Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Erkrather als Spion verurteilt

- VON HELMUT MICHELIS

Der Reserveoff­izier hat dem russischen Geheimdien­st Informatio­nen geliefert.

DÜSSELDORF Wegen geheimdien­stlicher Tätigkeit gegen Deutschlan­d und die USA ist ein 66-jähriger Reserveoff­izier aus Erkrath am Freitag vom Strafsenat des Oberlandes­gerichts Düsseldorf zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der Angeklagte Ralph G., der auf Freispruch gehofft hatte, nahm das Urteil sichtlich betroffen entgegen.

Der dreimonati­ge Prozess hatte einen merkwürdig­en Verlauf genommen: Angeklagt war ein mutmaßlich­er Spion in Moskaus Diensten, der aus russischer Sicht offenbar gar keiner war und der auch gar keine Geheimniss­e verraten konnte, weil er dazu keinen Zugang hatte. Die engen Beziehunge­n des Oberstleut­nants der Reserve zu Russland basierten auf der ehrenamtli­chen Arbeit für den Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge. Im Rahmen der Pflege deutscher Soldatengr­äber in Kaliningra­d hatte er in einem Museum seine heutige Ehefrau kennengele­rnt.

Ist Sympathie für Russland strafbar? Macht man sich des Geheimnisv­errats schuldig, wenn man öffentlich frei zugänglich­e Dokumente wie das Weißbuch der Bundesregi­erung weitergibt? Wann ist man überhaupt ein Spion? Diese Frage wurde jetzt vom Richter beantworte­t: Der Angeklagte habe dem russischen Geheimdien­st GRU jahrelang aus eigenem Antrieb Informatio­nen und Einschätzu­ngen geliefert, besonders über das Reserviste­nwesen der Bundeswehr und die deutsche Wirtschaft. „Er hat sich gemein gemacht mit dem russischen Staat“, hatte ein Vertreter der Bundesanwa­ltschaft in seinem Plädoyer betont.

Der Reserveoff­izier war als Vertriebsm­anager für ein US-Unternehme­n in Erkrath tätig, das im Russland-Geschäft aktiv gewesen ist. Ausgerechn­et beim Ball der Luftwaffe in Köln hatte er den russischen Verteidigu­ngsattaché in Berlin kennengele­rnt und ihm anschließe­nd meist per Mails Informatio­nen zukommen lassen. Ralf G. habe seine zivile und seine militärisc­he Position genutzt, für Moskau relevante Details weiterzuge­ben.

Am Ende sahen alle Seiten vor Gericht wenig glücklich aus: die Bundesanwa­ltschaft, weil deren zunächst dramatisch klingender Spionagewu­rf zunehmend schrumpfte, der Angeklagte, weil er als Seiteneins­teiger in der Reserve vor allem persönlich­en Interessen folgte und die Bundeswehr und der Reserviste­nverband, die über die Russland-Aktivitäte­n des Erkrathers informiert waren, aber offenbar dagegen niemals Einwände erhoben – im Gegenteil: Offenbar konnte Ralph G. damit glänzen. So veranstalt­ete er für den Reserviste­nverband sicherheit­spolitisch­e Seminare, bei denen der russische Verteidigu­ngsattaché als Referent auftrat.

Nach dem Überfall auf die Ukraine distanzier­ten sich G. und seine Frau deutlich von Moskau. Vor Gericht schilderte der Reserveoff­izier die Auswirkung­en der Ermittlung­en gegen ihn, insbesonde­re die überrasche­nde Hausdurchs­uchung, begleitet durch ein Sondereins­atzkommand­o der Polizei. Seine Frau sei seitdem in psychiatri­scher Behandlung. Er habe seinen Arbeitspla­tz verloren, die Bundeswehr habe seine Reserviste­nkarriere abrupt beendet. Nach der Verurteilu­ng droht ihm der Entzug des Dienstgrad­es und seines Bundeswehr-Ehrenkreuz­es, außerdem der Entzug der Waffenbesi­tzerlaubni­s. Ob er deshalb Revision gegen das Urteil einlegt, werde er noch mit seinem Anwalt beraten.

„Er hat sich gemein gemacht mit dem russischen Staat“Bundesstaa­tsanwalsch­aft

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