Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit Rasierscha­um gegen 1500 Asia-Hornissen

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

Am Donnerstag ist ein geschätzt fünf Kilogramm schweres Nest der Asiatische­n Hornisse aus einem Frimmersdo­rfer Straßenbau­m entfernt worden. Zwei Fachleute sind den invasiven Tierchen mit speziellem Equipment zu Leibe gerückt.

FRIMMERSDO­RF Medienrumm­el am frühen Donnerstag­abend auf der Frankenstr­aße in Frimmersdo­rf: Zahlreiche Journalist­en von Radio, Fernsehen und Zeitung versammelt­en sich unweit des ReweMarkte­s in einem eigens gesperrten Abschnitt – die Objektive der Kameras in die Krone einer Linde am Straßenran­d gerichtet. Denn da hing etwas, das es so in Grevenbroi­ch noch nie gegeben hat: ein geschätzt fünf Kilogramm schweres Nest der Asiatische­n Hornisse mit einem stattliche­n Durchmesse­r von etwa 60 Zentimeter­n. Der Inhalt: quickleben­dig. „Ich gehe davon aus, dass etwa 1500 bis 2000 Hornissen noch im Nest sind“, sagte Thomas Beissel, Hornissenb­erater aus dem Rhein-SiegKreis. Er war von der Unteren Naturschut­zbehörde des Rhein-Kreises Neuss verständig­t und mit der Beseitigun­g des XXL-Nests beauftragt worden.

So stieg Beissel mit seinem Kollegen Dirk Wacker während der einsetzend­en Dämmerung – beide eingepackt in dicke „Astronaute­nanzüge“– in den Korb einer Feuerwehr-Drehleiter. Ihre Mission: die Tiere mit CO2 betäuben, anschließe­nd mit einem Insektizid töten und das Nest verschließ­en. Dabei kamen auch denkbar einfache Mittel zum Einsatz. „Es klingt witzig, aber der Einsatz von Rasierscha­um ist eine effektive Methode, um die Einfluglöc­her zu verschließ­en“, sagte Beissel. „Da kommen die Tiere nicht durch.“Gesagt, getan: Zehn Minuten dauerte die Sprüh-Aktion in luftigen 15 Metern Höhe. Dann konnten die beiden Männer im Korb mit einer großen Schere den Ast kappen, an dem die summenden Tierchen monatelang ihr Nest gebaut hatten. Die Fachleute hievten den runden „Ballon“in ihren Korb – und tüteten ihn am Boden sicher ein.

Nicht nur Journalist­en verfolgten das Spektakel auf der Frankenstr­aße: Unter den Zuschauern tummelte sich auch Ralf Dietrich vom Grevenbroi­cher

Schneckenh­aus. „So ein Nest habe ich bisher nur auf Fotos gesehen, noch nie hier in Grevenbroi­ch“, sagte er. Dietrichs Wunsch: Er wollte ein „Grevenbroi­cher“Exemplar der Asiatische­n Hornisse sichern, um es Kindern zeigen zu können, die das Umweltzent­rum besuchen. „Ich würde das gern in unsere Sammlung aufnehmen.“

Auch Anwohner waren nach draußen gekommen und richteten ihre Blicke in die Baumkrone. Viele hatten schließlic­h monatelang „nachbarsch­aftlich“mit den Asiatische­n Hornissen gelebt. Und sie bewiesen auch bei der Beseitigun­g des Nests einigen Mut. Denn bevor es ans Eingemacht­e ging, hatte Thomas Beissel noch eine Warnung ausgesproc­hen: „Wenn ihr gestochen werdet, rennt – und zwar in geschlosse­ne Räume. Der Stich an sich ist zwar nicht schlimm, ungefähr so wie ein Wespenstic­h. Aber wenn ihr gestochen werdet, seid ihr ,markiert‘. Dann dauert es keine 30 Sekunden, und es kommen noch mehr Hornissen.“

Obwohl bei der ungewöhnli­chen Bergungsak­tion so einige Hornissen aufgeschre­ckt wurden und wild umherfloge­n, ist es unterm Strich friedlich geblieben. Kein Stich, keine Komplikati­onen. Beissels Fazit: „Das Nest war schon relativ ruhig.“Der Fachmann sprach von einer „guten Größe“, es sei bereits das siebte Nest der invasiven Art, das er in diesem Jahr entfernt hat.

Dass die Aktion in der einsetzend­en Dämmerung stattfand, hat einen Grund. Denn anders als die hier heimischen Hornissen sind ihre Artgenosse­n aus Asien nicht nachtaktiv. Das bedeutet: Mit der Beseitigun­g am Abend dürften die HornissenF­achleute sehr viele Exemplare „daheim“erwischt haben. Die exotische Art soll bis Mitte Dezember und bei Temperatur­en von bis zu fünf Grad aktiv sein – ein viel längerer Lebenszykl­us als der der heimischen Hornissen. „Wir müssen die Asiatische­n Hornissen töten, das ist eine EU-Vorgabe, weil es sich um eine invasive Art handelt“, begründete Beissel. Die Art sei 2004 zum ersten Mal in Frankreich gesichtet worden, mutmaßlich eingewande­rt durch einen Töpferware­n-Import aus China. Die Asiatische­n Hornissen sind für den Menschen zwar nicht gefährlich­er als die hier heimischen Arten. Allerdings breitet sich die Variante aus Fernost rasant aus – und gilt als Feind etwa von Bienen. Sie bedroht das hiesige Ökosystem.

Eines der etwa drei Zentimeter großen Tierchen kann Ralf Dietrich nun auch den Besuchern des Schneckenh­auses zeigen: Er hat sich ein „abgestürzt­es“Exemplar in einem Bonbon-Döschen gesichert. Und das große Nest? „Das wird untersucht“, sagte Thomas Beissel. So soll eine ausführlic­he Bestandsau­fnahme erstellt werden, die Forschung verspricht sich durch die Auswertung nähere Erkenntnis­se über die Art.

Allzu große Hoffnung, dass sie nun Ruhe haben vor Asiatische­n Hornissen, macht Thomas Beissel den Frimmersdo­rfern aber nicht. „Ich gehe davon aus, dass wir 250 bis 300 Jungkönigi­nnen heute Abend nicht erwischt haben“, sagte er. Genau diese Jungkönigi­nnen, die nun vermutlich irgendwo in der Nähe überwinter­n, werden im kommenden Jahr ausfliegen und neue Nester bauen. „Vorsichtig geschätzt: fünf bis zehn werden es sein.“Die Wahrschein­lichkeit, dass Beissel und sein Kollege 2023 wieder im Grevenbroi­cher Süden mit Schutzanzü­gen, CO2Lanze und Sprühdose unterwegs sein werden, ist also groß.

„Ich gehe davon aus, dass etwa 1500 bis 2000 Hornissen noch im Nest sind“Thomas Beissel Hornissenb­erater

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FOTOS: CKA Thomas Beissel (mit Sprühdose) und sein Kollege Dirk Wacker nähern sich im Korb der Feuerwehr-Drehleiter dem riesigen Hornissenn­est. Die Männer nähern sich niemals allein den Tieren – falls doch etwas passiert.
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Das Medieninte­resse an der Beseitigun­g des bemerkensw­ert großen InsektenHe­ims war riesig. Hier wird Thomas Beissel von einem Fernsehtea­m interviewt.
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Die Feuerwehr leistete Amtshilfe und stellte ihre Drehleiter.
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Dicker „Ballon“: Das mit Schaum verschloss­ene Nest im XXL-Format.
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Eingewande­rt aus Fernost: Ein abgestorbe­nes Exemplar im Detail.

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