Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Desaster
Das Bürgerschützenwesen am Niederrhein ist bis heute von einem völlig überholten Rollen- und Gesellschaftsbild geprägt. Als ich Mitte der Neunziger an den Niederrhein zog, bekam ich bald die Anfrage, mich einem der zahlreichen örtlichen Schützenzüge anzuschließen. Als ich vom Ausschluss der Frauen aus den Bürgerschützenvereinen erfuhr, wurde mir klar wurde, dass die „modernen“Schützen gesellschaftlich noch rückständiger sind als die historischen, deren Wurzeln weit ins Mittelalter zurückreichen, die sich aber längst für Frauen geöffnet haben und sich auch von Schützenköniginnen anführen lassen. Mit solch einem Vereinswesen konnte und kann ich bis heute nichts anfangen. Und damit bin ich, was die Mitgliederentwicklung bei den Schützen zeigt, offenbar nicht mehr alleine.
Es ist mehr als beschämend, wie die Debatte, Frauen als passive Mitglieder im NBSV aufzunehmen, seitens des Komitees geführt wird. Die ewig Gestrigen sind hier augenscheinlich unterwegs, die offenkundig noch nicht bemerkt haben, dass sich Gesellschaft verändert und wir im 21. Jahrhundert angekommen sind. Tradition kann nur dann überleben, wenn sie sich an die gesellschaftliche Entwicklung anpasst. Wir leben, Gott sei Dank, schon lange nicht mehr nach dem Motto: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, drinnen waltet die züchtige Frau“. Bei dem Verhalten des Komitees könnte
der Bürger*innen zu diesem Thema zu stärken und zur Unterstützung aufzurufen: Was bedeutet es, Schütze zu sein? Heimatliebe, Brauchtum, Stolz, Freundschaft und Verbundenheit sind bestimmt nur einige Begriffe und Emotionen, die ein Schütze mit seiner Mitgliedschaft verbindet. Marschieren oder nicht, was viele in der Debatte um die Mitgliedschaft von Frauen vergessen, ist dass neben dieser emotionalen, gesellschaftlichen Verbindung zum Schützenfest auch die politische und berufliche dazugehört. Wer Neusser Schütze ist profitiert von einem großen Netzwerk und somit unzähligen Möglichkeiten und Vorteilen in Beruf und Politik. Nicht umsonst heißt es: „Wer in Neuss Bürgermeister werden will, muss Schütze sein.“Die Außenseiterrolle, in die wir Frauen gedrängt werden, beschränkt sich also nicht nur auf das Schützenfest, sondern hat auch Auswirkungen im Berufsleben. An dieser Stelle muss man sich fragen: Aus welchem Grund wird im Jahr 2022 weiterhin eine gesamte gesellschaftliche Schicht von einem Verein diskriminiert, der sich der Gemeinnützigkeit rühmt? Was für ein Armutszeugnis ist es, die passive Mitgliedschaft für Frauen nach widersprüchlichsten Aussagen und Handlungen wiedereinzuführen und das als Fortschritt zu deklarieren? Außerhalb Neuss’ stößt die Diskriminierung der Frauen durch den Schützenverein nur auf Entrüstung und Unverständnis – eine Reaktion und Haltung, die mehr Bürger*innen innerhalb der Stadtgrenzen laut und offen zeigen sollten.
trennt. Ich habe mich bereits als Kind tierisch über die mitmarschierenden Musikerinnen in den Kapellen gefreut. Jetzt, da die Beiträge steigen, sollte man sich doch ohnehin über jedes „Röske“freuen, welches sich einbringen möchte. Keine
Angst vor einer „Übernahme“, mein Mitleid mit solch verklärten Herren hält sich – gelinde gesagt – in Grenzen. Wir schreiben 2022, seien wir doch mal Vorreiter, nicht Ewiggestrig. Danke!