Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Prominenter Vorleser in der Bücherei
Präses Thorsten Latzel las Kindern in der Bücherei und Erwachsenen in der Kirche in Kleinenbroich vor. Im Gespräch berichtet er über die Herausforderungen seines Amtes und verrät sein Rezept, um zu entspannen.
KLEINENBROICH Rund 20 Prozent der Zwei- bis Achtjährigen in Deutschland bekommt nie vorgelesen – und die Tendenz ist stark steigend. Das hat die Stiftung Lesen festgestellt. Für Heike Hild und ihr BüchereiTeam der Evangelischen Kirchengemeinde Korschenbroich ist diese Entwicklung Anlass genug, um zum „Vorlesetag“in die Räumlichkeiten an der Eichendorffstraße in Kleinenbroich einzuladen. „Jeder kann vorlesen und sollte es auch tun“, so Hild. Nun hatte die Bücherei einen besonders geübten Vorleser zu Gast: Präses Thorsten Latzel, oberster Repräsentant der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Schnell ist er mitten drin in einer Geschichte, die die anwesenden Vorschulkinder in der Bücherei in den Bann zieht. „Das war aber echt spannend“, sagt eins der Kinder am Ende spontan. Anschließend liest der Präses in der Kirche vor Erwachsenen weiter. „Als unsere drei Kinder noch kleiner waren, haben meine Frau und ich uns den Mund fusselig gelesen – und es auch selbst sehr genossen“, blickt Latzel zurück. Jetzt seien sie zwar in der Pubertät beziehungsweise erwachsen, genössen es aber immer noch, wenn etwa im Urlaub Zeit zum Vorlesen bleibt.
Mit seinem Besuch in Kleinenbroich setzt er auch ein Zeichen: „Die hier geleistete, ehrenamtliche Arbeit ist beeindruckend“, lobt er. Im Januar 2021 war er von der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Präses und Nachfolger von Manfred Rekowski gewählt worden. „Präses der mit 2,3 Millionen Mitgliedern zweitgrößten Landeskirche in Deutschland zu sein, ist ein großes Geschenk, bringt jedoch gleichzeitig viel Arbeit mit sich“, gibt der
Spitzentheologe zu. Seine bisherige Amtszeit ist geprägt von vielen Krisen: Corona, Flutkatastrophe, Fragen sozialer Armut und den Folgen des Kriegs in der Ukraine. „Heute wird immer deutlicher, wie wichtig die christliche Hoffnung ist, um sich nicht von den vielen Herausforderungen ohnmächtig treiben zu lassen“, sagt Thorsten Latzel.
In dem Blog „glauben-denken.de“ veröffentlicht er regelmäßig theologische Impulse. „Die persönlichen, geistlichen Essays, die ich auf social media teile, sind eine moderne Form, um möglichst viele Menschen zu erreichen“, erklärt Latzel. Und die vielen Rückmeldungen motivieren ihn, am Ball zu bleiben. Er sieht dabei zusätzlich auch einen eigenen Nutzen: „Diese Praxis hat etwas von einem theologischen Tagebuch,
mit dem ich mich selbst darin übe, vor Gott darüber nachzudenken, was mir gerade begegnet.“
Bei seiner Vorstellungsrede zur Präseswahl hat Kandidat Thorsten Latzel gesagt: „Kirche muss konsequent von den Menschen her denken.“Und wie hält er es seit seiner Amtseinführung im März 2021 selbst damit? „Als Präses kann man ja seine gesamte Zeit mit Sitzungen
und Schnittchen zubringen“, sagt er lachend. Ihm sei es aber ein Herzensanliegen, unterwegs zu sein und vielen Menschen zu begegnen. „Wir sollten Kirche in Bewegung sein – auch unser Herr Jesus Christus hatte schon Hummeln im Hintern“, sagt Latzel verschmitzt. Danach gefragt, ob das Amt eher einen selbst verändere oder man selbst eher das Amt, antwortet Latzel entschieden: „Sowohl als auch.“Er könne sich nur so einbringen, wie er selber sei – mit seinen Gaben, aber auch Ecken und Kanten. Gleichzeitig lerne er aber auch viel von anderen und entdecke Gott an den ungewöhnlichsten Orten neu. Und wie bewältigt er die vielen Aufgaben als Präses? „Ich habe viele Kollegen, die mich tatkräftig unterstützen und regelmäßiges Gebet, Lesen und Sport helfen mir dabei, nicht auszubrennen“, sagt er. „Ich habe da mein Rezept, um zu entspannen – einfach auf einer Bank am Rhein in der Sonne sitzen, angelehnt an meine Frau“, sagt er schließlich.