Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Teurer Dünger gleich teure Lebensmittel
BRÜSSEL In der Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine häufen sich auch in der Europäischen Union die Krisen. Der Gaspreis steigt, die Lebensmittel verteuern sich, in anderen Teilen der Welt fehlen sie. Zudem hat der Krieg die Düngemittel knapp werden lassen. Weil sie mit teurem Gas produziert werden, ruht oft die Herstellung. Und weil sie so teuer geworden sind, wenden die Landwirte sie sparsamer an. Alles zusammen führt dazu, dass der Ertrag auf den Feldern im nächsten Jahr dramatisch einbrechen könnte – mit erneutem Drehen an der Lebensmittelpreisspirale. Deshalb berieten am Montag die EU-Agrarminister über die neue Krise.
Zur Sitzung hatte die EU-Kommission erste Vorschläge auf den Tisch gelegt. Allerdings stellen diese nach den Wortmeldungen der meisten Minister noch keinen schlüssigen Weg zu einer kurzfristigen Lösung des sich zuspitzenden Problems dar. Dabei ist auch nach den Recherchen der Kommission eine brisante Lage entstanden: Innerhalb eines Jahres habe sich der Preis für Stickstoffdünger um 149 Prozent erhöht. Je nach Produkt und Zusammensetzung seien einzelne Düngemittel sogar drei- bis fünfmal teurer geworden. Den Ausweg sieht die EU-Kommission darin, die Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Ausland zu verringern. Schließlich kämen bislang 30 Prozent der nötigen Stickstoffdünger, 68 Prozent der verwendeten Phosphordünger und sogar 85 Prozent der erforderlichen Kaliumdünger von außerhalb der EU. Die Kommission will nun heimische Düngerproduzenten fördern und die Mitgliedsstaaten ermuntern, bei Gasengpässen in diesem Winter diese Produktionsstätten von Liefersperren auszunehmen.
Zudem kündigte die Kommission an, im nächsten Jahr eine „Marktbeobachtungsstelle“einzurichten, um einen besseren Überblick über
Produktion, Nutzung, Preise und Handel zu erhalten. Wie die Düngemittelhersteller in der EU durch den Winter kommen, hängt entscheidend davon ab, ob die Mitgliedsländer den Gaspreis in den Griff bekommen. Insofern blickten die Agrarminister am Montag auch auf die Sondersitzung ihrer Energieministerkollegen, die an diesem Donnerstag einen neuen Anlauf unternehmen, kurzfristige Preisausschläge zu unterbinden. Daneben denkt die Kommission auch daran, mittel- bis langfristig mehr mineralische Dünger durch organische Dünger zu ersetzen. Freilich misstraut der Deutsche Bauernverband an dieser Stelle den Kommissionsaktivitäten in ihrer Gesamtheit. Denn über die gleichfalls geplante neue Industrie-Emissionsrichtlinie werde die Tierhaltung sozusagen „durch die Hintertür“eingeschränkt und damit auch der Dünger in Form von Mist und Gülle reduziert.
Andere Befürchtungen gelten der EU-Gesetzgebung zur Natur-Wiederherstellung,
Die Energiepreise schockieren viele Verbraucher. Die Krise hinter diesen Krisen kann brisante Ausmaße annehmen: Düngemittel sind knapp und teuer geworden.
über die der Agrarministerrat ebenfalls an diesem Montag beriet. So wichtig die Biodiversität auch sei – etwa durch die Bestäuber auch für die landwirtschaftlichen Erträge – so groß sei die Gefahr, die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zu verringern. Gerade in der aktuellen Krise müsse die Ernährungssicherheit besonders gewichtet werden, verlangten mehrere Minister.
Für eine Schwerpunktverlagerung in der Dünger-Krise setzte sich am Montag eine spanische Initiative ein. Auch Deutschland unterstützte den Vorstoß, die Rolle von Eiweißpflanzen zu stärken, um alternative Nährstoffquellen besser nutzen zu können. Hervorgehoben wurde zudem der Einsatz neuer Techniken, die eine präzisere und effizientere Nutzung fein dosierter Düngemittel ermöglichen. Daneben plädierte die Mehrheit der EU-Agrarminister für mehr „grüne“, also mit regenerativen Energien und Wasserstoff produzierten Dünger in der EU.
Eine Reihe von Ministern sprach sich dafür aus, als EU einen gemeinsamen Dünger-Einkauf zu organisieren, wie dieser seit Monaten ebenfalls bereits beim Gas vorbereitet wird. Wichtiger für viele Landwirte könnte die Forderung einiger Länder sein, die Agrarreserve der EU im nächsten Jahr zur Unterstützung der Landwirte beim Düngemitteleinkauf zu verwenden. Deutschland sieht diesen Schritt jedoch kritisch. Es gebe durch die sinkenden Energiepreise bereits ein „Zeichen der Entspannung“.
Die Resonanz im Europa-Parlament ist gespalten. Für Norbert Lins (CDU), den Vorsitzenden des Agrarausschusses, fehlt es in den Kommissionsvorschlägen noch am „Bemühen, die dramatische Versorgungslage mit Düngemitteln zu verbessern“. Es hätten alle Hebel bis hin zur Aussetzung der Anti-Dumping-Maßnahmen in Bewegung gesetzt werden müssen.