Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Pannen-Windrad am Tagebau gesprengt
Am Sonntag ist das erste der sechs schadhaften Windräder an der A 44 zu Boden gebracht worden. Es wurde mitsamt der Rotorblätter gesprengt. 2023 soll an selber Stelle ein neuer Windpark entstehen.
GREVENBROICH/JÜCHEN Es ist zwei Minuten vor zehn am Sonntagmorgen, als der Mann am Spreng-Computer über Funk durchgibt: „Die Zündbereitschaft ist hergestellt.“Alle Blicke richten sich gespannt auf die Windkraftanlage Nummer vier im Windpark Jüchen, nicht weit entfernt von Frimmersdorf und der Tagebau-Autobahn. Dann: Stille. Bis erneut ein Funkspruch kommt. „Abbruch!“, meldet Sprengingenieurin Ulrike Matthes sechs Minuten, nachdem es eigentlich den großen Knall hätte geben sollen. „Die Blätter stehen nicht so, dass wir zünden können.“
Es dauert einige Minuten, bis der wenige Wind, der am Sonntag weht, die drei Rotorblätter so dreht, dass sie zumindest in etwa wie ein umgedrehtes Y stehen. Das wäre die Optimal-Position. Gegen halb elf geht dann doch alles ganz schnell: Ulrike Matthes gibt das zweite Sprengsignal – und den Befehl zur Zündung. Die Sprengkörper am Fuße der 238 Meter hohen Anlage detonieren, kurz darauf fegen ein Knall und eine Druckwelle über die Äcker. Das Problem-Windrad sackt in sich zusammen, kurz vor dem Aufschlag knicken Teile der Rotorblätter weg, es scheppert, eine gewaltige Staubwolke nimmt die Sicht.
Nach wenigen Minuten aber legt sich der Staub: Zu sehen ist ein Berg verbogener Stahlteile, zerfetzte Technik. Fünf Millionen Euro hatten Aufbau und Material den Hersteller Nordex gekostet. Übrig bleibt ein Haufen Schrott. Allerdings: Das Windrad war nicht mehr zu retten.
Große Abplatzer an der Betonhülle hatten schon äußerlich darauf hingedeutet, dass es gravierende Baumängel gab. Offenbar so groß, dass die Entscheidung fiel, Anlage Nummer vier mitsamt des Maschinenhauses, des Antriebsstrangs und der drei mächtigen Rotorblätter zu sprengen. Ein Schaden, der in die Millionen geht.
Die Windkraftanlage ist die erste von insgesamt sechs, die weichen müssen. Die Technik und die Rotorblätter fünf weiterer Anlagen auf rekultiviertem Grund an der A 44 sollen in den kommenden Wochen gerettet werden: Die Komponenten werden abgebaut und auf einem
„Ich gehe davon aus, dass der Windpark im Sommer nächsten Jahres fertig wird“Harald Zillikens Bürgermeister Jüchen
Areal bei Bedburg zwischengelagert. Es sollen nur die übrig bleibenden Betontürme gesprengt werden.
Bei allem Ärger über die Folgen der Baumängel hat die Aktion am Sonntagmorgen aber auch etwas von Aufbruch. Denn an selber Stelle will der Hamburger Windkraftanlagenbauer Nordex 2023 sechs neue Windräder aufbauen. An der Höhe der Windräder und an der geplanten Leistung des Windparks von 27 Megawatt – Energie für 26.000 Haushalte – soll sich nichts ändern, sagt Karsten Brüggemann, Geschäftsführer von Nordex Deutschland.
Er stellt sich vor der Sprengung den Fragen eines kleinen Kreises von Journalisten, die in 700 Metern Entfernung dabei sein dürfen. Das vergangene Jahr sei auch für ihn eine „Achterbahnfahrt der Gefühle“gewesen. Die Ursache für die Schäden habe man schnell gefunden und offen mit allen Beteiligten kommuniziert, die großes Interesse daran haben, dass der Windpark schnell ans Netz geht. Bislang konnte Nordex den Windpark nicht an seine künftigen Betreiber übergeben. Das sind RWE Renewables, das Versorgungsunternehmen NEW und die Stadt Jüchen.
Wie Brüggemann erklärt, sollen Schäden an den Spannbetonteilen der Hybridtürme entstanden sein. Etwa zwei Drittel der Türme bestehen aus Betonelementen, der Rest aus Stahl. Im Herbst 2021 war bereits ein baugleiches Windrad von Nordex in einem Windpark in Haltern am See plötzlich in sich zusammengebrochen, daraufhin wurden insgesamt 18 Anlagen stillgelegt. Auch die in Jüchen.
Nächstes Jahr soll alles besser werden: Die Türme der neuen Windräder sollen stabiler sein. „Ich gehe davon aus, dass der Windpark im Sommer nächsten Jahres fertig wird“, sagt der Jüchener Bürgermeister Harald Zillikens, der zuletzt 2011 eine Sprengung im Tagebau-Gebiet erlebte: Damals hatten Spezialisten den Holzer Wasserturm zum Einsturz gebracht. Er blickt genauso wie RWE-Projektleiter Jens Edler-Krupp mit Zuversicht auf den Neubau des Windparks. Zillikens bringt aber auch sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass durch die Verzögerungen ein sechsstelliger Betrag in der Stadtkasse fehlt.