Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„In der Kunst sollten wir nicht so angepasst denken“
Viel Sehnsucht, wenig Alltagstauglichkeit – die neue Leiterin des Landesbüros für Bildende Kunst im Gespräch über romantische Berufsvorstellungen.
Susanne Ristow ist eine interdisziplinärtätige Künstlerin, Medienwissenschaftlerin und Kunstvermittlerin: Sie ist auch in Neuss tätig, dort unter anderem als Dozentin im Kulturforum Alte Post.
Frau Ristow, als Leiterin des Landesbüros für Bildende Kunst dürften Sie viel zu tun bekommen. Was steht ganz oben auf Ihrer Liste? SUSANNE RISTOW Ganz oben steht für mich persönlich die mobile Akademie „Mobilab“. Das ist ein Format, mit dem wir in ganz NRW unterwegs sind. Es trägt derzeit den Titel „Möglichkeitsraum Kunst“. Dabei geht es um zentrale Fragen wie Sprachregeln des Kunstbetriebs.
Es gibt Künstler, die sich Nebentätigkeiten suchen müssen. Was brauchen sie?
RISTOW Das Landesbüro ist gerade aus dem Bedürfnis entstanden, die große Mehrheit, die nicht zu den glücklichen zwei Prozent gehören, die vom Verkauf ihrer Werke leben können, in ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu unterstützen.
Die Zahl dürfte unter jungen Künstlern wenig Optimismus verbreiten.
RISTOW Man weiß von vornherein, dass es ein schwieriges Geschäft ist, und entwickelt bestenfalls Durchhaltevermögen. Hier sehe ich aber auch das große Potenzial von Künstlern, denn sie sind ungeheuer findig und auf Krisen, wie wir sie jetzt erleben, wahrscheinlich besser eingestellt als andere Menschen. Viele von uns haben sich doch schon vor der Pandemie in einer prekären wirtschaftlichen Situation befunden. Gerade vor diesem Hintergrund ist es ausgesprochen wichtig, Spielregeln, Chancen und Risiken des Kunstbetriebs zu kennen.
Welche sind das?
RISTOW Es ist feststellbar, dass in einer Art vorauseilendem Gehorsam bestimmte Schlagworte oder Themen wie „Nachhaltigkeit“oder „Partizipation“schon bei der Antragstellung oder im Ausstellungstitel berücksichtigt werden, bevor das jemand aktiv verlangt. In der Kunst sollten wir jedoch nicht so angepasst denken, wie der Markt oder die Politik es erfordern, es geht auch anders. Dazu müssen wir uns gegenseitig ermutigen.
Aber wenn die Not groß ist… RISTOW …können Solidarität und Selbstorganisation helfen. Beides ist leider verloren gegangen. In den 60er- und 70er-Jahren gab es einen starken Zusammenhalt, gerade in Düsseldorf. Der komplett alltagsuntaugliche Künstler Robert Filliou zum Beispiel hat von seinen Freunden Spoerri, Tinguely und anderen ein monatliches Salär bekommen. Es ist wunderbar, wie damals miteinander umgegangen wurde. Die konzeptuelle Arbeit eines eigensinnigen Einzelnen wurde erst durch die Hilfe seiner Freunde möglich.
Wie wollen Sie helfen?
RISTOW Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe, um Vermittlung, um Kenntnisse und Erfahrungen. Wir sprechen alle professionellen Künstler in NRW an, gerade auch die jungen Menschen, die von der Akademie kommen und oft nicht wissen, wie sie sich im Alltag besser organisieren können.
Für die Kunstproduktion und Ausstellung vor Ort braucht es eine Infrastruktur. Zwischennutzung wird hier gern als Erfolgsrezept angeführt. Was halten Sie davon? RISTOW Um nach dem Studium etwas auszuprobieren, ist das sicher sinnvoll. Ich halte es jedoch für die urbane Entwicklung für ebenso wichtig, dass eine gewisse Verlässlichkeit der Orte existiert. Dass es traditionsreiche Kulturorte und Ateliers gibt, kleine Zellen der Kunstproduktion
in jedem Stadtteil. Nur so kann man dem Verschwinden der Kunst aus dem Alltag begegnen. Kunst ist etwas sehr Seltenes und Besonderes, das gerade total verflüssigt wird.
Wie lässt sich das stoppen? RISTOW Wir müssen die Frage nach der Kunstfreiheit, aber auch nach den Kunstorten, neu stellen. Vielleicht sind ja gemeinsame Nutzungskonzepte, also Co-WorkingSpaces, sinnvolle Lösungen. Ich glaube, dass es viel mehr Privatleute gibt, als wir denken, die der Kunst einen Raum zur Verfügung stellen würden, wenn sie wüssten, dass alles gut organisiert wird. Andererseits brauchen wir Künstler, die dem Ort gegenüber, an dem sie arbeiten, eine Verpflichtung eingehen. Sie müssen dort ja nicht ihr Leben lang arbeiten, aber es ist schon schön, wenn jemand mal zehn Jahre am Stück irgendwo ist und sich nicht ständig im Ausland aufhält. Dadurch wird die Sichtbarkeit größer und auch der Mehrwert für unsere Gesellschaft.
Was halten Sie von der Idee eines
Werkkunsthauses, wie es für Düsseldorf im Gespräch ist?
RISTOW Ich würde mir durchaus wünschen, dass wir auf Landesebene darüber sprechen, wie so eine zentrale Institution funktionieren könnte. Ich finde die Idee interessant, es in Düsseldorf zu etablieren. Kunst zu produzieren, ist aber nur die eine Sache, denn es muss auch Rezipienten und einladende Orte für Betrachtung, Austausch und Dialog geben. Wenn alle zu Produzenten werden, kommt die Rezeption zu kurz.
Heißt das, wir haben zu viele Künstler?
RISTOW Wir haben auf jeden Fall eine unglaublich angestiegene Zahl an Absolventen. Nicht nur an Akademien, sondern auch in kunstaffinen Studiengängen jeglicher Art. Es gibt offenbar ein gewaltiges Sehnsuchtspotenzial und viele Menschen, die eine sehr romantische Vorstellung vom Leben mit Kunst haben. Hier sehe ich Aufklärungsbedarf.