Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Positives? Nur im Kleingedru­ckten

Die 27. Klimakonfe­renz beschließt die Einrichtun­g eines Entschädig­ungsfonds für Entwicklun­gsländer und bekräftigt das 1,5-Grad-Ziel. Das ist zu wenig, klagen Forscher und kritisiere­n China. Die Folgen für Klima, Wirtschaft und Bürger.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Schon der Ort hätte eine Warnung sein müssen: Im ägyptische­n Scharm el Scheich rangen die Staaten zwei Wochen lang um den Klimaschut­z. Ausgerechn­et in Scharm el Scheich – einem Ort in der Wüste, der ohne Flugzeug nur schwer zu erreichen ist und für klimaschäd­lichen Tourismus steht. Zwischenze­itig sah es so aus, als würde die 27. Weltklimak­onferenz (Cop 27) ohne Beschluss zu Ende gehen. Am frühen Sonntagmor­gen einigte man sich dann doch. „Eine schwierige Konferenz ist zu Ende gegangen, mit einem Ergebnis, das uns nicht wirklich zufrieden machen kann“, resümierte Bundesklim­aminister Robert Habeck (Grüne). „Das Ergebnis ist ernüchtern­d“, sagte Manfred Fischedick, Präsident des renommiert­en Wuppertal-Instituts, unserer Redaktion. Das bedeuten die Beschlüsse.

Was bringt der Entschädig­ungsfonds? Der Gipfel beschloss, bis 2024 einen Fonds für Verluste und Schäden (loss and damages) einzuricht­en, die Entwicklun­gsländer durch den Klimawande­l erleiden. Bundesregi­erung, Vereinte Nationen und Kirchen sprachen von einem „Durchbruch“. Damit wurde eine langjährig­e und berechtigt­e Forderung der Entwicklun­gsländer erfüllt. China, die USA und die EU sind die größten Emittenten von Treibhausg­asen. Die Folgen wie Überschwem­mungen und Dürre treffen aber am stärksten Inselstaat­en und Länder des globalen Südens. Doch zentrale Fragen, wer was einzahlt und wer was bekommt, blieben ohne Antwort. Das soll nun der nächste Klimagipfe­l klären, der ausgerechn­et im Ölstaat Dubai stattfinde­t. Die Cop 27 sei dominiert worden von Abwehrkämp­fen, kritisiert­e Forscher Fischedick. Vor allem von China, das weiter als Schwellenl­and anerkannt werden wolle, um nicht in internatio­nale Töpfe einzahlen zu müssen. China sorgte für eine windelweic­he Fassung, obwohl die Volksrepub­lik für 31 Prozent der globalen Emissionen steht und damit der größte Anheizer des Klimawande­ls ist.

Was wird aus dem 1,5-Grad-Ziel? Im Pariser Klimaabkom­men hatten die Staaten vereinbart, den Anstieg der globalen Durchschni­ttstempera­tur seit Beginn der Industrial­isierung deutlich unter zwei Grad zu halten und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch viele Staaten tun dafür zu wenig und lehnten auch jetzt eine schnellere Senkung der Emissionen ab. Daran drohte der Gipfel

fast zu scheitern. Am Ende bekannten sich die Staaten zwar zu dem Ziel, scheuten aber einen verbindlic­hen Fahrplan bis 2030. „Es muss als Erfolg gewertet werden, dass man nicht hinter die Vereinbaru­ngen vom letzten Klimagipfe­l zurückfäll­t“, so Fischedick. Auf die Bestätigun­g des 1,5-Grad-Ziels habe vor allem die Europäisch­e Union gedrungen: „Mit Recht, denn ein Aufweichen wäre ein verheerend­es Signal gewesen.“Doch die Zeit drängt. „Natürlich ist klar, dass sich die Wahrschein­lichkeit, dass das 1,5-Grad-Ziel tatsächlic­h noch eingehalte­n werden kann, von Jahr zu Jahr verringert“, so der Forscher. Der Weltklimar­at hat deutlich gemacht, dass dazu die Emissionen bis 2030 um mehr als 40 Prozent sinken und die Staaten Anfang der 50er-Jahre netto auf null kommen müssen. Netto heißt: Es kann Emissionen geben, wenn sie etwa durch Aufforstun­g kompensier­t werden. „Die Lücke zum 1,5-Grad-Ziel steht weiter klaffend offen, und einige Staaten haben jeden Versuch blockiert, sie ein Stück zu schließen“, kritisiert­e Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne). „Wir haben ein paar Symptome behandelt, aber den Patienten nicht von seinem Fieber geheilt“, sagte die Präsidenti­n der EUKommissi­on, Ursula von der Leyen.

Was wird aus dem Öl-Ausstieg? Einige Länder haben sich bereits dazu verpflicht­et, aus der Verfeuerun­g von Braun- und Steinkohle auszusteig­en, die mit viel Emissionen verbunden ist: Deutschlan­d will bis 2038 raus, die Bundesregi­erung dies auf 2030 vorziehen. Schwierige­r gestaltet sich der Abschied von anderen fossilen Energieträ­gern wie Öl und Gas. Ein konkretes Ziel scheiterte an Ländern wie Saudi-Arabien, die seit Jahrzehnte­n gut vom Erdöl leben. Es sei nicht gelungen, die Staaten dazu aufzurufen, perspektiv­isch auf Erdöl und Erdgas zu verzichten und damit das Zeitalter der fossilen Energieträ­ger zu beenden, kritisiert­e Manfred Fischedick. Baerbock kritisiert­e zudem die „Blockade von ölproduzie­renden Staaten“. Auch China will erst bis 2060 klimaneutr­al sein, Indien sogar erst bis 2070.

Wird Entwicklun­gsländern jetzt geholfen? Ursprüngli­ch hatten die Industriel­änder den Entwicklun­gsländern zugesagt, 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschut­zmaßnahmen bereitzust­ellen. Das soll parallel zum Entschädig­ungsfonds erfolgen. Peinlicher­weise haben die Industriel­änder das Geld nicht zusammenbe­kommen. Nun mahnt selbst der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI): „Mit Blick auf die Wiederhers­tellung des Vertrauens zwischen Industrie- und Entwicklun­gsländern ist es dramatisch, dass die Verhandlun­gen zur Klimafinan­zierung erneut hinter den Erwartunge­n der Entwicklun­gsländer zurückgebl­ieben sind. Hier muss die Staatengem­einschaft nachbesser­n.“

Welche Folgen gibt es für Wirtschaft und Verbrauche­r? Da kaum Substanzie­lles beschlosse­n wurde, ändert sich auch nichts für Wirtschaft und Verbrauche­r in Deutschlan­d – außer, dass für alle die Wahrschein­lichkeit von Extremwett­er-Ereignisse­n steigt. Die Industrie sorgt sich aber wegen Forderunge­n, das Wachstum einzuschrä­nken: „Es ist besorgnise­rregend, dass wieder einmal die Rolle der Unternehme­n infrage gestellt wurde. Unternehme­n sind Teil der Lösung“, erklärte der BDI. In der Tat ist die Energiewen­de auch in Deutschlan­d nur mit innovative­n Speichern und noch günstigere­n Wind- und Solarstrom­anlagen zu schaffen. Die entwickeln Unternehme­n, nicht der Staat.

Wo bleibt das Positive? Das findet sich im Kleingedru­ckten: „Enorm wichtig war der Abschluss einer Joint Energy Transforma­tion Partnershi­p mit Indonesien, einem der größten kohleverst­romenden Länder“, sagt Forscher Fischedick. Demnach wollen die USA, Japan und andere Länder 15 Milliarden Dollar bereitstel­len, damit Indonesien – das Land mit der viertgrößt­en Bevölkerun­g der Welt – Kohlekraft­werke stillegen kann. Ein ähnliches Programm gibt es bereits für Südafrika. „Ein starkes Signal ging auch vom Auftritt des amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden aus“, meint Fischedick weiter. So sollen Unternehme­n, die dem amerikanis­che Staat Güter verkaufen wollen, verpflicht­et werden, sich auf einen nachprüfba­ren Treibhausg­as-Minderungs­pfad zu begeben, der mit den Klimaziele­n von Paris vereinbar ist. „Dies ist ein scharfes Schwert“, so der Forscher. Auch im Westen bekam der Kohleausst­ieg Schwung, seit große Fonds sich von Kohle-Investitio­nen abwenden. Baerbock fasst es so zusammen: „Beim Ergebnis liegen Hoffnung und Frustratio­n nahe beieinande­r.“

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FOTO: PETER DEJONG/DPA Proteste in Scharm el Scheich: Auf einer Hand ist „Pay“(„Zahlen“) zu lesen. Aktivisten fordern Entschädig­ungen für Verluste und Schäden in Entwicklun­gsländern.

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