Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Polizei befürchtet Rocker-Kämpfe
Ein interner Bericht zeigt erstmals, wie verflochten kriminelle Gangmitglieder mit der Kampfsportszene sind. Auch Clans sind involviert. Die Beamten müssen jederzeit mit öffentlichen Auseinandersetzungen rechnen.
DÜSSELDORF Mit wachsender Sorge beobachten die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen, dass kriminelle Rocker immer mehr in der Kampfsportszene Fuß fassen. „Zunehmend bilden Mixed Martial Arts und ähnliche Kampfsportveranstaltungen eine Aktionsplattform für verbotene Motorradgangs und weitere kriminalitätsrelevante Strukturen ab“, heißt es in einem aktuellen Lagebild zur Rockerkriminalität in NRW, in das unsere Redaktion Einblick hatte. „Wenn die Rocker solche Kampftechniken beherrschen, wird es für die Polizisten auf der Straße bei Begegnungen mit dieser Klientel immer gefährlicher“, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Bei Mixed Martial Arts ist fast alles erlaubt; die Kampfsportart vereint Kampftechniken aus Ringen, Kickboxen und Judo und gilt als extrem brutal. Diese Entwicklung haben dem Bericht zufolge gleich mehrere solcher Veranstaltungen in diesem Jahr belegt, an dem Mitglieder der Kampfsport-, Rockerund Rapperszene teilgenommen hätten. Aber auch Angehörige relevanter krimineller Clans seien regelmäßig auf diesen Veranstaltungen. Die Sicherheitsbehörden haben bei den Kampfsporttreffen eine brisante Beobachtung machen können: „Mitglieder der genannten und zum Teil verfeindeten Strukturen (Rocker und Clans, d. Red.) treten dabei als Kämpfer auf“, heißt es in dem Bericht. Diese Kämpfer werden demnach durch eine Vielzahl von zuschauenden Angehörigen ihres Milieus unterstützt.
Zuletzt fielen in Oberhausen Ende September an einer Tankstelle Schüsse infolge einer Auseinandersetzung
im Rockermilieu. Der Fall, bei dem ein 31-Jähriger durch einen Schuss in den Oberschenkel schwer verletzt wurde, hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im Polizeibericht ist dazu vermerkt, dass das Opfer ein polizeibekannter Deutscher mit Bezug zu den Hells Angels „Charter Cologne City“gewesen ist. Demnach habe er eine Liebesbeziehung mit der Frau des Täters geführt. Am Tattag sei der Täter mit einem Fahrzeug eines Bekannten zur Tankstelle gefahren und habe dort die Konfrontation mit dem späteren Opfer gesucht. Die Situation sei dann eskaliert; der Täter sitzt in Untersuchungshaft.
Einen solchen öffentlich ausgetragenen Konflikt hat es zuletzt Anfang Mai dieses Jahres im Duisburger Norden gegeben. Damals hatten sich Mitglieder der Hells Angels mit Angehörigen eines türkisch-arabischen Familienclans in aller Öffentlichkeit eine Straßenschlacht geliefert, bei der auch Schusswaffen eingesetzt wurden. Im internen Polizeibericht zu den Ermittlungen in dem Fall heißt es ganz aktuell: „Das Geschehene belegt, dass Mitgliedschaften und Zugehörigkeiten im Falle von Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Gruppen für alle Mitglieder die Verpflichtung der Solidarisierung bewirken und massive Gewalttätigkeiten im öffentlichen Raum auslösen können.“Und weiter heißt es: „Insbesondere die personenbezogenen Schnittstellen zwischen einer Mitgliedschaft einer Rockergruppierung und gleichzeitiger Zugehörigkeit zu einer relevanten Familienstruktur bergen ein erhöhtes Konfliktpotenzial.“
Die kriminellen Rocker mit ihren Erkennungszeichen sind aufgrund von Verboten aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden. So haben die Bandidos laut dem Bericht nach dem Verbot der „Federation West Central“derzeit kein einziges Mitglied in NRW mehr – ebenso wie die United Tribuns. „Sie sind deswegen aber nicht weg, sondern nur im Untergrund aktiv ohne ihre Abzeichen“, heißt es aus Sicherheitskreisen. Durch die Verbote der beiden genannten Rockergruppierungen gibt es landesweit nur noch fünf „Outlaw Motorcycle Gangs“(OMCG; „gesetzlose Motorradbanden“): die Freeway Riders (403 Mitglieder, 33 Charter), Hells Angels (198 Mitglieder, 18 Charter), Gremium MC (163 Mitglieder, acht Charter), Outlaws MC (48 Mitglieder, vier Charter) und Brothers MC (42 Mitglieder, acht Charter). Durch die Verbote sank die Zahl aller kriminellen Rocker laut Bericht von 1975 im Jahr 2020 auf 854 in diesem Jahr.
Die Sicherheitsbehörden kommen laut Bericht zu dem Schluss, dass „jederzeit mit Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppierungen“von verbotenen Rockerbanden in NRW zu rechnen ist. Dabei könnten auch Schusswaffen eingesetzt und Unbeteiligte gefährdet werden.