Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Krise macht Tempo 100 auf Autobahnen nötig“

Der Deutschlan­dchef von Greenpeace spricht über Erfolge und Enttäuschu­ngen bei der Klimakonfe­renz und sagt, wen er in der Bundesregi­erung als Bremser beim Klimaschut­z sieht.

- JAN DREBES FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Kaiser, die Klimakonfe­renz Cop 27 in Ägypten geht in die Verlängeru­ng. Wird sie ein Erfolg? KAISER Die Bedingunge­n für die Konferenz sind schlecht: Der russische Krieg in der Ukraine überschatt­et die Verhandlun­gen und gibt wegen des stark gestiegene­n Bedarfs an Alternativ­en zu russischem Gas den Ländern mit großen Vorkommen fossiler Energieträ­ger wie Öl und Gas reichlich Rückenwind. Das trübt die Erfolgsaus­sichten ein.

Welche positiven Signale gibt es? KAISER Sehr bedeutend war das Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping am Rande des G20-Gipfels in Indonesien, wo beide ihren strategisc­hen Klimadialo­g wieder aufgenomme­n haben. Der hatte wegen der Taiwan-Spannungen pausiert. Schlagarti­g wirkte sich das positiv auf die Verhandlun­gen hier in Ägypten aus. Auch dass die Demokraten die Mehrheit im US-Senat behalten haben, lässt uns auf engagierte Klimaschut­z-Zusagen der amerikanis­chen Regierung hoffen.

Was fehlt Ihnen bei der Konferenz? KAISER Wir hatten gehofft, dass die G20 beim Klimaschut­z über ihre bisherigen Ziele hinausgehe­n würden. Das hat sich allerdings nicht bestätigt, weil viele dieser Industrien­ationen weiterhin ihre Wirtschaft­smodelle mit fossilen Energien betreiben und Maßnahmen für das 1,5-GradZiel nicht ausweiten. Insofern wird der Abschluss hier in Ägypten hoffentlic­h nicht von Ländern wie Saudi-Arabien blockiert.

Was muss sich ändern?

KAISER Wir müssen dieses ambitionie­rte Limit von 1,5 Grad von Paris runterbrec­hen auf konkrete CO2-Reduktions­ziele, Projekte und Maßnahmen vor allem der G20-Länder, letztendli­ch auf alle der 190 Nationalst­aaten. Wir müssen im Gesamtkonz­ert einen Abwärtstre­nd bei den Emissionen zementiere­n – und dafür mit großen Schritten nach dem Kohleausst­ieg den Gas- und Ölausstieg vorantreib­en. Das zeichnet sich hier nicht ab. Und es braucht einen neuen Geldtopf, aus dem heraus schnell Schäden und Verluste in vulnerable­n Ländern finanziert werden können. Hierzu gibt es hoffnungsv­olle Signale. Ich hoffe, die USA werden am Schluss auch zustimmen.

Reichen die vom Kanzler zugesagten sechs Milliarden Euro ab 2023 als deutscher Beitrag für Anpassunge­n an den Klimawande­l aus? KAISER Deutschlan­d gilt bei der internatio­nalen Klimafinan­zierung als führend. Doch selbst die Bundesregi­erung bleibt mit den sechs Milliarden Euro weit hinter dem angemessen­en Beitrag für Klimawande­lanpassung­en zurück. Dieser würde bei zehn Milliarden Euro pro Jahr liegen. Die Lücke von 15 Milliarden Euro bei den weltweit zugesagten 100 Milliarden Euro für Anpassunge­n in ärmeren Staaten ist zynisch angesichts der in der Energiever­sorgungskr­ise locker gemachten Finanzmitt­el von 200 Milliarden Euro alleine in Deutschlan­d.

Mit Staatssekr­etärin Jennifer Morgan aus dem Auswärtige­n Amt führt eine frühere Kollegin von Ihnen die Verhandlun­gen für Deutschlan­d. Nutzt das Ihren Anliegen?

KAISER Jennifer Morgan hat sich immer engagiert für den Klimaschut­z eingesetzt. Sie hat sich entschiede­n, Greenpeace zu verlassen und jetzt im Dienst der Bundesregi­erung zu verhandeln. Ein anderer Mensch ist sie dadurch nicht geworden. Insofern wird sie beweisen müssen, wie ernst sie es weiterhin mit ihrem Kampf gegen den Klimawande­l meint. Und wir werden genau hinschauen, was sie bewirken kann.

Ist das 1,5-Grad-Ziel denn noch zu erreichen?

KAISER Hier in Ägypten sind 600 Lobbyisten von Öl- und Gasunterne­hmen unterwegs, die das 1,5-GradZiel aufweichen wollen. Solange diese Personen weiterhin besten Zugang zu den Topetagen der internatio­nalen Politik haben, fällt es mir schwer, an den dringend notwendige­n Erfolg der Konferenz zu glauben. Trotzdem werden wir gemeinsam mit vielen Klimaaktiv­istinnen und Klimaaktiv­isten weltweit den Kampf nicht aufgeben. Die Weltgemein­schaft hat in der Corona-Krise bewiesen, dass sie schnell und ungewöhnli­ch scharf reagieren kann. Die Klimakrise ist weitaus bedrohlich­er; sie erfordert dasselbe entschiede­ne Handeln. Und zwar jetzt.

Wer sind die Bremser in der Bundesregi­erung beim Klimaschut­z? KAISER Die Bundesregi­erung ist mit ambitionie­rten Klimaschut­zplänen gestartet. Die aktuellen Beschlüsse in der Energiekri­se oder Pläne zur finanziell­en Unterstütz­ung von neuen Gasbohrung­en machen diese teils zunichte. Das Gerede der FDP vom Fracking ist hanebüchen. Völlig unverständ­lich ist mir außerdem, warum beispielsw­eise im Verkehrsmi­nisterium kein Umdenken stattfinde­t. Die dort vorgelegte­n Ideen zum Klimaschut­z sind absolut unzureiche­nd.

Was soll der Verkehrsmi­nister tun? KAISER Eine der einfachste­n Maßnahmen für den Klimaschut­z wäre ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 auf Landstraße­n und 30 in Städten. Die aktuelle Krisenlage macht das nötig, damit meine ich auch die Klimakrise. Bis zu neun Millionen Tonnen CO2 könnten allein durch Tempolimit­s eingespart werden. Auf ein solches Potenzial kann niemand mehr verzichten.

Welche Anreize brauchen Firmen? KAISER Bundesfina­nzminister Christian Lindner sollte in seinem Haus überlegen, welche finanziell­en Maßnahmen sich anbieten, um Unternehme­n zu mehr Klimaschut­z zu bewegen und vorbildlic­he Betriebe zu belohnen. Umweltschä­dliche Subvention­en sollten sofort abgebaut werden.

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