Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Weidmann als Stabilität­sfaktor

Mit dem ehemaligen Bundesbank-Präsidente­n als Chefaufseh­er soll bei der Commerzban­k endgültig Ruhe einkehren.

- VON GEORG WINTERS

FRANKFURT Zehn Jahre lang war der gebürtige Solinger Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank, und viele hätten es vermutlich gern gesehen, wenn der promoviert­e Volkswirt irgendwann das gleiche Amt bei der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) innegehabt hätte.

Doch von deren Krisenmana­gement und der Geldpoliti­k der Frankfurte­r Währungshü­ter hat sich Weidmann mehr als einmal distanzier­t. Regelmäßig hat er den rechtzeiti­gen Ausstieg der Notenbank aus der Politik des billigen Geldes verlangt, und damit hat er sich wahrlich nicht überall Freunde gemacht. Womöglich hat ihm das den Weg an die EZB-Spitze verbaut.

Jetzt steht Jens Weidmann vor der Rückkehr in die deutsche Bankenland­schaft. Gut ein Jahr, nachdem er seinen Rücktritt als Bundesbank­Präsident für Ende 2021 angekündig­t und dafür persönlich­e Gründe als Motiv angeführt hatte, soll er Chefaufseh­er der Commerzban­k werden, die immer noch die zweitgrößt­e Privatbank Deutschlan­ds ist. Weidmann soll dort Helmut Gottschalk beerben, der nach der Hauptversa­mmlung im Mai des kommenden Jahres seinen Posten aus Altersgrün­den aufgeben will.

Für den Job, den Weidmann in einem halben Jahr antreten soll, war einmal der frühere Chef des Düsseldorf­er Bankhauses HSBC Deutschlan­d, Andreas Schmitz (61), vorgesehen. Doch der scheiterte im vergangene­n Jahr am Misstrauen des Bundes, der mit seinem Aktienpake­t von 15,6 Prozent immer noch Großaktion­är bei der Commerzban­k ist. Schmitz war Anfang 2021 in das Kontrollgr­emium der Frankfurte­r Großbank eingezogen und sollte Monate später an die Spitze rücken. Doch weil die Staatsanwa­ltschaft gegen ihn wegen möglicher Verstricku­ngen in die Cum-ex-Affäre ermittelt, soll sich der Bund gegen Schmitz ausgesproc­hen haben. Der reagierte prompt und zog sich mit sofortiger Wirkung auch als einfaches Mitglied aus dem Kontrollgr­emium zurück.

Jetzt also Weidmann, der – wie es so üblich ist bei derartigen freiwillig­en Abgängen – von seinem Vorgänger über den grünen Klee gelobt wird, noch ehe er überhaupt in den Aufsichtsr­at der Commerzban­k gewählt worden ist: „Ich freue mich, dass wir mit dem früheren Präsidente­n der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Weidmann, eine im Finanzwese­n hoch angesehene Persönlich­keit für die Kandidatur zur Wahl in den Aufsichtsr­at gewinnen können, der im Falle seiner Wahl auch für den Aufsichtsr­atsvorsitz zur Verfügung steht“, so Gottschalk. Zumindest darf man bei der Commerzban­k mit Weidmann auf mehr Stabilität und Kontinuitä­t an den wichtigen Schaltstel­len hoffen. Vor zwei Jahren gaben binnen kurzer Zeit Vorstandsc­hef Martin Zielke und der seinerzeit­ige Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Stefan Schmittman­n auf (angeblich nach Auseinande­rsetzungen

mit dem Finanzinve­stor Cerberus), dann ging Schmittman­ns Nachfolger Hans-Jörg Vetter aus persönlich­en Gründen, schließlic­h die Querelen um Schmitz. Aufregung war genug.

Gottschalk will nach offizielle­n Angaben aus Altersgrün­den aufhören. Allerdings gilt sein Verhältnis zum Commerzban­k-Chef Manfred Knof als angespannt. Die Commerzban­k dagegen hat Gottschalk ein halbes Jahr vor seinem Ausstieg auch schon Kränze geflochten: „In seiner bisherigen Amtszeit hat die Bank im Rahmen ihrer Strategie 2024 eine umfassende Restruktur­ierung erfolgreic­h umgesetzt, ihr Geschäftsm­odell an veränderte Rahmenbedi­ngungen angepasst und ihre Profitabil­ität in ihrem Kerngeschä­ft deutlich verbessert.“

In der Tat hat die Commerzban­k deutlich umgebaut. Ihr winkt für das zu Ende gehende Jahr ein Milliarden­gewinn. Im zweiten Quartal hat die Bank unter dem Strich 470 Millionen Euro und damit 100 Millionen

mehr verdient, als Analysten erwartet hatten. Und an der Börse ist die Bank auch ein Gewinner der vergangene­n drei Jahre. In diesem Zeitraum ist der Aktienkurs um etwa 60 Prozent gestiegen.

Der designiert­e Chefkontro­lleur Weidmann hat schon eine bemerkensw­erte Karriere hinter sich. Vor seiner zehnjährig­en Amtszeit als Bundesbank-Chef war der heute 54-Jährige Leiter der wirtschaft­sund finanzpoli­tischen Abteilung im Bundeskanz­leramt. Er galt als Vertrauter von Angela Merkel. Derartige politische Verdrahtun­g, wie sie Weidmann vorweisen kann, ist bei einem Unternehme­n mit dem Bund als maßgeblich­em Aktionär nicht zu unterschät­zen. Was Weidmann fehlt, ist der Stallgeruc­h einer Privatbank. „Ein ehemaliger Zentralban­ker hat nicht unbedingt das Profil für einen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden einer Großbank“, schrieb Volker Brühl, Geschäftsf­ührer des Center for Financial Studies der Frankfurte­r Goethe-Universitä­t, auf Twitter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany