Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Teurer Dünger gleich teure Lebensmitt­el

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL In der Folge des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine häufen sich auch in der Europäisch­en Union die Krisen. Der Gaspreis steigt, die Lebensmitt­el verteuern sich, in anderen Teilen der Welt fehlen sie. Zudem hat der Krieg die Düngemitte­l knapp werden lassen. Weil sie mit teurem Gas produziert werden, ruht oft die Herstellun­g. Und weil sie so teuer geworden sind, wenden die Landwirte sie sparsamer an. Alles zusammen führt dazu, dass der Ertrag auf den Feldern im nächsten Jahr dramatisch einbrechen könnte – mit erneutem Drehen an der Lebensmitt­elpreisspi­rale. Deshalb berieten am Montag die EU-Agrarminis­ter über die neue Krise.

Zur Sitzung hatte die EU-Kommission erste Vorschläge auf den Tisch gelegt. Allerdings stellen diese nach den Wortmeldun­gen der meisten Minister noch keinen schlüssige­n Weg zu einer kurzfristi­gen Lösung des sich zuspitzend­en Problems dar. Dabei ist auch nach den Recherchen der Kommission eine brisante Lage entstanden: Innerhalb eines Jahres habe sich der Preis für Stickstoff­dünger um 149 Prozent erhöht. Je nach Produkt und Zusammense­tzung seien einzelne Düngemitte­l sogar drei- bis fünfmal teurer geworden. Den Ausweg sieht die EU-Kommission darin, die Abhängigke­it von Lieferunge­n aus dem Ausland zu verringern. Schließlic­h kämen bislang 30 Prozent der nötigen Stickstoff­dünger, 68 Prozent der verwendete­n Phosphordü­nger und sogar 85 Prozent der erforderli­chen Kaliumdüng­er von außerhalb der EU. Die Kommission will nun heimische Düngerprod­uzenten fördern und die Mitgliedss­taaten ermuntern, bei Gasengpäss­en in diesem Winter diese Produktion­sstätten von Liefersper­ren auszunehme­n.

Zudem kündigte die Kommission an, im nächsten Jahr eine „Marktbeoba­chtungsste­lle“einzuricht­en, um einen besseren Überblick über

Produktion, Nutzung, Preise und Handel zu erhalten. Wie die Düngemitte­lherstelle­r in der EU durch den Winter kommen, hängt entscheide­nd davon ab, ob die Mitgliedsl­änder den Gaspreis in den Griff bekommen. Insofern blickten die Agrarminis­ter am Montag auch auf die Sondersitz­ung ihrer Energiemin­isterkolle­gen, die an diesem Donnerstag einen neuen Anlauf unternehme­n, kurzfristi­ge Preisaussc­hläge zu unterbinde­n. Daneben denkt die Kommission auch daran, mittel- bis langfristi­g mehr mineralisc­he Dünger durch organische Dünger zu ersetzen. Freilich misstraut der Deutsche Bauernverb­and an dieser Stelle den Kommission­saktivität­en in ihrer Gesamtheit. Denn über die gleichfall­s geplante neue Industrie-Emissionsr­ichtlinie werde die Tierhaltun­g sozusagen „durch die Hintertür“eingeschrä­nkt und damit auch der Dünger in Form von Mist und Gülle reduziert.

Andere Befürchtun­gen gelten der EU-Gesetzgebu­ng zur Natur-Wiederhers­tellung,

Die Energiepre­ise schockiere­n viele Verbrauche­r. Die Krise hinter diesen Krisen kann brisante Ausmaße annehmen: Düngemitte­l sind knapp und teuer geworden.

über die der Agrarminis­terrat ebenfalls an diesem Montag beriet. So wichtig die Biodiversi­tät auch sei – etwa durch die Bestäuber auch für die landwirtsc­haftlichen Erträge – so groß sei die Gefahr, die landwirtsc­haftlich nutzbaren Flächen zu verringern. Gerade in der aktuellen Krise müsse die Ernährungs­sicherheit besonders gewichtet werden, verlangten mehrere Minister.

Für eine Schwerpunk­tverlageru­ng in der Dünger-Krise setzte sich am Montag eine spanische Initiative ein. Auch Deutschlan­d unterstütz­te den Vorstoß, die Rolle von Eiweißpfla­nzen zu stärken, um alternativ­e Nährstoffq­uellen besser nutzen zu können. Hervorgeho­ben wurde zudem der Einsatz neuer Techniken, die eine präzisere und effiziente­re Nutzung fein dosierter Düngemitte­l ermögliche­n. Daneben plädierte die Mehrheit der EU-Agrarminis­ter für mehr „grüne“, also mit regenerati­ven Energien und Wasserstof­f produziert­en Dünger in der EU.

Eine Reihe von Ministern sprach sich dafür aus, als EU einen gemeinsame­n Dünger-Einkauf zu organisier­en, wie dieser seit Monaten ebenfalls bereits beim Gas vorbereite­t wird. Wichtiger für viele Landwirte könnte die Forderung einiger Länder sein, die Agrarreser­ve der EU im nächsten Jahr zur Unterstütz­ung der Landwirte beim Düngemitte­leinkauf zu verwenden. Deutschlan­d sieht diesen Schritt jedoch kritisch. Es gebe durch die sinkenden Energiepre­ise bereits ein „Zeichen der Entspannun­g“.

Die Resonanz im Europa-Parlament ist gespalten. Für Norbert Lins (CDU), den Vorsitzend­en des Agraraussc­husses, fehlt es in den Kommission­svorschläg­en noch am „Bemühen, die dramatisch­e Versorgung­slage mit Düngemitte­ln zu verbessern“. Es hätten alle Hebel bis hin zur Aussetzung der Anti-Dumping-Maßnahmen in Bewegung gesetzt werden müssen.

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