Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Verantwortung in der Doppelkrise
Es war eine der schwersten Tarifrunden überhaupt: Die Pandemie ist nicht vorbei, die Energiekrise trifft die Firmen hart, zugleich haben Arbeitnehmer angesichts der Inflation alles Recht, auf satte Lohnerhöhungen zu pochen. In der Lage haben IG Metall und Arbeitgeber einen guten Kompromiss gefunden. Natürlich gab es die übliche Folklore: Die Gewerkschaft rief Hunderttausende zu Warnstreiks auf und schwenkte rote Fahnen, weil es auch um Mitgliederwerbung geht. Die Arbeitgeber legten unnötig spät ein Angebot vor und erklärten nach langer Nacht, man sei an die Grenze des Machbaren gegangen. Alles so wie immer. Doch was zählt, ist der Abschluss: Es gibt eine Anhebung der Gehälter in zwei Stufen um insgesamt 8,5 Prozent bis 2024. Damit kann die IG Metall sagen, sie habe mehr als acht Prozent durchgesetzt. Dass dies über zwei Jahre verteilt wird, macht den Abschluss für Betriebe tragbar. Zugleich nutzt die Branche die steuerfreie 3000-Euro-Prämie. Hier hat die Ampel ein sinnvolles Instrument bereitgestellt, damit trotz Inflation die Abschlüsse nicht überschießen. Die Beschäftigten erhalten eine teilweise Kompensation der Inflation, was gleichwohl Reallohnverluste bedeutet. Die IG Metall hat Wort gehalten und die Preis-Lohn-Spirale nicht angeheizt. Das ist nicht hoch genug zu schätzen. Unter früheren Vorsitzenden wäre dies kaum möglich gewesen. Damit hat die Gewerkschaft viel für die Sicherung der Jobs getan.
Nun haben mit der IG Metall und der IG BCE zwei große Gewerkschaften verantwortungsvolle Abschlüsse in der Doppelkrise erzielt. Man kann nur hoffen, dass Verdi sich in künftigen Runden ähnlich verhält, damit der Inflationsspuk rasch vorübergeht. Das strukturelle Problem der hohen Energiepreise muss ohnehin anders gelöst werden – durch ein höheres Angebot und sinkende Energiesteuern. Aber das ist nicht Sache der Tarifpartner.