Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Machtwort im Binden-Streit
Das WM-Streitthema um die mehrfarbige „One Love“-Kapitänsbinde für mehrere europäische Nationen eskaliert. Wegen angedrohter Sanktionen seitens der Fifa verzichten auch der DFB und Kapitän Manuel Neuer.
DOHA (dpa) Die Eskalation um die „One Love“-Kapitänsbinde der europäischen WM-Kapitäne um Manuel Neuer reichte weit über die Grenzen Katars hinaus. Neben der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes kritisierten am Montag auch die britische Regierung und Bundestagsabgeordnete die kaum nachvollziehbare scharfe Drohung der Fifa. Diese wollte die an der symbolträchtigen Kampagne beteiligten Verbände sportlich sanktionieren - wenn diese das „Eine Liebe“-Zeichen in die Welt schicken würden. Politischer kann diese WM kaum werden.
„Es handelt sich aus meiner Sicht um eine Machtdemonstration der Fifa“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Montag am Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft im Norden Katars. „Das ist aus unserer Sicht mehr als frustrierend und auch ein beispielloser Vorgang der WM-Geschichte.“DFBGeschäftsführer Oliver Bierhoff äußerte, es fühle sich „schon stark nach Zensur an“.
Neben dem DFB verzichten wegen des massiven Fifa-Drucks auch die weiteren sieben europäischen Verbände auf die Kapitänsbinde. Der erste betroffene Profi war Englands Kapitän Harry Kane am Montagnachmittag im Spiel gegen Iran. Statt des Stürmers trug die ehemalige Nationalspielerin Alex Scott am Spielfeldrand bei einer Live-Übertragung im englischen Fernsehen die „One Love“-Binde und wurde in den sozialen Medien gefeiert. „Das Verhalten der Fifa ist natürlich frustrierend, diese Eskalation führt auch dazu, dass es nicht mehr um den Sport geht“, sagte Bierhoff.
Sportliche Sanktionen wie eine Gelbe Karte wegen des Tragens einer nicht regelkonformen Binde sind durch die Fifa-Statuten nicht eindeutig gedeckt. Den Verbänden war das Risiko am Ende zu hoch. „Wir wollen nicht, dass der Konflikt,
den wir zweifellos haben, auf den Rücken der Spieler ausgetragen wird. Wir stehen zu unseren Werten“, sagte Neuendorf. Bierhoff berichtete, es sei auch für Neuer „eine schwierige Situation. Wir sind beide ins Bett gegangen mit der Überzeugung, dass wir beim Spiel die Binde tragen können.“Der DFB-Kapitän sei „natürlich enttäuscht“.
Eine Geldstrafe hätten die Verbände - neben Deutschland und England waren in Katar die Niederlande, Belgien, die Schweiz, Wales und Dänemark noch an Bord - in Kauf genommen. „Wir teilen die Frustration der (englischen Verbands) FA über die Entscheidung der Fifa, die die Spieler in eine sehr schwierige Position bringt“, sagte ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak.
Aus Deutschland twitterte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann: „Ein Trauerspiel“. Ob Bundestagsabgeordnete in Katar auf der Tribüne sitzen, ist noch offen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will zum ersten Spiel der DFB-Auswahl gegen Japan am Mittwoch reisen, noch stehen die Reisepläne aber nicht endgültig fest.
Die Fifa begründete das Verbot mit von allen Teilnehmern anerkannten WM-Regularien. Explizit hob der Verband in einer Mitteilung vom Montag den Artikel 13.8.1 der Ausrüstungsregeln hervor: „Für Fifa Final-Wettbewerbe muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der Fifa gestellte Armbinde tragen.“Die Fifa unterstütze Kampagnen wie „One Love“, aber dies müsse im Rahmen der allen bekannten Regeln erfolgen.
Nach dpa-Informationen steht auch der Regelparagraf für (verbotene) politische Botschaften im Fokus. „Bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung wird der Spieler und/oder das Team durch den Wettbewerbsorganisator, den nationalen Fußballverband oder die
Fifa sanktioniert“, heißt es in den internationalen Regeln. Inwieweit der streng muslimische WM-Gastgeber Katar in die Entscheidung involviert war, blieb am Montagmittag offen.
Dass es die WM der politischen Botschaften bleiben wird, zeigten die Iraner. Die Profis sangen vor der Partie gegen England ihre Nationalhymne nicht mit. Iranische Aktivisten sehen darin eine Geste der Unterstützung für die landesweiten Proteste im Land. Der iranische Staatssender unterbrach die LiveÜbertragung bei der Hymne. Den Spielern könnten nun Konsequenzen aus ihrem Heimatland drohen.
Den Kapitänsbinden-Eklat kritisierte auch die Fan-Organisation „Football Supporters‘ Association“scharf. „Heute empfinden wir Verachtung für eine Organisation, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat“, twitterte die „FSA“.
Die „One Love“-Kampagne war eine im September angekündigte Aktion der sieben jetzt mit Sanktionen bedrohten Teams und Frankreich sowie Norwegen und Schweden, die beide nicht für die WM qualifiziert sind. Die beteiligten Verbände hatten mehrfach erklärt, dass sie keine lange Antwort der Fifa auf ihren Plan erhalten hätten.