Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eine endlose Empörung
Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek macht mit ihrem neuen Werk eine „Angabe der Person“.
DÜSSELDORF Seit Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis erhielt, hat sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Es schien, als sei sie in ihrem Werk verschwunden und lebe nur noch in ihren Texten, aktuell in „Angabe der Person“.
Es geht Jelinek um den Staat, der willkürlich in das Leben einzelner eingreift, unkontrollierte Steuerbehörden, die sich aus unerfindlichen Gründen an einzelnen Personen festbeißen. „Ich ziehe Bilanz, obwohl es dafür zu früh ist, ich zahle also das, was des Staates ist, ich zahle meine Steuern, das wird Ihnen jeder nachweisen können, der Ziffern voneinander unterscheiden kann.“
Es macht sie rasend, dass die Steuerbehörden sie verfolgen und zermürben. Die Autorin pendelt seit Jahrzehnten zwischen Deutschland
und Österreich, sie hat zwei Wohnsitze, einen in München, wo ihr kürzlich verstorbener Ehemann lebte, einen in Wien, wo sie sich zumeist aufhält und in ihre SchreibEinsamkeit zurückzieht. Die Steuerbehörden unterstellen, sie habe ihre Einnahmen nicht ordentlich versteuert und eröffnen ein Ermittlungsverfahren gegen sie, beschlagnahmen Unterlagen, sichten Konten, machen eine Hausdurchsuchung. Sie empfindet Ekel, fühlt sich gedemütigt und zur Verbrecherin abgestempelt.
So wird aus ihrem Zorn über die gegen sie laufenden Ermittlungen ein Nachdenken über kriminelle globale Kapitalströme und über einen Kapitalismus, der keine Moral kennt. Wie sehr, fragt sich Jelinek, profitieren bis heute Staaten von enteigneten jüdischen Vermögen? Wie viele Nazi-Größen wurden umstandslos entschädigt, während die Opfer bis heute auf Wiedergutmachung warten?
Elfriede Jelinek hat noch nie so offen über die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie gesprochen: Jetzt schreibt sie zum ersten Mal über eine in Auschwitz ermordete Tante, einen Onkel, der nach Dachau deportiert wurde und, kaum da er wieder freigelassen wurde, Suizid beging.
Sie spricht vom Vater, der im Nazi-Jargon als „Halbjude“galt und der Vernichtung nur entging, weil er als Ingenieur für die Kriegsindustrie gebraucht wurde: „Hätte das deutsche Land, das damals einfach überall war, noch länger, tausend Jahre mindestens, sich breiter aufgestellt, als meine Eltern es aushalten konnten, dann gäbe es mich nicht. Hätte das Land länger, als es musste, auf garantiert rassereinem Nachwuchs bestanden, gäbe es mich nicht, meine Rasse ist unrein, ich weiß, ich gehöre nirgends dazu.“
Der Text ist eine unaufhörliche Suada der Empörung – schwer lesbarer, schwer verdaulich, aber ungemein bösartig und unverzichtbar.
Info Elfriede Jelinek: Angabe der Person. Rowohlt, 190 Seiten, 24 Euro.