Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Viel Konfetti, wenig Glanz
Die zweite „Wetten, dass..?“-Neuauflage kann nicht überzeugen. Thomas Gottschalk wirkt über weite Strecken fahrig, der Glamour-Faktor kommt zu kurz. Wettkönig wird ein Kandidat, der den Gewinn für Lützerath spenden will.
DÜSSELDORF Womit andere aufhören, damit fängt Thomas Gottschalk an: Schon zu Beginn der diesjährigen „Wetten, dass..?“-Ausgabe reißt es das Publikum in Friedrichshafen von den Sitzen, um den Moderator drei Minuten lang mit Standing Ovations zu feiern. Es kann eben nur einen geben. „Ich bin’s doch nur“, beschwichtigt der 72-Jährige, der im roten Anzug mit Leopardenmuster durch eine Show führt, die sich zeitweise mühsam auf Überlänge quält und am Ende sogar fast politisch wird. „Lützerath ist gerettet“, verspricht Gottschalk flapsig, als mit Marten Reiß der Kandidat zum Wettkönig gekürt wird, der aus dem Dorf stammt, das dem Tagebau Garzweiler II weichen soll. Reiß hatte zuvor angekündigt, seine 50.000 Euro Wettgewinn für den Erhalt des Ortes zu spenden. „Lützi lebt“skandieren seine Fans im Publikum – ein seltener Anblick in einer Show, die vor allem eine gigantische Werbemaschine der Unterhaltungsindustrie ist.
An diesem Abend kommt diese sonst so gut geölte Maschine aber nicht richtig in Gang. Michael Bully Herbig und Christoph Maria Herbst preisen zwar ungeniert ihre derzeit aktuellen Werke an, das Sofa-Gespräch zwischen ihnen, Co-Moderatorin Michelle Hunziker und Gottschalk wirkt aber leicht verkrampft, vielleicht belastet vom Erwartungsdruck, etwas Besonderes abliefern zu müssen. Hat sich „Wetten, dass..?“doch längst gelöst von normalen Maßstäben, wird stattdessen fast unisono hochgejubelt zur Mutter der Samstagabendunterhaltung, zur Show der Shows, die die Messlatte setzt für die gesamte Branche. Das verpflichtet natürlich zum Erfolg; Zielmarke sind die 14 Millionen Zuschauer vom vergangenen Jahr.
Auch deshalb wird wohl an diesem Abend von Anfang an geklotzt und schweres Gerät aufgefahren. Schon die erste Wettkandidatin rollt mit einem Bagger an, mit dessen Schaufel sie rohe Eier anpikst. Gottschalk ergreift die Chance für etliche Bagger-Wortspiele, zieht die Auflösung aber unnötig in die Länge. Minutenlang werden Löcher in Eiern begutachtet, statt aufs Tempo zu drücken. Aber Gottschalk hat es nicht eilig, wirkt über weite Strecken der Show fahrig, verzettelt sich oder moderiert in die einsetzende Musik hinein. Hunziker übernimmt oft das
Steuer, führt ihren Chef aufs richtige Gleis. Der kokettiert ja ohnehin damit, es mit der Vorbereitung auf Gäste nicht so genau zu nehmen, diesmal treibt er es aber, etwa beim Handkuss für die etwas spröde Baggerfahrerin, manchmal bis an die Grenze der Peinlichkeit.
Aber Gottschalk wäre nicht Gottschalk, wenn er nicht nonchalant immer wieder einen guten Spruch parat hätte, sodass man ihm vieles verzeiht. „Why? – Warum?“lautet etwa die grundsätzliche Frage von Robbie Williams an einen Wettkandidaten, der Brettspiele am Geräusch erkennt, das das Zubehör beim Ausschütten macht. „Wenn man diese Frage stellt, muss man sich die Show nicht angucken“, antwortet Gottschalk. Tatsächlich sind alle Wetten gewohnt absurd. Unter anderem können zwei Geschwister 200 identisch aussehende Stoffbären am Gesicht erkennen, zwei Männer versuchen, in einer fahrenden Achterbahn ein von ihnen nach hinten geworfenes Handy
zu fangen, und Lützerath-Aktivist Reiß identifiziert aus 1000 Fingerabdrücken einen hineingeschummelten Abdruck innerhalb von einer Minute. „Jetzt kennt die Nation Lützerath“, kommentiert Gottschalk und hakt diesen etwas unangenehmen Aspekt schnell ab.
Überhaupt hat man den Eindruck, dass der Moderator froh ist, wenn das Stelldichein seiner Gäste nicht durch allzuviel Tiefgang gestört wird. Er sei kein Freund persönlicher Fragen, sagt er zu Anfang und beweist dies im weiteren Verlauf. Mit Schauspieler John Malkovich spricht er über Wackelpudding, mit Robbie Williams scherzt er in der mittelmäßig illustren Sofarunde über Haarpulver. Nur Herbert Grönemeyer darf am Ende einen Satz verlieren über die allgemein schweren Zeiten, die er im neuen Song „Deine Hand“verarbeitet. Und verkünden, dass er als Wetteinsatz einen Monat lang die Betriebskosten für die Berliner Tafeln übernimmt. Das hat Format. Veronica Ferres, ihre Tochter Lilly Krug und Malkovich müssen für ihre verlorene Wette Wackelpudding essen. So groß ist das Gefälle.
Wirklich mitreißen kann der Abend nie, einzig Williams sorgt für eine Prise Glamour, als er nach einem eher müden Song aus seinem neuen Album noch „Angel“nachschiebt, vom begeisterten Publikum zur Zugabe aufgefordert. Obwohl offensichtlich einstudiert, bringt die Einlage Gottschalk zumindest eine Zeitlang auf Betriebstemperatur. Spätestens nach zwei Stunden aber hängt die Show durch, Williams muss zum Flieger, und Herbig und Herbst verschwinden in der Kulisse, um für ihre Wettschuld einen Cancan mit dem „Moulin Rouge“-Ensemble einzuüben.
Irgendwie herrscht immer Unruhe an diesem Abend, vieles wirkt in die Länge gezogen, es wird rumgehampelt und rumgehaspelt, auch seitens der Regie, die das Showungetüm „Wetten, dass..?“diesmal nicht gebändigt bekommt. Am Ende tanzen Herbst und Herbig im Tutu und mit Zylinder, es regnet Konfetti, Gottschalk verteilt Blumensträuße. Alle feiern, der Moderator strahlt siegessicher. Nicht nur Lützerath ist gerettet, sondern auch das ZDF, der Samstagabend und Gottschalks Zukunft. Mindestens.