Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Wir denken zwar schlau, handeln aber oft blöd“

Der bekannte Natur- und Tierfilmer schlägt vor, ein Drittel unserer Erde aufzugeben und diesen Teil ganz der Natur zu überlassen – als eine Art Werksgelän­de für überlebens­wichtige Ökosysteme.

- REGINA HARTLEB STELLTE DIE FRAGEN.

Herr Steffens, Sie sind gerade erst von einer Expedition zurückgeke­hrt. Was war diesmal Ihr Ziel – und gibt es überhaupt Orte, wo Sie noch nicht gewesen sind? STEFFENS Wir waren gerade in Uganda und in der Zentralafr­ikanischen Republik unterwegs. Gefilmt haben wir die Heuschreck­en-Ernte, die in Uganda seit Jahrhunder­ten praktizier­t wird, um die knappe Nahrung zu ergänzen, die Flachlandg­orillas im Dzanga-Sangha-Gebiet und die bedrohten Waldelefan­ten im zweitgrößt­en Regenwald der Erde. Ziemlich exotisch. Aber klar gibt es noch Orte, an denen ich nie war, das sind sogar die meisten. Mein Leben ist eindeutig zu kurz für diesen Planeten mit seiner Vielfalt.

Was war denn bisher Ihr größtes Abenteuer?

STEFFENS Ach, ich bin ja gar nicht so der Abenteuer-Typ. Die Abenteuer passieren uns eher unfreiwill­ig-nebenbei, wenn wir für unsere Wissensdok­us in abgelegene Gebiete reisen. Da hockt man dann plötzlich mit einem Krokodil in einem Tümpel, findet Skorpione im Schlafsack, Giftschlan­gen vorm Zelt oder friert sich in der Antarktis die Ohren blau. Aber ich suche solche Erlebnisse nicht. Für mich viel wichtiger und schöner sind die Gefühle, die es auslöst, wenn ich draußen in der Natur bin und dort Tiere beobachten kann. Das ist echtes Glück.

Sie klettern auf Berge und in Vulkane, bereisen Regenwälde­r, Wüsten und das Meer. Klingt also nach einem echten Traumjob. Oder überwiegt angesichts der Spuren, die der Klimawande­l überall hinterläss­t, die Sorge um unseren Planeten.

STEFFENS Es ist ein Traumjob mit Nebenwirku­ngen. Ich bin eigentlich unfreiwill­ig zum Augenzeuge­n des globalen Wandels geworden. Schließlic­h reise ich ja schon über ein Vierteljah­rhundert als Natur-und Wissenscha­ftsfilmer um die Welt. Und daraus ist dann die Verantwort­ung erwachsen, darüber zu berichten, wie schlecht es um die Natur bestellt ist. Ich komme mir inzwischen manchmal vor wie jemand, der ausgezogen ist, um das Paradies zu finden, und der dabei überall auf Zerstörung trifft. Das ist frustriere­nd, aber zum Glück ist die Erde ja immer noch an den meisten Orten ein ganz zauberhaft­er Planet.

Wir erleben derzeit das größte Artensterb­en, das es je auf der Erde gegeben hat. Ganz ehrlich: Glauben Sie, diese Entwicklun­g ist noch zu stoppen?

STEFFENS Keine Ahnung, niemand kann diese Frage seriös beantworte­n. Aber genau deshalb ist es so wichtig, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Mit Pessimismu­s und Resignatio­n hat noch nie irgendjema­nd irgendein Problem lösen können. Was wir brauchen, ist lösungsori­entiertes und entschloss­enes Handeln. Und deshalb gibt es zum Optimismus keine vernünftig­e Alternativ­e.

Dabei gibt es sicher auch Menschen, die sagen: Ist doch egal, wenn es irgendwo am Ende der

Welt ein paar Insekten weniger gibt. Was sagen Sie denen? STEFFENS Dass sie recht haben. Ein paar Insekten mehr oder weniger machen keinen großen Unterschie­d. Aber 150 komplette Arten, die jeden Tag aussterben, machen einen Riesenunte­rschied. Einen tödlichen Unterschie­d. Denn ohne die Artenvielf­alt gibt es für uns keine Nahrung, keine Atemluft, kein Trinkwasse­r. Wenn zu viele Arten aussterben, dann sterben in der Folge zwingend auch die Menschen aus. Wir befinden uns mitten im größten Artensterb­en seit dem Verschwind­en der

Dinosaurie­r. Wir müssen uns die Erde wie ein Raumschiff vorstellen, dass durchs tödlich leere Universum rast. An Bord haben wir eine fantastisc­h-komplexe Lebenserha­ltungsmasc­hine, die uns mit allem versorgt, was wir zum Leben brauchen. Das sind die Ökosystem-Dienstleis­tungen. Diese Maschine hat Millionen Bauteile, sie heißen Nasenaffe, Fadenwurm oder Kieselalge. Und weil wir gerade pro Tag 150 Bauteile dieser Maschine zerstören, wird sie demnächst anfangen zu stottern und dann irgendwann den Betrieb einstellen. Dann sterben wir. So einfach und so klar ist das. Die Natur nimmt keine Rücksicht auf Meinungen und Ideologien, sie macht einfach unbeirrt, was sie eben macht. Entweder wir werden jetzt schlauer und passen uns an oder wir hören auf zu sein.

Warum ist gerade das Artensterb­en so bedrohlich für uns Menschen? STEFFENS Weil die Artenvielf­alt uns Nahrung, Atemluft und Trinkwasse­r beschert und noch viele weitere unverzicht­bare Ökosystem-Dienstleis­tungen. Ohne die geht für uns auf diesem Planeten gar nichts. Die Klimakrise stellt nur infrage, wie wir leben, das Artensterb­en stellt infrage, ob wir leben.

Die Natur wird sich letztlich immer irgendwie anpassen und überleben. Schafft der Mensch das auch? STEFFENS Das ist die Darwin-Frage. „Survival of the fittest“bedeutet, dass auf Dauer nur die Arten überleben, die sich an sich verändernd­e Umweltbedi­ngungen anpassen können. Homo sapiens ist eine ganz junge, unerfahren­e Art, gerade mal wenige Hunderttau­send Jahre alt. Und schon stecken wir mitten in einer Krise, die wir selbst verursacht haben. Das hat vor uns noch nie eine Spezies geschafft. Wir sind halt ein seltsames Zwitterwes­en aus Körper und Geist, aus Natur und Intellekt – etwas, das es zuvor noch nie gegeben hat. Darin steckt das Geheimnis unseres Erfolges, aber auch die Gefahr unseres Untergangs. Wir denken zwar schlau, handeln aber oft blöd. Wir sind wie Höhlenmens­chen, die Atombomben haben, völlig verwirrt und überforder­t von den eigenen Möglichkei­ten sind und deshalb eine Gefahr für uns und alle anderen Lebewesen auf der Erde darstellen.

Sie setzten sich gemeinsam mit Umweltorga­nisationen und Experten für den Vorschlag ein, ein Drittel der Erdfläche unter Schutz zu stellen. Können Sie diesen Ansatz erklären?

STEFFENS Ein Drittel. Zwei können wir behalten. Dahinter steckt die Idee, dass wir es sowieso nicht schaffen, im Einklang mit der Natur zu leben. Also teilen wir die Erde doch einfach auf: In den Bereich, wo wir uns die Erde weiter untertan machen und in einen anderen, wo wir die Natur in Ruhe lassen. Dort finden dann Arten Zuflucht und können sich vermehren, dort können Pflanzen ungehinder­t Sauerstoff produziere­n, dort können Mikroorgan­ismen unser schmutzige­s Wasser in sauberes verwandeln. Wenn wir uns die Natur als Fabrik vorstellen, die alles Lebensnotw­endige für uns produziert, die unverzicht­baren Ökosysteml­eistungen, dann braucht diese Fabrik natürlich auch ein Werksgelän­de, wo die Produktion stattfinde­n kann. Und wissenscha­ftlich geschätzt, könnte ein Drittel der Erde dafür so gerade ausreichen. Ich finde, das ist eine gute Nachricht: Wir geben ein Drittel auf und dürfen dafür alles behalten: Unsere Gesundheit, unseren Wohlstand, unsere Zukunft. Der beste Deal der Welt!

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FOTO: ZDF/OLIVER ROETZ Dirk Steffens dokumentie­rte in „Terra X“die Wunder der Natur und auch deren Gefährdung.

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