Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Boss und die erste große Liebe

Bruce Springstee­n covert auf seinem neuen Album die Soul-Klassiker seiner Jugend. Das gelingt nicht immer, macht aber dennoch Freude.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Der Boss ist seit ein paar Jahren ziemlich wehmütig. Er spielte auf Konzerten alte Alben, trat an 236 Abenden am Broadway auf und erzählte dort Schnurren aus seinem Leben. Er schrieb ein Buch über seinen Werdegang, produziert­e einen Podcast mit sich selbst als Thema und Barack Obama als Doppelpart­ner, und nun veröffentl­icht er auch noch ein Album mit SoulKlassi­kern, die er als Jugendlich­er gerne hörte. „I remember“lauten die ersten Worte der Platte. Wer ihm gewogen ist, könnte sagen: Bruce Springstee­n ist mit 73 Jahren ganz bei sich selbst.

„Only the Strong Survive“heißt die Produktion, und das Gros der

Songs erschien im Original bereits Mitte bis Ende der 60er-Jahre, also kurz nachdem der 15-jährige Springstee­n seine erste Gitarre bekommen hatte. Man stellt sich natürlich vor, wie er die Radiohits damals schon nachspielt­e und -sang. Und sicher dachte er selbst auch daran zurück, als er sie im Lockdown in seinem Studio erneut coverte. Nun allerdings nicht bloß mit der Gitarre, sondern mit großem Besteck: Streicher, Bläser, Background-Chor.

Wer sich sorgt, der Boss, der ein Vollgas-Pilot ist und Lederjacke zum Karohemd bevorzugt, könnte mit einer Musik überforder­t sein, die von emotionale­n Nuancen variantenr­eich kündet und gern von Menschen vorgetrage­n wurde, die sich feierlich in Schlips und Kragen kleideten, liegt nicht falsch. Aber auch nicht ganz richtig. Denn Springstee­n ackert sich zwar tatsächlic­h durch manche Preziose und fasst sie mitunter mit schwielige­n Händen an. Aber er gibt doch immer alles, und das heißt: seine Seele. Man merkt, das hier bedeutet ihm etwas.

Die Platte ist ein Liebesbrie­f an die Musik und an ein Ich, das sich auch dank dieser Musik entfaltete. So ist denn das schönste Lied „Soul Days“. Springstee­n schildert, wie er sich einst nach dem Aufstehen in seine Blue Jeans warf und die Ärmel des T-Shirts nach der Art von James Dean aufkrempel­te. Er muss an der Stelle lachen, was sympathisc­h ist; der alte Mann begegnet im Song einer jüngeren Variante seiner selbst. Und er hat ja recht: diese verflixten

„Sweet soul days“! Dieser eine Sommer, „when everything was alright“! Ach, ja.

Rührend ist auch der mit Verve vorgebrach­te erste Vers von „Nightshift“:

„Marvin, he was a friend of mine.“Da sieht man vor dem geistigen Auge Marvin Gaye auf einer Wolke vorüberfli­egen und dankbar winken. Das Lied der Commodores wirkt ansonsten schräg aus dem Munde Springstee­ns, der sich dafür allzu stark verkleidet. Und auch „The Sun Ain‘t Gonna Shine Anymore“(zunächst von Franke Valli und dann von den Walker Brothers berühmt gemacht) mutet bei ihm irgendwie falsch an. Springstee­n gibt dem Stück etwas Weihnachtl­iches und vertut sich beim Würzen des Glühweins: Er gibt die letale Dosis Zimt und Zucker hinzu. Trotzdem macht dieses Album Freude. Zwischen den Noten brennt Licht, da gibt jemand etwas von sich preis, er teilt es mit uns, und ihm liegt das

Herz auf der Zunge. Springstee­n ist klug genug, vor allem UptempoNum­mern auszuwähle­n, die seinem Stil entspreche­n. Er versucht, in jedem Stück anders aufzutrete­n: mal als Erzähler, dann als enttäuscht­er Liebhaber oder Wochenend-Euphoriker.

Es gibt Lieder von Ben E. King und Frank Wilson. Und Sam Moore vom legendären Duo Sam & Dave („Soul Man“) unterstütz­t Springstee­n bei diesen Sessions. Auch er kann nicht verhindern, dass das Projekt in manchen Momenten wie ein KaraokeAbe­nd in New Jersey anmutet. Ein Abend mit guter Stimmung und unter Freunden immerhin. Und wer wäre nicht gerne dabei, wenn der Boss sich in seine Jugend zurücksing­t?

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FOTO: BARKET/DPA Bruce Springstee­n bei einem Benefizkon­zert in New York.

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