Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Klinik für Jugendpsychiatrie gefordert
Ambulante Angebote für psychisch erkrankte junge Leute gibt es im Kreis einige, die nächste Klinik jedoch ist in Viersen. Da die Zahl der Erkrankungen zunimmt, will die St.-Augustinus-Gruppe ein stationäres Angebot in Neuss.
NEUSS Claudia Neumann weiß, wovon sie spricht. Die promovierte Medizinerin ist Fachärztin in der Kinder- und Jugendambulanz des Alexius/Josef Krankenhaus an den Standorten Neuss und Dormagen. Seit 25 Jahren ist ihr Thema die seelische Gesundheit von jungen Leuten. Fest steht: Während der Corona-Pandemie haben die stationären Behandlungen von Essstörungen bei Jugendlichen um 40 und Depressionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2019 zugenommen. Eine Erkenntnis, zu der auch der Kinderund Jugendreport 2022 der Deutschen Angestellten Krankenkasse gekommen ist.
„Ich beobachte in der Praxis weniger eine Steigerung psychischer Erkrankungen, sondern vielmehr eine Verschiebung der Krankheitsbilder. Die nach innen gerichteten Krankheiten wie Essstörungen, Ängste, Zwänge und Depressionen haben deutlich zugenommen. Störungsbilder, die nach außen gerichtet sind, wie beispielsweise aggressives Verhalten, sind hingegen nicht gestiegen. Zudem sind insgesamt häufiger Mädchen als Jungen betroffen. Jungen stecken die Pandemie anscheinend deutlich besser weg als gleichaltrige Mädchen“, erklärt Neumann.
Claudia Neumann Fachärztin für Jugendpsychiatrie
Was sie bemängelt: Für akute Krisen und schwere Krankheitsverläufe gebe es lediglich ein einziges Angebot in der Region, und das sei in Viersen-Süchteln, nicht gerade nah. „Und dort kann es sein, dass die Plätze alle belegt sind und man mehrere Monate warten muss“, fährt sie fort. Sie sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir brauchen unbedingt ein stationäres Angebot für Kinder und Jugendliche in Neuss“, macht die Ärztin unmissverständlich klar. „Vor allem, weil in jungen Jahren die Heilungsaussichten exzellent sind. Das Gehirn ist dann stark in Bewegung und kann durch die richtigen Interventionen positiv verändert werden“, erklärt sie.
Neumanns Wunsch ist nicht neu. Bereits zwei Mal – 2006 und 2013 – hat das Alexius/Josef Krankenhaus beim Landesgesundheitsministerium einen Antrag auf ein stationäres Angebot für Kinder und Jugendliche gestellt. Beide Anträge wurden abgelehnt. Nun startet die Klinik einen dritten Versuch, hat am 17. November einen Bedarf von 20 Betten an das Ministerium gemeldet, das zuvor eine entsprechende Datenerhebung
gemacht hatte, wie eine Sprecherin der St.-Augustinus-Gruppe erklärt. Eine Antwort steht noch aus. Zusätzlich, so die Sprecherin weiter, sei ein Forschungsprojekt, das die Klinik gemeinsam mit der KölnerUniklinik betreibt, in der finalen Abstimmung. „Homebase“, so der Name, sei ein intensiv-ambulantes Angebot für besonders stark belastete Kinder und Jugendliche. „Wir hoffen, dass es in den nächsten Wochen starten kann“, so die Sprecherin.
Das Angebot für die Behandlung von leichten Verläufen findet Claudia Neumann im Rhein-Kreis in Ordnung. Es stünden Jugendhilfe-Einrichtungen mit ambulanten Angeboten sowie niedergelassene Kinder- und Jugendpsychotherapeuten zur Verfügung. Alternativ könnten eben auch die beiden Ambulanzen für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Alexius/Josef Krankenhauses
in Neuss und Dormagen aufgesucht werden. Dort betrügen die Wartezeiten sechs bis zehn Wochen. Will man das Angebot in Anspruch nehmen, ist eine Überweisung des Kinderarztes erforderlich. Dann kann ein Termin vereinbart werden. Vor Ort wird eine umfängliche Diagnostik gemacht und Empfehlungen für den weiteren Behandlungsverlauf besprochen.
Warum gerade während der Corona-Pandemie die Behandlungen zugenommen haben? „Corona hat uns gezeigt, dass wir nicht alles kontrollieren und Dinge passieren können, mit denen keiner von uns gerechnet hat – das kann ganz schön Angst machen! Wenn eine Person eine Essstörung entwickelt, dann hat sie die Zuführung von Kalorien und Nahrung vermeintlich selbst in der Hand. Das schafft ein Gefühl von Kontrolle und kann als Bewältigungsstrategie dienen, um mit Unsicherheit und Angst umzugehen“, erklärt die Fachärztin.
„In jungen Jahren sind die Heilungschancen exzellent“