Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Machtwort im Binden-Streit

Das WM-Streitthem­a um die mehrfarbig­e „One Love“-Kapitänsbi­nde für mehrere europäisch­e Nationen eskaliert. Wegen angedrohte­r Sanktionen seitens der Fifa verzichten auch der DFB und Kapitän Manuel Neuer.

- VON JAN MIES, TOM BACHMANN, ARNE RICHTER UND KLAUS BERGMANN

DOHA (dpa) Die Eskalation um die „One Love“-Kapitänsbi­nde der europäisch­en WM-Kapitäne um Manuel Neuer reichte weit über die Grenzen Katars hinaus. Neben der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes kritisiert­en am Montag auch die britische Regierung und Bundestags­abgeordnet­e die kaum nachvollzi­ehbare scharfe Drohung der Fifa. Diese wollte die an der symbolträc­htigen Kampagne beteiligte­n Verbände sportlich sanktionie­ren - wenn diese das „Eine Liebe“-Zeichen in die Welt schicken würden. Politische­r kann diese WM kaum werden.

„Es handelt sich aus meiner Sicht um eine Machtdemon­stration der Fifa“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Montag am Trainingsp­latz der deutschen Nationalma­nnschaft im Norden Katars. „Das ist aus unserer Sicht mehr als frustriere­nd und auch ein beispiello­ser Vorgang der WM-Geschichte.“DFBGeschäf­tsführer Oliver Bierhoff äußerte, es fühle sich „schon stark nach Zensur an“.

Neben dem DFB verzichten wegen des massiven Fifa-Drucks auch die weiteren sieben europäisch­en Verbände auf die Kapitänsbi­nde. Der erste betroffene Profi war Englands Kapitän Harry Kane am Montagnach­mittag im Spiel gegen Iran. Statt des Stürmers trug die ehemalige Nationalsp­ielerin Alex Scott am Spielfeldr­and bei einer Live-Übertragun­g im englischen Fernsehen die „One Love“-Binde und wurde in den sozialen Medien gefeiert. „Das Verhalten der Fifa ist natürlich frustriere­nd, diese Eskalation führt auch dazu, dass es nicht mehr um den Sport geht“, sagte Bierhoff.

Sportliche Sanktionen wie eine Gelbe Karte wegen des Tragens einer nicht regelkonfo­rmen Binde sind durch die Fifa-Statuten nicht eindeutig gedeckt. Den Verbänden war das Risiko am Ende zu hoch. „Wir wollen nicht, dass der Konflikt,

den wir zweifellos haben, auf den Rücken der Spieler ausgetrage­n wird. Wir stehen zu unseren Werten“, sagte Neuendorf. Bierhoff berichtete, es sei auch für Neuer „eine schwierige Situation. Wir sind beide ins Bett gegangen mit der Überzeugun­g, dass wir beim Spiel die Binde tragen können.“Der DFB-Kapitän sei „natürlich enttäuscht“.

Eine Geldstrafe hätten die Verbände - neben Deutschlan­d und England waren in Katar die Niederland­e, Belgien, die Schweiz, Wales und Dänemark noch an Bord - in Kauf genommen. „Wir teilen die Frustratio­n der (englischen Verbands) FA über die Entscheidu­ng der Fifa, die die Spieler in eine sehr schwierige Position bringt“, sagte ein Sprecher des britischen Premiermin­isters Rishi Sunak.

Aus Deutschlan­d twitterte die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Britta Haßelmann: „Ein Trauerspie­l“. Ob Bundestags­abgeordnet­e in Katar auf der Tribüne sitzen, ist noch offen. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) will zum ersten Spiel der DFB-Auswahl gegen Japan am Mittwoch reisen, noch stehen die Reisepläne aber nicht endgültig fest.

Die Fifa begründete das Verbot mit von allen Teilnehmer­n anerkannte­n WM-Regularien. Explizit hob der Verband in einer Mitteilung vom Montag den Artikel 13.8.1 der Ausrüstung­sregeln hervor: „Für Fifa Final-Wettbewerb­e muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der Fifa gestellte Armbinde tragen.“Die Fifa unterstütz­e Kampagnen wie „One Love“, aber dies müsse im Rahmen der allen bekannten Regeln erfolgen.

Nach dpa-Informatio­nen steht auch der Regelparag­raf für (verbotene) politische Botschafte­n im Fokus. „Bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung wird der Spieler und/oder das Team durch den Wettbewerb­sorganisat­or, den nationalen Fußballver­band oder die

Fifa sanktionie­rt“, heißt es in den internatio­nalen Regeln. Inwieweit der streng muslimisch­e WM-Gastgeber Katar in die Entscheidu­ng involviert war, blieb am Montagmitt­ag offen.

Dass es die WM der politische­n Botschafte­n bleiben wird, zeigten die Iraner. Die Profis sangen vor der Partie gegen England ihre Nationalhy­mne nicht mit. Iranische Aktivisten sehen darin eine Geste der Unterstütz­ung für die landesweit­en Proteste im Land. Der iranische Staatssend­er unterbrach die LiveÜbertr­agung bei der Hymne. Den Spielern könnten nun Konsequenz­en aus ihrem Heimatland drohen.

Den Kapitänsbi­nden-Eklat kritisiert­e auch die Fan-Organisati­on „Football Supporters‘ Associatio­n“scharf. „Heute empfinden wir Verachtung für eine Organisati­on, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat“, twitterte die „FSA“.

Die „One Love“-Kampagne war eine im September angekündig­te Aktion der sieben jetzt mit Sanktionen bedrohten Teams und Frankreich sowie Norwegen und Schweden, die beide nicht für die WM qualifizie­rt sind. Die beteiligte­n Verbände hatten mehrfach erklärt, dass sie keine lange Antwort der Fifa auf ihren Plan erhalten hätten.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA 16. November, Maskat, Oman: Deutschlan­ds Torhüter und Kapitän Manuel Neuer trägt die ominöse Kapitänsbi­nde mit der Aufschrift „One Love.

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