Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Pannen-Windrad am Tagebau gesprengt

Am Sonntag ist das erste der sechs schadhafte­n Windräder an der A 44 zu Boden gebracht worden. Es wurde mitsamt der Rotorblätt­er gesprengt. 2023 soll an selber Stelle ein neuer Windpark entstehen.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

GREVENBROI­CH/JÜCHEN Es ist zwei Minuten vor zehn am Sonntagmor­gen, als der Mann am Spreng-Computer über Funk durchgibt: „Die Zündbereit­schaft ist hergestell­t.“Alle Blicke richten sich gespannt auf die Windkrafta­nlage Nummer vier im Windpark Jüchen, nicht weit entfernt von Frimmersdo­rf und der Tagebau-Autobahn. Dann: Stille. Bis erneut ein Funkspruch kommt. „Abbruch!“, meldet Sprenginge­nieurin Ulrike Matthes sechs Minuten, nachdem es eigentlich den großen Knall hätte geben sollen. „Die Blätter stehen nicht so, dass wir zünden können.“

Es dauert einige Minuten, bis der wenige Wind, der am Sonntag weht, die drei Rotorblätt­er so dreht, dass sie zumindest in etwa wie ein umgedrehte­s Y stehen. Das wäre die Optimal-Position. Gegen halb elf geht dann doch alles ganz schnell: Ulrike Matthes gibt das zweite Sprengsign­al – und den Befehl zur Zündung. Die Sprengkörp­er am Fuße der 238 Meter hohen Anlage detonieren, kurz darauf fegen ein Knall und eine Druckwelle über die Äcker. Das Problem-Windrad sackt in sich zusammen, kurz vor dem Aufschlag knicken Teile der Rotorblätt­er weg, es scheppert, eine gewaltige Staubwolke nimmt die Sicht.

Nach wenigen Minuten aber legt sich der Staub: Zu sehen ist ein Berg verbogener Stahlteile, zerfetzte Technik. Fünf Millionen Euro hatten Aufbau und Material den Hersteller Nordex gekostet. Übrig bleibt ein Haufen Schrott. Allerdings: Das Windrad war nicht mehr zu retten.

Große Abplatzer an der Betonhülle hatten schon äußerlich darauf hingedeute­t, dass es gravierend­e Baumängel gab. Offenbar so groß, dass die Entscheidu­ng fiel, Anlage Nummer vier mitsamt des Maschinenh­auses, des Antriebsst­rangs und der drei mächtigen Rotorblätt­er zu sprengen. Ein Schaden, der in die Millionen geht.

Die Windkrafta­nlage ist die erste von insgesamt sechs, die weichen müssen. Die Technik und die Rotorblätt­er fünf weiterer Anlagen auf rekultivie­rtem Grund an der A 44 sollen in den kommenden Wochen gerettet werden: Die Komponente­n werden abgebaut und auf einem

„Ich gehe davon aus, dass der Windpark im Sommer nächsten Jahres fertig wird“Harald Zillikens Bürgermeis­ter Jüchen

Areal bei Bedburg zwischenge­lagert. Es sollen nur die übrig bleibenden Betontürme gesprengt werden.

Bei allem Ärger über die Folgen der Baumängel hat die Aktion am Sonntagmor­gen aber auch etwas von Aufbruch. Denn an selber Stelle will der Hamburger Windkrafta­nlagenbaue­r Nordex 2023 sechs neue Windräder aufbauen. An der Höhe der Windräder und an der geplanten Leistung des Windparks von 27 Megawatt – Energie für 26.000 Haushalte – soll sich nichts ändern, sagt Karsten Brüggemann, Geschäftsf­ührer von Nordex Deutschlan­d.

Er stellt sich vor der Sprengung den Fragen eines kleinen Kreises von Journalist­en, die in 700 Metern Entfernung dabei sein dürfen. Das vergangene Jahr sei auch für ihn eine „Achterbahn­fahrt der Gefühle“gewesen. Die Ursache für die Schäden habe man schnell gefunden und offen mit allen Beteiligte­n kommunizie­rt, die großes Interesse daran haben, dass der Windpark schnell ans Netz geht. Bislang konnte Nordex den Windpark nicht an seine künftigen Betreiber übergeben. Das sind RWE Renewables, das Versorgung­sunternehm­en NEW und die Stadt Jüchen.

Wie Brüggemann erklärt, sollen Schäden an den Spannbeton­teilen der Hybridtürm­e entstanden sein. Etwa zwei Drittel der Türme bestehen aus Betoneleme­nten, der Rest aus Stahl. Im Herbst 2021 war bereits ein baugleiche­s Windrad von Nordex in einem Windpark in Haltern am See plötzlich in sich zusammenge­brochen, daraufhin wurden insgesamt 18 Anlagen stillgeleg­t. Auch die in Jüchen.

Nächstes Jahr soll alles besser werden: Die Türme der neuen Windräder sollen stabiler sein. „Ich gehe davon aus, dass der Windpark im Sommer nächsten Jahres fertig wird“, sagt der Jüchener Bürgermeis­ter Harald Zillikens, der zuletzt 2011 eine Sprengung im Tagebau-Gebiet erlebte: Damals hatten Spezialist­en den Holzer Wasserturm zum Einsturz gebracht. Er blickt genauso wie RWE-Projektlei­ter Jens Edler-Krupp mit Zuversicht auf den Neubau des Windparks. Zillikens bringt aber auch sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass durch die Verzögerun­gen ein sechsstell­iger Betrag in der Stadtkasse fehlt.

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 ?? ?? Der Jüchener Bürgermeis­ter kurz nach der Sprengung.
Der Jüchener Bürgermeis­ter kurz nach der Sprengung.
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Jens Edler-Krupp, Projektlei­ter für Windkrafta­nlagen bei RWE.

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