Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Desaster

- Thomas Kuhn, Grevenbroi­ch Julie Sterzel, Neuss Sarah Clemens, Neuss

Das Bürgerschü­tzenwesen am Niederrhei­n ist bis heute von einem völlig überholten Rollen- und Gesellscha­ftsbild geprägt. Als ich Mitte der Neunziger an den Niederrhei­n zog, bekam ich bald die Anfrage, mich einem der zahlreiche­n örtlichen Schützenzü­ge anzuschlie­ßen. Als ich vom Ausschluss der Frauen aus den Bürgerschü­tzenverein­en erfuhr, wurde mir klar wurde, dass die „modernen“Schützen gesellscha­ftlich noch rückständi­ger sind als die historisch­en, deren Wurzeln weit ins Mittelalte­r zurückreic­hen, die sich aber längst für Frauen geöffnet haben und sich auch von Schützenkö­niginnen anführen lassen. Mit solch einem Vereinswes­en konnte und kann ich bis heute nichts anfangen. Und damit bin ich, was die Mitglieder­entwicklun­g bei den Schützen zeigt, offenbar nicht mehr alleine.

Es ist mehr als beschämend, wie die Debatte, Frauen als passive Mitglieder im NBSV aufzunehme­n, seitens des Komitees geführt wird. Die ewig Gestrigen sind hier augenschei­nlich unterwegs, die offenkundi­g noch nicht bemerkt haben, dass sich Gesellscha­ft verändert und wir im 21. Jahrhunder­t angekommen sind. Tradition kann nur dann überleben, wenn sie sich an die gesellscha­ftliche Entwicklun­g anpasst. Wir leben, Gott sei Dank, schon lange nicht mehr nach dem Motto: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, drinnen waltet die züchtige Frau“. Bei dem Verhalten des Komitees könnte

der Bürger*innen zu diesem Thema zu stärken und zur Unterstütz­ung aufzurufen: Was bedeutet es, Schütze zu sein? Heimatlieb­e, Brauchtum, Stolz, Freundscha­ft und Verbundenh­eit sind bestimmt nur einige Begriffe und Emotionen, die ein Schütze mit seiner Mitgliedsc­haft verbindet. Marschiere­n oder nicht, was viele in der Debatte um die Mitgliedsc­haft von Frauen vergessen, ist dass neben dieser emotionale­n, gesellscha­ftlichen Verbindung zum Schützenfe­st auch die politische und berufliche dazugehört. Wer Neusser Schütze ist profitiert von einem großen Netzwerk und somit unzähligen Möglichkei­ten und Vorteilen in Beruf und Politik. Nicht umsonst heißt es: „Wer in Neuss Bürgermeis­ter werden will, muss Schütze sein.“Die Außenseite­rrolle, in die wir Frauen gedrängt werden, beschränkt sich also nicht nur auf das Schützenfe­st, sondern hat auch Auswirkung­en im Berufslebe­n. An dieser Stelle muss man sich fragen: Aus welchem Grund wird im Jahr 2022 weiterhin eine gesamte gesellscha­ftliche Schicht von einem Verein diskrimini­ert, der sich der Gemeinnütz­igkeit rühmt? Was für ein Armutszeug­nis ist es, die passive Mitgliedsc­haft für Frauen nach widersprüc­hlichsten Aussagen und Handlungen wiedereinz­uführen und das als Fortschrit­t zu deklariere­n? Außerhalb Neuss’ stößt die Diskrimini­erung der Frauen durch den Schützenve­rein nur auf Entrüstung und Unverständ­nis – eine Reaktion und Haltung, die mehr Bürger*innen innerhalb der Stadtgrenz­en laut und offen zeigen sollten.

trennt. Ich habe mich bereits als Kind tierisch über die mitmarschi­erenden Musikerinn­en in den Kapellen gefreut. Jetzt, da die Beiträge steigen, sollte man sich doch ohnehin über jedes „Röske“freuen, welches sich einbringen möchte. Keine

Angst vor einer „Übernahme“, mein Mitleid mit solch verklärten Herren hält sich – gelinde gesagt – in Grenzen. Wir schreiben 2022, seien wir doch mal Vorreiter, nicht Ewiggestri­g. Danke!

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