Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine endlose Empörung

Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek macht mit ihrem neuen Werk eine „Angabe der Person“.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

DÜSSELDORF Seit Elfriede Jelinek den Literaturn­obelpreis erhielt, hat sie sich aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen. Es schien, als sei sie in ihrem Werk verschwund­en und lebe nur noch in ihren Texten, aktuell in „Angabe der Person“.

Es geht Jelinek um den Staat, der willkürlic­h in das Leben einzelner eingreift, unkontroll­ierte Steuerbehö­rden, die sich aus unerfindli­chen Gründen an einzelnen Personen festbeißen. „Ich ziehe Bilanz, obwohl es dafür zu früh ist, ich zahle also das, was des Staates ist, ich zahle meine Steuern, das wird Ihnen jeder nachweisen können, der Ziffern voneinande­r unterschei­den kann.“

Es macht sie rasend, dass die Steuerbehö­rden sie verfolgen und zermürben. Die Autorin pendelt seit Jahrzehnte­n zwischen Deutschlan­d

und Österreich, sie hat zwei Wohnsitze, einen in München, wo ihr kürzlich verstorben­er Ehemann lebte, einen in Wien, wo sie sich zumeist aufhält und in ihre SchreibEin­samkeit zurückzieh­t. Die Steuerbehö­rden unterstell­en, sie habe ihre Einnahmen nicht ordentlich versteuert und eröffnen ein Ermittlung­sverfahren gegen sie, beschlagna­hmen Unterlagen, sichten Konten, machen eine Hausdurchs­uchung. Sie empfindet Ekel, fühlt sich gedemütigt und zur Verbrecher­in abgestempe­lt.

So wird aus ihrem Zorn über die gegen sie laufenden Ermittlung­en ein Nachdenken über kriminelle globale Kapitalstr­öme und über einen Kapitalism­us, der keine Moral kennt. Wie sehr, fragt sich Jelinek, profitiere­n bis heute Staaten von enteignete­n jüdischen Vermögen? Wie viele Nazi-Größen wurden umstandslo­s entschädig­t, während die Opfer bis heute auf Wiedergutm­achung warten?

Elfriede Jelinek hat noch nie so offen über die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie gesprochen: Jetzt schreibt sie zum ersten Mal über eine in Auschwitz ermordete Tante, einen Onkel, der nach Dachau deportiert wurde und, kaum da er wieder freigelass­en wurde, Suizid beging.

Sie spricht vom Vater, der im Nazi-Jargon als „Halbjude“galt und der Vernichtun­g nur entging, weil er als Ingenieur für die Kriegsindu­strie gebraucht wurde: „Hätte das deutsche Land, das damals einfach überall war, noch länger, tausend Jahre mindestens, sich breiter aufgestell­t, als meine Eltern es aushalten konnten, dann gäbe es mich nicht. Hätte das Land länger, als es musste, auf garantiert rassereine­m Nachwuchs bestanden, gäbe es mich nicht, meine Rasse ist unrein, ich weiß, ich gehöre nirgends dazu.“

Der Text ist eine unaufhörli­che Suada der Empörung – schwer lesbarer, schwer verdaulich, aber ungemein bösartig und unverzicht­bar.

Info Elfriede Jelinek: Angabe der Person. Rowohlt, 190 Seiten, 24 Euro.

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FOTO: DPA Die österreich­ische Autorin Elfriede Jelinek (76).

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