Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Geschlechtertausch in Sherwood Forest
Mit dem Familienstück „Robin Hood“startet das Düsseldorfer Schauspielhaus in die Adventszeit. Eine turbulente Inszenierung mit ungewöhnlicher Besetzung – die jetzt umjubelte Premiere feierte.
DÜSSELDORF Es fällt schon schwer, mit Robin Hood als Mädchen klarzukommen. So etwa zwei Minuten lang. Danach fällt es schwer, sich Robin Hood als etwas anderes als dieses manchmal rotzfreche Mädchen vorzustellen, das die Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses kapert.
Doch der Reihe nach: Robin Hood kennen alle, diesen durchgenudelten Film- und Legendenhelden, der im finsteren Mittelalter im noch finstereren Sherwood Forest sein soziales Unwesen treibt. Raubt die Reichen aus und gibt die Beute den Armen rund um Nottingham. Das sehen der König und dessen Sheriffs nicht gerne. Und so kommt es zwangsläufig zum Interessenskonflikt. Vielleicht ist das mehr eine Art Sankt-Martin-Plot im Räubermilieu. Aber zu Weihnachten passt es auch, und darum hat Regisseur David Bösch die Geschichte jetzt zum großen Familienstück im Advent inszeniert. Dabei kommt der Geschlechtertausch nicht allein der Titelrolle zugute: Neben Robin Hood (Sophie Stockinger) wurden auch Little John (Annina Hunziker), Marian (als Ruhepol im ForestSpektaktel Yulia Yanez Schmidt) und sogar Nottinghams Sheriff (Caroline Adam Bay) weiblich besetzt. Das ist eine nette Idee, im Zeitalter fortgeschrittener Genderdebatten aber kein Erregungsanlass mehr.
Tatsächlich bleibt es auch bei dieser kleinen Besetzungskuriosität. Die Inszenierung lebt nicht davon, macht es nicht zum Dauerthema, weil sie das auch gar nicht nötig hat. Vielmehr ist der Düsseldorfer „Robin Hood“eine Villa Kunterbunt – mit tausend klugen und manchmal saukomischen Einfällen, mit viel Spiel- und Singfreude, mit dem Charme des nicht ganz Perfekten und hohem Tempo. Das hält auch die jungen Zuschauer eine gute Stunde – mit ein, zwei kleineren Durchhängern gegen Ende – prächtig bei Laune, ohne sie zu überfordern.
Schon mit ihrem ersten Auftritt und ihrem ersten rockigen Song macht Sophie Stockinger klar, dass ihr als Robin Hood die beträchtliche Bühne im Großen Haus ganz und gar gehört. Ihre Präsenz ist spürbar bis ganz hinten in Reihe soundsoviel. Sie glaubt, was sie sagt, und sie fühlt, was sie zeigt. Ihre Auftritte sind die Zimtschnecken dieses Weihnachtsstücks.
Es geht bei Robin Hood viel um ungesunden Süßkram, auf dem der König bergeweise thront. Sein angeschnalltes Bäuchlein kündet von einer gewissen Vorliebe für Cola, Popcorn und Mäusespeck, und dass er am Ende zu seiner Flucht noch 2000 Zuckerwatte-Maschinen einfach mitnimmt, ist die einzige bittere Pille, die der junge Zuschauer beim erwarteten Sieg der Gerechtigkeit schlucken muss.
Wer es von vorne wissen will: Die Geschichte eskaliert mit einem Pfeilschuss des tapferen Robin, der Freddie den Zweiten trifft und verunstaltet. Freddie ist zufälligerweise der Lieblingshirsch von Prinz John, worauf dieser den frevelhaften Bogenschützen verfolgen lässt, während Robin mit Little John und Marian den Prinzen stürzen und den eingekerkerten König Richard Löwenherz wieder auf den Thron hieven will. Die Folge ist, dass es an Kampfszenen nicht mangelt, besonders nicht mit dem ekligen Schwarzen Ritter (gruselig sphinxhaft von Mehdi Moinzadeh gespielt). Der wird legendengemäß besiegt, muss als Höchststrafe das Stück verlassen und noch beim Abgang ankündigen, beim nächsten Stück wieder dabei zu sein. So fies ist der!
Die riesige Drehbühne ist ordentlich im Betrieb, zeigt mal den Wald, mal das Schloss, und sogar Frankreich, was unschwer an einem Baguette auf dem Bühnenboden zu erraten ist. Bei allem Licht-, Rauchund Klangzinnober, ohne den heute kein Stück mehr auskommt, sind viele Ausstattungen wie etwa Schloss und Wald doch angenehm sparsam. Das Spiel steht immer im Vordergrund, weniger oder selten die inspirierten Einfälle der Technik. Sogar ein Brecht- und ein Shakespeare-Zitat fallen irgendwann, hinterlassen aber keine bleibenden Schäden.
Sophie Stockinger haben wir ja schon über den grünen Klee gelobt. Bleibt vor allem noch Annina Hunziker zu beklatschen, die einen eigenwilligen Little John gestaltet und mit ihrer überbordenden Vitalität die jungen Zuschauer vielleicht am direktesten anspricht. Hunziker nimmt als einzige und mehrfach deklarierte Vegetarierin auf der Bühne
kein Blatt vor den Mund. Auch wenn sie das eine oder andere Mal sehr kurz davorsteht – und die erste Silbe schon gesprochen ist –, so bleibt doch das Wort „Schei…“anstandshalber ungesagt.
Bleibt Prinz John, den Jonas Friedrich Leonhardi immer schon mal spielen wollte. Jedenfalls macht er mit jeder Sekunde seiner Auftritte genau diesen Eindruck. Er ist der Hysteriker auf der Bühne, eine herrliche, herrschaftliche Anmaßung, ein einziger Naivklops und am Ende ein fast liebenswerter Gegenspieler von Robin. Zumal er in beherzter Doppelrolle auch noch den guten König Richard Löwenherz spielt und darin ein klein wenig Prinz John durchschimmern lässt. Vielleicht ist der Schlechte ja gar nicht so schlecht und der vermeintlich Gute auch nicht so grenzenlos toll? Noch dazu werden die beiden Machthungrigen – wie der gewalttätige Schwarze Ritter – von Männern gespielt. Das aber ist eine andere Geschichte.
Bis dahin frenetischer Premierenbeifall fürs turbulente Stück, für die grandios lebensfrohen Spiele und – den Sieg des Guten. Und die Moral von der Geschicht: Wir sind alle Robin Hood.