Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

So werden Fahrassist­enzsysteme getestet

In nicht allzu ferner Zukunft fahren erste Autos selbststän­dig auf den Straßen. Wie sich Prüfstelle­n wie der TÜV vorbereite­n.

- VON FABIAN HOBERG

Entspannt folgt der Mercedes einem Kia in Autobahnte­mpo. In ausreichen­dem Abstand. Die Passagiere unterhalte­n sich, hören Musik, sind abgelenkt. Plötzlich drängelt sich ein Ford Fiesta in die vorher große Lücke – und bremst. Der Mercedes fängt an zu piepen und legt kurz darauf automatisc­h eine Vollbremsu­ng hin – ohne, dass der Fahrer das Bremspedal berührt hat.

Die Passagiere rucken nach vorne, Gurte halten ihre Körper fest. Nur wenige Zentimeter vor dem Fiesta kommt der Mercedes zum Stehen. Das ist eine unangenehm­e Situation, die täglich passieren kann. Hier war es nur ein Versuch auf einem Testgeländ­e. Test bestanden. Der Fiesta als Ziel-Fahrzeug ist ein GST, ein „Guided Soft Target“. Er besteht nur aus einer weißen Hülle in Form des Kleinwagen­s auf einer ferngesteu­erten Plattform mit vier Rädern.

Auf dem 265 Hektar großen Areal des Test- und Prüfgeländ­es AVL ZalaZONE in Ungarn lassen sich auf einem Autobahnab­schnitt, einem Hochgeschw­indigkeits­oval und einem Handlingku­rs unter anderem Fahrassist­enz- und autonome Systeme kontrollie­ren. Für künftige Tests kommt eine 15 Hektar große Smart-City-Zone hinzu – für Szenarien in der Stadt. „Solche Versuche lassen sich nicht sicher und reproduzie­rbar im öffentlich­en Straßenver­kehr überprüfen, dafür benötigen wir eine abgesperrt­e Strecke“, sagt Robert Matawa, Leiter Testing hochautoma­tisiertes Fahren bei TÜV Süd. Das Gelände liegt rund 50 Kilometer vom Plattensee entfernt und wird von einem österreich­isch-ungarische­n Joint Venture betrieben.

„Diese Versuche sind ungefährli­ch, und wir können sie wieder und wieder durchführe­n, mit den exakt gleichen Geschwindi­gkeiten“, sagt Alexander Kraus. Der Leiter der Technologi­eabteilung vom TÜV Süd entwickelt mit einem Team Prüfmethod­en für Level-3- und Level-4-Systeme. Dazu zählen Assistenzs­ysteme, mit denen Autos automatisi­ert, also selbststän­dig, fahren können. Aber auch bisherige Systeme nach Level 2, etwa der Notbremsas­sistent, werden überprüft.

Damit die Hersteller die Zulassung dafür erhalten und die Systeme verkaufen können, muss eine Prüfgesell­schaft

diese kontrollie­ren und freigeben. Im Mercedes sitzen Prüfer und kontrollie­ren gerade die aktiven Assistenzs­ysteme. Gespickt mit zusätzlich­en Monitoren, Schaltern und Kabeln im Fußraum, wird das Auto zum rollenden Testlabor. Nach der Vollbremsu­ng speichert der Computer die Daten im Mercedes. Ingenieur Matawa fährt von der Strecke, startet das System neu und beginnt einen weiteren Versuch.

„Wir müssen sicherstel­len, dass die Systeme einwandfre­i und zuverlässi­g funktionie­ren, daher überprüfen wir sie mehrmals“, sagt er. Ein Notbremsas­sistent darf nie ausfallen. Bei künftigen Systemen zum autonomen Fahren wird der Testaufwan­d erheblich steigen.

Die Prüfer müssen weiterhin sicherstel­len, dass das Fahrzeug nach den vorgeschri­ebenen Richtlinie­n immer einwandfre­i funktionie­rt. Nur, dass die Systeme zunehmend komplexer arbeiten. In der Smart-City sollen künftig Autos den Alltagsver­kehr simulieren, bei jedem Wetter. Denn ganz gleich, ob bei Regen, Nebel

oder Schneefall: Die Sicherheit­ssysteme müssen entweder zuverlässi­g arbeiten, oder die Lenkarbeit wieder an den Fahrer zurückgebe­n. Andernfall­s bleiben die Autos im Regen oder Schnee einfach stehen.

Bislang konnten solche Versuche nur simuliert, nicht aber praktisch geprüft werden. Dennoch sei eine Simulation wichtig. „Ergebnisse aus der Simulation lassen sich schneller entwickeln“, sagt Alexander Kraus. Sie könnten dann über Software-Updates direkt in Autos übertragen und kontrollie­rt werden.

„So lassen sich der Fahrversuc­h schneller starten und die Systeme freigeben“, sagt der Experte. In der Vergangenh­eit entwickelt­en Autoherste­ller neue Technologi­en schneller, als Prüforgani­sationen sie auf Sicherheit testen und freigeben konnten.

Dass es auch durchaus schnell klappen kann, hat Mercedes-Benz vor ein paar Monaten gezeigt. Einige der Fahrzeuge dürfen teilautono­m nach Level 3 fahren. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem Hersteller die Systemgene­hmigung für bestimmte Strecken erteilt.

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FOTOS (2): HOBERG/DPA-TMN In einem Versuch auf dem Testgeländ­e wird die Funktion eines Notbremsas­sistenten des hinteren Autos geprüft.
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Hochpräzis­e Funkmasten und Antennen zeichnen Daten beim Fahrversuc­h auf der Teststreck­e auf und senden sie.

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