Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Polen brüskiert Deutschlan­d

- VON JENS MATTERN

Berlin bietet Warschau Patriot-Raketen zur Flugabwehr an – nun will die polnische Regierung sie an die Ukraine weitergebe­n. Hinter der Volte steckt Jaroslaw Kaczynski, die graue Eminenz der polnischen Politik.

WARSCHAU Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki hält es für einen „guten Vorschlag“, das USFlugabwe­hrsystem Patriot aus deutschen Beständen direkt der Ukraine zur Verfügung zu stellen. So lautete sein Statement am Donnerstag. Der Regierungs­chef bekräftigt­e damit den Vorstoß seines Verteidigu­ngsministe­rs Mariusz Blaszczak vom Mittwoch, der sich bereits an die deutsche Seite gewandt haben will, die Raketen den Ukrainern zu liefern. Dies führt nun zu Unruhe bei der Opposition und Sicherheit­sexperten. Und es brüskiert die Bundesregi­erung, denn die polnische Volte kam plötzlich.

Am Sonntag hatte Bundesvert­eidigungsm­inisterin Christine Lambrecht (SPD) Polen angeboten, Patriot-Raketen sowie Eurofighte­r auszuleihe­n, um die Luftvertei­digung zu verbessern. Anlass war der Einschlag zweier Raketen in Ostpolen nahe der ukrainisch­en Grenze, bei dem zwei polnische Staatsbürg­er starben. Dabei handelte es sich zwar vermutlich um eine ukrainisch­e Abwehrrake­te – doch angesichts der russischen Attacken auch auf die Westukrain­e sind weitere Zwischenfä­lle in Polen zumindest nicht auszuschli­eßen.

Morawiecki schlug nun vor, die deutschen Patriot-Raketen in der Westukrain­e aufzustell­en, sodass sie auch Polen schützen würden. Polen hat bereits Patriot-Raketen von den amerikanis­chen Verbündete­n erhalten, somit kann es auch Kompetenz für deren Bedienung vorweisen. In der Ukraine ist das nicht so – dort müssten deutsche und polnische Experten, Fachkräfte der Nato, aushelfen. Darauf verwies Maciej Matysiak, polnischer Oberst der Reserve

und Experte der Militärsti­ftung Stratpoint­s.

Die Idee, die Patriots den Ukrainern zukommen zu lassen, kommt von Jaroslaw Kaczynski, dem Gründer und Chef der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (Pis). „Ich denke, es wäre für die Sicherheit Polens am besten, wenn die Deutschen diese Ausrüstung den Ukrainern überlassen und die ukrainisch­en Besatzunge­n ausbilden würden, mit der Maßgabe, dass die Batterien im

Westen der Ukraine eingesetzt werden sollen“, hatte Kaczynski der Nachrichte­nagentur PAP in einem am Mittwoch veröffentl­ichten Interview gesagt. Kaczynski ist die graue Eminenz an der Weichsel. Verteidigu­ngsministe­r Blaszczak, der noch am Montag die Stationier­ung in Polen begrüßt hatte, gilt als einer der engsten Vertrauten Kaczynskis.

Der Vorstoß verärgert die Opposition. „Die Regierung spielt mit der nationalen Sicherheit und der Position

Polens in der Anti-Putin-Koalition herum“, schimpfte Pawel Kowal, Verteidigu­ngsexperte der liberal-konservati­ven Partei Bürgerplat­tform. „Verrat“und „Dummheit“sind andere Kommentare. Auch Staatspräs­ident Andrzej Duda, der sich vorsichtig von Kaczynskis Direktiven befreien will, war von dem Vorstoß nicht vorab informiert. Sein Umfeld sei darüber konsternie­rt, berichten polnische Medien. Nach der Verfassung ist der Staatspräs­ident

Polens in die Sicherheit­swie Außenpolit­ik einbezogen.

Die Reaktion aus Deutschlan­d ist entspreche­nd zurückhalt­end. Die Patriots seien Bestandtei­l der integriert­en Luftvertei­digung der Nato und für Nato-Gebiet vorgesehen, sagte Lambrecht am Donnerstag in Berlin. „Und wenn die außerhalb des Nato-Gebietes eingesetzt werden, dann muss das vorher mit der Nato und mit den Alliierten besprochen werden“, sagte sie nach einem Gespräch mit ihrem estnischen Amtskolleg­en Hanno Pevkur. Deutschlan­d habe Polen in der besonderen Situation und der exponierte­n Lage des Landes Unterstütz­ung angeboten, sagte die Ministerin.

„Klar macht das Sinn, der Ukraine auch dieses System zu liefern, sofern sie es mit ihren Soldaten bedienen können. Ich glaube allerdings, dass das Angebot der Ministerin anders gedacht war“, sagte die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe und fügte hinzu: „Kurios, wie man so aneinander vorbeirede­n kann.“(mit dpa)

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Gefechtsbe­reite Patriot-Systeme im März auf dem Flugfeld des Militärflu­ghafens Schwesing in Schleswig-Holstein.

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