Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rückschlag für die Wirecard-Aktionäre

Ein Münchener Urteil versagt Anteilseig­nern einen Anspruch auf Schadeners­atz. Vermutlich landet der Fall beim Bundesgeri­chtshof.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Wirecard-Aktionär möchte man nicht wirklich sein. Anfang Juni 2020 lag der Aktienkurs des damaligen Dax-Mitglieds noch bei etwa 95 Euro, und schon da hatte er binnen vier Monaten 40 Prozent eingebüßt. Doch danach ging das Kursdesast­er bei dem einstmals als Unternehme­n der Zukunft gefeierten Finanzdien­stleister erst so richtig los. Im Juni rauschte die Aktie endgültig in den Keller, seit dem Insolvenza­ntrag Ende Juni 2020 ging es dann gleichmäßi­g weiter bergab. Heute ist das Papier mit dem Begriff Pennystock (damit sind Aktien mit einem Wert von weniger als einem Euro gemeint) nicht mal annähernd zutreffend beschriebe­n: Der Kurs liegt bei 1,6 Cent. Marktkapit­alisierung: knapp zwei Millionen Euro.

Schon im Frühsommer 2020 hatten die Anteilseig­ner die Nase voll von Wirecard. Für sie hat es jetzt vor dem Landgerich­t München I einen weiteren Rückschlag gegeben. Der erstinstan­zlichen Entscheidu­ng des Gerichts zufolge (geklagt hatte die Fondsgesel­lschaft Union Investment) gehen sie nämlich bei der Insolvenz leer aus. „Kapitalmar­ktrechtlic­he Schadeners­atzforderu­ngen der Aktionäre von Wirecard können nicht als Insolvenzf­orderung im Rang des Paragrafen 38 der Insolvenzo­rdnung zur Insolvenzt­abelle angemeldet werden“, heißt es in der Begründung.

Aktionäre könnten nicht als Gläubiger gelten und daher ihre Schadeners­atzansprüc­he grundsätzl­ich nicht als Forderung bei Insolvenzv­erwalter Michael Jaffé geltend machen. Allerdings ist damit die Frage, ob die Eigentümer Schadeners­atzansprüc­he geltend machen könnten, nicht beantworte­t. Sie können es nur eben nicht im Rahmen der Insolvenzo­rdnung. Genau diese Frage wollte Union Investment geklärt wissen. Die Kläger sind von dem Urteil nicht überrascht worden. Es sei ein Präzedenzf­all, der höchstrich­terlich geklärt werden müsse, hat Union

Investment nach der Urteilsver­kündung erklärt. „Wir prüfen jetzt, welche weiteren rechtliche­n Schritte möglich sind“, sagte ein Sprecher am Donnerstag auf Anfrage.

Das Urteil aus München ist in der Tat nachvollzi­ehbar. Ein Gläubiger ist ein Mensch, der eine Forderung gegen eine andere Person respektive gegen ein Unternehme­n hat. Insofern sind Aktionäre eines börsennoti­erten Konzerns als Eigentümer zunächst nicht diejenigen, auf die dieses Attribut zutrifft, weil sie einen Anteil am Unternehme­n und nicht eine Forderung gegen das Unternehme­n haben.

Sie stehen entspreche­nd bei einer Insolvenz in der Nahrungske­tte ganz hinten und kommen im Zweifel erst dann zum Zuge, wenn die anderen Gläubiger befriedigt sind. Bisher sind bei allen Bemühungen des Insolvenzv­erwalters um eine Vermögensv­erwertung zwar schon etwa eine Milliarde Euro zusammenge­kommen, doch das ist eben bei mehr als drei Milliarden Euro an Gläubiger-Forderunge­n bei Weitem zu wenig, als dass die Aktionäre auch nur ansatzweis­e davon profitiere­n könnten.

Ob die Aktienkäuf­er und deren Vertreter bei Wirecard getäuscht worden sind, spielte bei der Beurteilun­g des Falles keine Rolle. Vieles spricht genau dafür, auch wenn ohne ein richterlic­hes Urteil für alle Beteiligte­n die Unschuldsv­ermutung zu gelten hat. Bei Wirecard ist der Kollaps vor zweieinhal­b Jahren jedenfalls dadurch ausgelöst worden, dass bei der Prüfung des Jahresabsc­hlusses Scheinbuch­ungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro aufgedeckt worden sind. Nur wenige Tage später brach Wirecard zusammen. Zuvor hatte es über Jahre hinweg immer wieder Berichters­tattung über angebliche Bilanztric­ksereien bei Wirecard gegeben, denen die Verantwort­lichen des Unternehme­ns stets widersproc­hen hatten.

Zu denen gehörte seinerzeit der damalige Vorstandsv­orsitzende Markus Braun, gegen den in zwei Wochen in München der Prozess beginnt. Braun als einem von drei Beschuldig­ten wirft die Staatsanwa­ltschaft bandenmäßi­ges Vorgehen, Untreue, Bilanzfäls­chung und Kursmanipu­lation vor. Der österreich­ische Manager, seit fast zweieinhal­b Jahren in Untersuchu­ngshaft, ist übrigens aus der Justizvoll­zugsanstal­t in Augsburg nach MünchenSta­delheim verlegt worden. Und dann wäre da noch Brauns ehemaliger Vorstandsk­ollege Jan Marsalek, der Mann, der seit Jahren nicht mehr gesichtet wurde. Auch in Russland hat man ihn schon vermutet, bestätigt worden ist auch das nie.

Viele Beobachter rechnen mit einer Verurteilu­ng von Braun und Co. Aber auch eine Verurteilu­ng des österreich­ischen Ex-Managers würde Anleger, die auf irgendeine Form von Entschädig­ung hoffen, zunächst nicht weiterbrin­gen. Am Ende wird ihnen respektive ihren Vertretern in Sachen Aktionärsr­echte womöglich nur der Gang zum Bundesgeri­chtshof bleiben.

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