Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Weidmann als Stabilitätsfaktor
Mit dem ehemaligen Bundesbank-Präsidenten als Chefaufseher soll bei der Commerzbank endgültig Ruhe einkehren.
FRANKFURT Zehn Jahre lang war der gebürtige Solinger Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank, und viele hätten es vermutlich gern gesehen, wenn der promovierte Volkswirt irgendwann das gleiche Amt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) innegehabt hätte.
Doch von deren Krisenmanagement und der Geldpolitik der Frankfurter Währungshüter hat sich Weidmann mehr als einmal distanziert. Regelmäßig hat er den rechtzeitigen Ausstieg der Notenbank aus der Politik des billigen Geldes verlangt, und damit hat er sich wahrlich nicht überall Freunde gemacht. Womöglich hat ihm das den Weg an die EZB-Spitze verbaut.
Jetzt steht Jens Weidmann vor der Rückkehr in die deutsche Bankenlandschaft. Gut ein Jahr, nachdem er seinen Rücktritt als BundesbankPräsident für Ende 2021 angekündigt und dafür persönliche Gründe als Motiv angeführt hatte, soll er Chefaufseher der Commerzbank werden, die immer noch die zweitgrößte Privatbank Deutschlands ist. Weidmann soll dort Helmut Gottschalk beerben, der nach der Hauptversammlung im Mai des kommenden Jahres seinen Posten aus Altersgründen aufgeben will.
Für den Job, den Weidmann in einem halben Jahr antreten soll, war einmal der frühere Chef des Düsseldorfer Bankhauses HSBC Deutschland, Andreas Schmitz (61), vorgesehen. Doch der scheiterte im vergangenen Jahr am Misstrauen des Bundes, der mit seinem Aktienpaket von 15,6 Prozent immer noch Großaktionär bei der Commerzbank ist. Schmitz war Anfang 2021 in das Kontrollgremium der Frankfurter Großbank eingezogen und sollte Monate später an die Spitze rücken. Doch weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen möglicher Verstrickungen in die Cum-ex-Affäre ermittelt, soll sich der Bund gegen Schmitz ausgesprochen haben. Der reagierte prompt und zog sich mit sofortiger Wirkung auch als einfaches Mitglied aus dem Kontrollgremium zurück.
Jetzt also Weidmann, der – wie es so üblich ist bei derartigen freiwilligen Abgängen – von seinem Vorgänger über den grünen Klee gelobt wird, noch ehe er überhaupt in den Aufsichtsrat der Commerzbank gewählt worden ist: „Ich freue mich, dass wir mit dem früheren Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Weidmann, eine im Finanzwesen hoch angesehene Persönlichkeit für die Kandidatur zur Wahl in den Aufsichtsrat gewinnen können, der im Falle seiner Wahl auch für den Aufsichtsratsvorsitz zur Verfügung steht“, so Gottschalk. Zumindest darf man bei der Commerzbank mit Weidmann auf mehr Stabilität und Kontinuität an den wichtigen Schaltstellen hoffen. Vor zwei Jahren gaben binnen kurzer Zeit Vorstandschef Martin Zielke und der seinerzeitige Aufsichtsratsvorsitzende Stefan Schmittmann auf (angeblich nach Auseinandersetzungen
mit dem Finanzinvestor Cerberus), dann ging Schmittmanns Nachfolger Hans-Jörg Vetter aus persönlichen Gründen, schließlich die Querelen um Schmitz. Aufregung war genug.
Gottschalk will nach offiziellen Angaben aus Altersgründen aufhören. Allerdings gilt sein Verhältnis zum Commerzbank-Chef Manfred Knof als angespannt. Die Commerzbank dagegen hat Gottschalk ein halbes Jahr vor seinem Ausstieg auch schon Kränze geflochten: „In seiner bisherigen Amtszeit hat die Bank im Rahmen ihrer Strategie 2024 eine umfassende Restrukturierung erfolgreich umgesetzt, ihr Geschäftsmodell an veränderte Rahmenbedingungen angepasst und ihre Profitabilität in ihrem Kerngeschäft deutlich verbessert.“
In der Tat hat die Commerzbank deutlich umgebaut. Ihr winkt für das zu Ende gehende Jahr ein Milliardengewinn. Im zweiten Quartal hat die Bank unter dem Strich 470 Millionen Euro und damit 100 Millionen
mehr verdient, als Analysten erwartet hatten. Und an der Börse ist die Bank auch ein Gewinner der vergangenen drei Jahre. In diesem Zeitraum ist der Aktienkurs um etwa 60 Prozent gestiegen.
Der designierte Chefkontrolleur Weidmann hat schon eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Vor seiner zehnjährigen Amtszeit als Bundesbank-Chef war der heute 54-Jährige Leiter der wirtschaftsund finanzpolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt. Er galt als Vertrauter von Angela Merkel. Derartige politische Verdrahtung, wie sie Weidmann vorweisen kann, ist bei einem Unternehmen mit dem Bund als maßgeblichem Aktionär nicht zu unterschätzen. Was Weidmann fehlt, ist der Stallgeruch einer Privatbank. „Ein ehemaliger Zentralbanker hat nicht unbedingt das Profil für einen Aufsichtsratsvorsitzenden einer Großbank“, schrieb Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität, auf Twitter.