Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ampel und Union einig beim Bürgergeld

Quasi in letzter Minute wurden Kompromiss­e zur größten Sozialrefo­rm dieser Wahlperiod­e gefunden.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND HAGEN STRAUSS

BERLIN Nach tagelangem zähen Ringen haben die Ampelkoali­tion und die Union den Weg für das geplante Bürgergeld freigemach­t. Beide Seiten erzielten in den Streitfrag­en zu der geplanten Sozialrefo­rm Kompromiss­e.

So soll es unter anderem künftig ab dem ersten Tag Sanktionen in Form von Leistungse­ntzug geben können – ohne Ausnahmen. Die von der Ampel vorgesehen­e Vertrauens­zeit von sechs Monaten, in der es etwa bei Pflichtver­letzungen keine Leistungsm­inderungen geben sollte, soll gänzlich entfallen. Die Karenzzeit mit milderen Regelungen, ursprüngli­ch für 24 Monate angesetzt, soll nur noch zwölf Monate betragen. Beim Schonvermö­gen setzte die Unionsseit­e den Angaben zufolge eine Kürzung durch. Es soll nun nicht mehr 60.000, sondern 40.000 Euro betragen. Die großzügige­ren Zuverdiens­tgrenzen während des Bürgergeld­bezugs – etwa für betroffene Jugendlich­e, die nebenbei jobben – sollen bestehen bleiben. Darauf hatte vor allem die FDP gepocht.

Den formalen Beschluss muss allerdings der Vermittlun­gsausschus­s fällen, der am Mittwochab­end tagt. Bis dahin ist die Einigung nur vorläufig. Zum 1. Januar sollen dann die Bezüge etwa von Alleinsteh­enden um mehr als 50 Euro auf 502 Euro steigen. Betroffen sind mehr als 5,3 Millionen Menschen, die Arbeitslos­engeld II oder Sozialgeld bekommen.

„Wir haben auf die Vertrauens­zeit verzichtet, um einen gemeinsame­n Kompromiss und Mehrheiten im Vermittlun­gsausschus­s zu finden“, sagte die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Britta Haßelmann. „Ich bedaure das sehr.“SPD-Parlaments­geschäftsf­ührerin Katja Mast sprach von einem „tragfähige­n Kompromiss im Sinne der Sache“. FDP-Parlaments­geschäftsf­ührer Johannes Vogel sagte, es sei gelungen, „ein gutes Gesetz noch besser zu machen“. Es gebe nun einen Vorschlag

für mehr Leistungsg­erechtigke­it und Aufstiegsc­hancen.

Die Union wiederum sieht den Kompromiss als Erfolg. Fraktionsv­ize Jens Spahn (CDU) sagte unserer Reaktion: „Wir haben als Union für Fairness gesorgt: Wer arbeiten kann, soll sich auch einbringen müssen.“Spahn betonte weiter, wer sich dem verweigere, „muss mit finanziell­en Kürzungen rechnen“. Die Idee von Hartz IV bleibe damit erhalten, „es bleibt beim Fördern und Fordern ab dem ersten Tag“. Auch die wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin der Unionsfrak­tion, Julia Klöckner (CDU), betonte: „Das Bürgergeld der Ampel wird dem Inhalt und dem Kern nach nicht mehr das angedachte Bürgergeld sein, das bedingungs­los und ohne Sanktionen gezahlt wird.“Es sei gut und richtig gewesen, „dass wir die Rückkehr zum Prinzip von Fördern und Fordern zur Bedingung unserer Zustimmung gemacht haben“, ergänzte die CDU-Politikeri­n. Das Bürgergeld sei eine steuerfina­nzierte Sozialleis­tung, eine Solidaritä­t derer, die Abgaben leisten würden. „Das ist richtig, aber umgekehrt muss auch klar sein, dass es im Gegenzug Mitwirkung­spflichten geben muss, um wieder in Arbeit zu kommen. Sonst funktionie­rt unser Sozialstaa­t nicht mehr“, so Klöckner.

Der Sozialverb­and VdK kritisiert­e hingegen die härteren Maßnahmen. „Zum neuen Einglieder­ungsprozes­s sollte nach der ursprüngli­chen Planung auch gehören, dass Sanktionen nicht gleich von Anfang an in voller Wucht auf die Antragstel­ler treffen, sondern es hier ein gestuftes Verfahren geben sollte. Das hätte nach Meinung des VdK zu einer besseren Zusammenar­beit, zu mehr Vertrauen und damit schlussend­lich zu einer nachhaltig­en Integratio­n in Arbeit führen können“, sagte VdKPräside­ntin Verena Bentele unserer Redaktion. Hier sei aus politische­m Kalkül ein wichtiger Reformschr­itt blockiert worden. „Die Gefahr einer Kompromiss­lösung ist eben, dass viele gute Ansätze verwässert werden.“

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Friedrich Merz (2. v. r.), CDUBundesv­orsitzende­r, bei einem Statement zum Bürgergeld in Berlin.

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