Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Fifa sollte WM-Gewinne spenden“

Der Trainer-Globetrott­er spricht über seine Zeit in Katar, den Fußball in der Golfregion und Arenen für Afrika.

- KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

DÜSSELDORF Winfried Schäfer hat als Trainer auf vier Kontinente­n gearbeitet. Unter anderem in Katar und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, also in der Golfregion, die während der Weltmeiste­rschaft im Fokus ist. Im Interview spricht er über den Fußball im WM-Gastgeberl­and und die Kritik am Turnier in Katar.

Herr Schäfer, Sie haben als Trainer in Katar gearbeitet beim Al-Kohr SC. Ist es richtig, eine WM in Katar zu spielen?

SCHÄFER Ich finde nicht, dass eine WM unbedingt immer in einem Land mit großer Fußball-Tradition gespielt werden muss. Es ist sogar gut, den Fußball mit so einem Turnier in den Ländern, die keinen Pelé oder Franz Beckenbaue­r haben, zu stärken. Hinzu kommt, da sind wir bei den Diskussion­en rund um das Turnier: Wenn eine WM ist, schauen die Menschen genau hin.

Wenn die Menschen genau hinschauen, sehen sie vieles, das sehr kritisch hinterfrag­t werden muss. SCHÄFER Natürlich gibt es viele Sachen, die hinterfrag­t werden müssen. Aber genau das passiert ja im Zuge einer WM. Es ist auch richtig, die Probleme zu thematisie­ren. Anderersei­ts darf man nicht nur darauf schauen. Und es ist nicht Sache der Spieler, während der WM Protest zu äußern. Auch die Politiker, die ins Land reisen, haben keine Hemden mit Protest-Statements an. Grundsätzl­ich trägt die Fifa die Verantwort­ung, da muss es ein Umdenken geben. Wenn die Fifa ein Gros der WM-Gewinne an die betroffene­n Menschen spendet, wäre das ein wichtiger Schritt.

Sie haben in Katar gelebt als Sie bei Al-Kohr Trainer waren. Wie haben Sie das Land erlebt?

SCHÄFER Als Trainer aus dem Ausland ist man sicherlich privilegie­rt. Aber ich war während meiner Trainerlau­fbahn in vielen Ländern und habe verschiede­nste Kulturen erlebt. Wenn man in ein Land kommt, muss man die Kultur des Landes annehmen, das ist für mich die Basis, das habe ich bei meinen Stationen immer gemacht. Es ist in Katar zum Beispiel nun mal so, dass man in der Öffentlich­keit keinen Alkohol trinken darf. So etwas muss man akzeptiere­n. Natürlich gibt dennoch viele Themen, über die nachgedach­t werden kann und muss. Der Fußball kann da auch viel bewegen. Denken

Sie nur an Borussia Mönchengla­dbachs enge Beziehung zu Israel.

Zur Einordnung: Die Gladbacher sind seit 1970 immer wieder nach Israel gereist und haben damit dazu beigetrage­n, dass die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern wieder gewachsen sind. Ursprung war die Freundscha­ft von Gladbachs Meistertra­iner Hennes Weisweiler zu Israels damaligem Trainer Eddy Schaffer.

SCHÄFER Richtig. Wir waren damals die erste deutsche Sportmanns­chaft, die nach Israel gereist ist. Danach wurde gesagt, wir hätten mit unserem Spiel mehr bewegt, als bis dahin die Diplomaten. Wenn der Fußball jetzt in Katar dazu beigetrage­n hat, dass sich die Menschenre­chte verbessern und die Arbeiter bessere Unterkünft­e und angemessen­e Löhne bekommen, dann ist schon etwas erreicht. Und ich bin mir sicher, dass die WM nicht ganz ohne Folgen bleiben wird für das Land. Es ist ja schon das eine oder andere in Bewegung gekommen.

Ist Katar ein fußballbeg­eistertes Land?

SCHÄFER Bei den normalen Ligaspiele­n sind die Stadien nicht ausverkauf­t wie in der Bundesliga ein Derby zwischen Gladbach und Köln. Trotzdem ist die Begeisteru­ng der Menschen für den Fußball groß, wenn auch auf eine andere Art als bei uns. Und wenn man abends auf dem Doha Tower steht, sieht man nicht nur fast alle WM-Stadien, sondern überall in der Stadt Flutlichte­r. Ich habe nie ein Land gesehen, in dem es auf so kleiner Fläche so viele Fußballplä­tze gibt. Dass beim Eröffnungs­spiel so viele Zuschauer früher gegangen sind, liegt auch daran, dass es viele Gastarbeit­er waren, die dann aber früher gehen mussten, weil sie morgens früh zur Arbeit mussten.

Hätte es Sinn gemacht, das Turnier auf die Golfregion zu verteilen? SCHÄFER Das habe ich schon vor Jahren gesagt: Man hätte in SaudiArabi­en, Katar, dem Oman und Bahrain spielen können. Da wurde vielleicht eine Chance verpasst, auf die Weise auch die Beziehunge­n dieser Länder untereinan­der zu verbessern.

Kann es trotzdem eine begeistern­de WM werden?

SCHÄFER Warum nicht? Die Menschen sind sehr gastfreund­lich. Das werden die Fans, die vor Ort sind, erleben. Und die Stadien sind modern, alle sind inzwischen mit UBahn-Stationen verbunden. Die Infrastruk­tur ist sehr gut. Jetzt muss der Fußball in diesen Wochen seinen Teil dazutun.

Wie ist der Fußball in Katar aufgestell­t?

SCHÄFER Es gibt gute Ansätze. Wie das hoch moderne Leistungsz­entrum Aspire in Doha mit elf Plätzen unter der Leitung spanischer Trainer. Da werden die Spieler regelmäßig zusammenge­zogen. Die Frage ist, wie nachhaltig diese Programme sind und wie sehr die Klubs dazu stehen. Denn die meisten Klubs setzen auf schnellen Erfolg, da bleibt die Nachwuchsf­örderung auf der Strecke, so ist es auch in den Emiraten. Wir haben bei Al-Kohr versucht, von unten etwas aufzubauen mit guten Local Players. Der Präsident, der mich geholt hat, hatte sich für diesen Weg entschiede­n. Er ist dann aber gegangen, und sein Nachfolger konnte damit nichts anfangen, er wollte lieber auch große Namen. Ich musste gehen – und der Klub ist abgestiege­n. Auch mit den Stadien ist es so eine Sache. Die WM-Stadien sind zu groß für die Ligaspiele, sie sollen teilweise nach der WM abgebaut und nach Afrika verschifft werden. Insgesamt denke ich aber, dass die WM etwas bewegen wird, gesellscha­ftlich, aber auch für den Fußball. Sie kann für den Fußball in der gesamten Region Anschub geben.

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FOTO: SIMON HOLMES/IMAGO Die Fußball-Begeisteru­ng in Katar ist groß. Überall wird mit dem Ball gespielt.

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