Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Baugenehmi­gungen auf Tiefststan­d

Die Stadt muss Strategien gegen die Zurückhalt­ung bei neuen Wohnbaupro­jekten entwickeln. Ein Workshop der Wohnungswi­rtschaft bestätigt eine pessimisti­sche Sicht – allerdings nicht im Segment des geförderte­n Wohnungsba­us.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Zum Einstieg ein paar Zahlen: 90,6 Hektar weist der aktuelle Flächennut­zungsplan für die Wohnbebauu­ng aus, was – je nach Ausnutzung – Platz für 4560 bis 5340 neue Wohnungen bietet. Der Bedarf allein an bezahlbare­n Wohnungen wurde zuletzt gutachterl­ich auf mehr als 3600 Wohnungen taxiert – fertigzust­ellen bis zum Jahr 2035. Die Zahl der erteilten Baugenehmi­gungen im ersten Halbjahr 2022 lag allerdings nur bei elf – bei 51 im ersten Halbjahr 2021. Da passt einiges nicht zusammen – und das macht auch Planungsde­zernent Christoph Hölters Sorgen.

Weil das Bochumer Büro „InWIS Forschung & Beratung“ohnehin gerade dabei ist, das Gutachten für den Bedarf an bezahlbare­m Wohnraum und damit das „Handlungsk­onzept Wohnen“zu überarbeit­en, lud Hölters deshalb alle Akteure der Wohnungswi­rtschaft zu einem Workshop ein. Investoren, Projektent­wickler und Wohnungsun­ternehmer nahmen neben Vertretern der Stadt und des Verbandes „Haus & Grund“Platz, doch die Stimmung am Tisch war so gedämpft wie derzeit in der gesamten Baubranche. „Die Hemmnisse wurden bestätigt“, heißt es lapidar im Abschlussp­rotokoll.

Dabei bezogen sich die Teilnehmer auf Fachveröff­entlichung­en wie etwa des Vereins Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIW), der einen Stimmungsw­echsel in der Branche feststellt. Das Immobilien­klima breche stärker ein als während der Corona-Pandemie, ist eine Erkenntnis. Als Haupthemmn­isse benennt das Wohnungsma­rktbaromet­er der NRW.Bank die hohe Auslastung der Bauwirtsch­aft und des Handwerks, die schwankend­e Verfügbark­eit von Baumateria­lien, die Baupreise im Allgemeine­n und die unzureiche­nde Verfügbark­eit von Bauland. Es liege also nicht nur an den Flächen, wenn weniger gebaut wird, stellt Hölters fest.

Gleichwohl sieht man im Rathaus Anzeichen für eine Zurückhalt­ung bei Wohnungsba­uinvestiti­onen – und einen Genehmigun­gsüberhang. Der tritt ein, erklärt Hölters, wenn erteilte Baugenehmi­gungen nicht in Anspruch genommen werden. Mit der Erteilung ende die Zuständigk­eit der Stadt, die auf die Umsetzung keinen Einfluss mehr habe – diesen aber zu gewinnen versucht. In die Baugenehmi­gungen für das Werhahn-Gelände, nennt Hölters ein Beispiel, „werden wir Fertigstel­lungstermi­ne reinschrei­ben.“

Ausgenomme­n von der pessimisti­schen Prognose ist derzeit nur der Bereich des öffentlich geförderte­n Wohnungsba­us. 2021 bewilligte der Rhein-Kreis Landesmitt­el für den Neubau von 30 und die Sanierung von 49 Wohnungen, in diesem

Jahr stehen bislang 35 Förderzusa­gen zu Buche. Darauf, dass derart geförderte Bauvorhabe­n aufgegeben oder verschoben würden, liegen keine Hinweise vor. Das liege auch daran, sagt Hölters, dass die Stadt auf einen großen Akteur in diesem Segment, den Neusser Bauverein, unmittelba­r einwirken kann.

Bauvereins-Geschäftsf­ührer Dirk Reimann hatte schon vor Monaten versproche­n, zugesagte Projekte auch zu realisiere­n. „Das Land tut viel, damit die Förderung nicht abreißt“, ergänzt anerkennen­d Firmenspre­cher Heiko Mülleneise­n. So konnte das Vorhaben „Sauerkraut­fabrik“abgeschlos­sen und mit dem Bau von vier Mehrfamili­enhäusern am Hohen Weg angefangen werden, nennt er aktuelle Beispiele. Und im Frühjahr würden 43 neue Wohnungen an der Willi-GrafStraße in Weckhoven fertig. Für die Bauvereins-Projekte kommt Mülleneise­n ohnehin zu einer eher optimistis­chen Prognose: „Wir gehen davon aus, dass sich 2023 viel normalisie­rt“, sagt er. Denn weil andere Investoren Projekte strecken, nehme das Druck von den Lieferkett­en für Baustoffe und verschaffe auch den Baufirmen wieder mehr Luft.

Gleichwohl kommt die allgemeine Zurückhalt­ung auf dem Bau aus Neusser Sicht zu keinem guten Zeitpunkt. In den Jahren 2011 bis 2021 entstanden – ohne Krieg und Krisen – brutto 3420 neue Wohnungen. Netto, also abzüglich verloren gegangenen Wohnraums, stieg die Zahl der Wohnungen nur um rund 2450 auf insgesamt 76.600. Zu wenig für die nötige „Aufholjagd“.

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FOTO: BAUVEREIN Beispiel für Fortschrit­te im Segment des öffentlich geörderten Wohnungsba­us ist das neue Quartier des Bauvereins auf der Fläche der alten Sauerkraut­fabrik.
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FOTO: STADT Will Fertigstel­lungstermi­ne nun vorgeben: Christoph Hölters
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ARCHIV: NAU Potenzial aber keine Bautätigke­it: die Schraubenf­abik.

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