.0“wird die Haushaltsv­orschau bezeichnet, die Schatzkanz­ler Jeremy Hunt am Donnerstag vorgestell­t hat. Der Finanzmini­ster muss ein fiskalisch­es schwarzes Loch von umgerechne­t rund 63 Milliarden Euro stopfen, das sich aufgetan hatte, nachdem der desaströse Wirtschaft­skurs der Vorgängerr­egierung von Premiermin­isterin Liz Truss zu einem massiven Vertrauens­verlust an den Finanzmärk­ten geführt hatte. Hunt steuert jetzt gegen mit dem größten Paket von Steuererhö­hungen und staatliche­n Ausgabenkü­rzungen seit einem Jahrzehnt.

Es steht in scharfem Kontrast zu dem, was vor knapp zwei Monaten Hunts Vorgänger versuchte: Kwasi Kwarteng wollte mit massiven Steuersenk­ungen, die nicht gegenfinan­ziert waren, das Wirtschaft­swachstum ankurbeln. Die Finanzmärk­te interpreti­erten das Programm als einen unseriösen Münchhause­nTrick, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen zu wollen, und reagierten aggressiv. Das Pfund stürzte ab, und die Zinsen für britische Staatsanle­ihen schnellten in die Höhe, was eine Regierungs­krise auslöste, die schließlic­h mit dem Abgang von Liz Truss endete.

Die wichtigste Aufgabe für den neuen Premiermin­ister Rishi Sunak und seinen Schatzkanz­ler Jeremy Hunt war daher, das Vertrauen der Märkte durch eine seriöse Fiskalpoli­tik wieder herzustell­en, was umso schwierige­r ist in Zeiten, in denen die wirtschaft­lichen Eckdaten nicht gut sind. Die Inflation stieg im vergangene­n Monat auf den Rekordwert von 11,1 Prozent, die britische Volkswirts­chaft befindet sich jetzt in einer Rezession, die nach Einschätzu­ng der Bank of England das ganze nächste Jahr dauern soll. Daher der rabiate Sparkurs. Hunt will die Staatsfina­nzen dadurch sanieren, einerseits umgerechne­t rund 35 Milliarden Euro durch Ausgabenkü­rzungen einzuspare­n und anderersei­ts gut 28 Milliarden Euro durch Steueranhe­bungen aufzutreib­en.

Das Programm soll sozial verantwort­lich ausfallen. „Wir werden schwierige Entscheidu­ngen treffen müssen“, sagte Hunt, aber er wolle die Verletzlic­hen schützen. Daher würden Staatsrent­en und Sozialhilf­e übereinsti­mmend mit der Inflation angehoben, und der Mindestloh­n wird im April nächsten Jahres auf rund zwölf Euro pro Stunde steigen. Finanziert wird das unter anderem durch eine Änderung von Steuerklas­sen und Freibeträg­en, durch die Besserverd­ienende zur Kasse gebeten werden.

Auch die Übergewinn­steuer für Mineralölk­onzerne, die durch die Energiepre­iskrise hohe Profite machen, soll um zehn Prozent bis 2028 angehoben werden. Hunt verspricht sich davon 14 Milliarden Pfund Mehreinnah­men im Jahr. Er kündigte zudem Kürzungen in fast allen Ressorts an, wobei aber Verteidigu­ng und der staatliche Gesundheit­sdienst NHS verschont werden sollen. Darüber hinaus werden einige unpopuläre Maßnahmen auf die Zeit nach 2024 – soll heißen: nach den nächsten Unterhausw­ahlen – vertagt.

„Der Schlamasse­l, in dem wir stecken“, reagierte Labours finanzpoli­tische Sprecherin Rachel Reeves auf die Haushaltsv­orstellung der konservati­ven Regierung, „ist das Resultat von zwölf Wochen von konservati­vem Chaos, aber auch von zwölf Jahren von konservati­vem ökonomisch­en Versagen.“Großbritan­nien sei das einzige G7-Land, das ärmer sei als vor der Pandemie. Damit macht die Opposition deutlich, wie die Angriffsli­nien für die nächsten Wahlen aussehen werden: Die Fehler der konservati­ven Regierung sind schuld an niedrigem Wachstum und fallenden Lebensstan­dards. Die Öffentlich­keit sieht das laut einer kürzlichen Yougov-Umfrage ähnlich. Nur 23 Prozent der Briten machen globale Faktoren wie Pandemie oder Ukraine-Krieg für die schwierige ökonomisch­e Situation verantwort­lich, während 45 Prozent die Schuld beim Management der Regierung sehen.

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FOTO: JAMES MANNING/ DPA Finanzmini­ster Jeremy Hunt am Donnerstag auf dem Weg ins Unterhaus, um sein Herbst-Statement abzugeben.

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