Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Polizei befürchtet Rocker-Kämpfe

Ein interner Bericht zeigt erstmals, wie verflochte­n kriminelle Gangmitgli­eder mit der Kampfsport­szene sind. Auch Clans sind involviert. Die Beamten müssen jederzeit mit öffentlich­en Auseinande­rsetzungen rechnen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Mit wachsender Sorge beobachten die Sicherheit­sbehörden in Nordrhein-Westfalen, dass kriminelle Rocker immer mehr in der Kampfsport­szene Fuß fassen. „Zunehmend bilden Mixed Martial Arts und ähnliche Kampfsport­veranstalt­ungen eine Aktionspla­ttform für verbotene Motorradga­ngs und weitere kriminalit­ätsrelevan­te Strukturen ab“, heißt es in einem aktuellen Lagebild zur Rockerkrim­inalität in NRW, in das unsere Redaktion Einblick hatte. „Wenn die Rocker solche Kampftechn­iken beherrsche­n, wird es für die Polizisten auf der Straße bei Begegnunge­n mit dieser Klientel immer gefährlich­er“, heißt es aus Sicherheit­skreisen.

Bei Mixed Martial Arts ist fast alles erlaubt; die Kampfsport­art vereint Kampftechn­iken aus Ringen, Kickboxen und Judo und gilt als extrem brutal. Diese Entwicklun­g haben dem Bericht zufolge gleich mehrere solcher Veranstalt­ungen in diesem Jahr belegt, an dem Mitglieder der Kampfsport-, Rockerund Rapperszen­e teilgenomm­en hätten. Aber auch Angehörige relevanter kriminelle­r Clans seien regelmäßig auf diesen Veranstalt­ungen. Die Sicherheit­sbehörden haben bei den Kampfsport­treffen eine brisante Beobachtun­g machen können: „Mitglieder der genannten und zum Teil verfeindet­en Strukturen (Rocker und Clans, d. Red.) treten dabei als Kämpfer auf“, heißt es in dem Bericht. Diese Kämpfer werden demnach durch eine Vielzahl von zuschauend­en Angehörige­n ihres Milieus unterstütz­t.

Zuletzt fielen in Oberhausen Ende September an einer Tankstelle Schüsse infolge einer Auseinande­rsetzung

im Rockermili­eu. Der Fall, bei dem ein 31-Jähriger durch einen Schuss in den Oberschenk­el schwer verletzt wurde, hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im Polizeiber­icht ist dazu vermerkt, dass das Opfer ein polizeibek­annter Deutscher mit Bezug zu den Hells Angels „Charter Cologne City“gewesen ist. Demnach habe er eine Liebesbezi­ehung mit der Frau des Täters geführt. Am Tattag sei der Täter mit einem Fahrzeug eines Bekannten zur Tankstelle gefahren und habe dort die Konfrontat­ion mit dem späteren Opfer gesucht. Die Situation sei dann eskaliert; der Täter sitzt in Untersuchu­ngshaft.

Einen solchen öffentlich ausgetrage­nen Konflikt hat es zuletzt Anfang Mai dieses Jahres im Duisburger Norden gegeben. Damals hatten sich Mitglieder der Hells Angels mit Angehörige­n eines türkisch-arabischen Familiencl­ans in aller Öffentlich­keit eine Straßensch­lacht geliefert, bei der auch Schusswaff­en eingesetzt wurden. Im internen Polizeiber­icht zu den Ermittlung­en in dem Fall heißt es ganz aktuell: „Das Geschehene belegt, dass Mitgliedsc­haften und Zugehörigk­eiten im Falle von Auseinande­rsetzungen mit konkurrier­enden Gruppen für alle Mitglieder die Verpflicht­ung der Solidarisi­erung bewirken und massive Gewalttäti­gkeiten im öffentlich­en Raum auslösen können.“Und weiter heißt es: „Insbesonde­re die personenbe­zogenen Schnittste­llen zwischen einer Mitgliedsc­haft einer Rockergrup­pierung und gleichzeit­iger Zugehörigk­eit zu einer relevanten Familienst­ruktur bergen ein erhöhtes Konfliktpo­tenzial.“

Die kriminelle­n Rocker mit ihren Erkennungs­zeichen sind aufgrund von Verboten aus der Öffentlich­keit nahezu verschwund­en. So haben die Bandidos laut dem Bericht nach dem Verbot der „Federation West Central“derzeit kein einziges Mitglied in NRW mehr – ebenso wie die United Tribuns. „Sie sind deswegen aber nicht weg, sondern nur im Untergrund aktiv ohne ihre Abzeichen“, heißt es aus Sicherheit­skreisen. Durch die Verbote der beiden genannten Rockergrup­pierungen gibt es landesweit nur noch fünf „Outlaw Motorcycle Gangs“(OMCG; „gesetzlose Motorradba­nden“): die Freeway Riders (403 Mitglieder, 33 Charter), Hells Angels (198 Mitglieder, 18 Charter), Gremium MC (163 Mitglieder, acht Charter), Outlaws MC (48 Mitglieder, vier Charter) und Brothers MC (42 Mitglieder, acht Charter). Durch die Verbote sank die Zahl aller kriminelle­n Rocker laut Bericht von 1975 im Jahr 2020 auf 854 in diesem Jahr.

Die Sicherheit­sbehörden kommen laut Bericht zu dem Schluss, dass „jederzeit mit Auseinande­rsetzungen zwischen verfeindet­en Gruppierun­gen“von verbotenen Rockerband­en in NRW zu rechnen ist. Dabei könnten auch Schusswaff­en eingesetzt und Unbeteilig­te gefährdet werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany