Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Konjunktur trotzt den Widrigkeiten
Die deutsche Wirtschaft wächst wenig, aber sie wächst. Ein Treiber ist der anhaltend hohe private Konsum.
FRANKFURT Überraschend robust ist die deutsche Wirtschaft im Sommer gewachsen. Nach endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamts stieg das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 0,4 Prozent, zunächst hatten die Statistiker das Wachstum gegenüber dem zweiten Quartal auf 0,3 Prozent geschätzt – trotz rekordhoher Inflation und Lieferkettenproblemen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher kurbelten die Wirtschaft deutlich an. Denn wesentlicher Grund sei der anhaltende hohe private Konsum, hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Der legte um 1,0 Prozent gegenüber April bis Juli zu.
Dennoch warnen Volkswirte vor zu großem Optimismus. „Das ist ganz sicher kein Grund aufzuatmen“, meint etwa Andreas Scheuerle, Volkswirt der Dekabank. Denn die Belastungen für die deutsche Wirtschaft seien nicht geringer geworden, vor allem die Folgen der enormen Energiepreisanstiege und der Kaufkraftverlust durch die daraus resultierende Inflation.
Doch dürfte es nach aktuellem Stand nicht ganz so schlimm kommen wie zunächst befürchtet. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, rechnet mit einer „normalen Rezession“, nicht mit einem wirtschaftlichen Kollaps. Dafür gebe es mehrere Gründe: So sei eine Gasmangellage mittlerweile unwahrscheinlich geworden. Außerdem habe die Bundesregierung deutlich aufgestockt: „Die Mittel reichen mittlerweile aus, um rein rechnerisch den gesamten Anstieg der deutschen Energierechnung zu bezahlen“, meint Krämer. Und schließlich gebe es inzwischen weniger Materialengpässe in der Industrie. Das gilt auch für den Einzelhandel. Zwar meldeten dort noch gut 71 Prozent der Unternehmen mit Lieferengpässen, meldet das Münchner IfoInstitut, im Oktober aber seien das noch 74,9 Prozent gewesen. Auch seien die Einzelhändler zumindest mit Blick auf die kommenden Monate etwas weniger pessimistisch.
Dass auch die Verbraucher wieder etwas optimistischer sind, zeigt auch der Konsumklimaindex der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Das Barometer für die Konsumstimmung im Dezember steigt um 1,7 auf minus 40,2 Punkte, weil sich die Konjunktur- und Einkommenserwartung verbesserten. Die Kauflaune ging jedoch leicht zurück. „Das Niveau ist nach wie vor unterirdisch schlecht“, dämpft jedoch Deka-Volkswirt Scheuerle zu hohe Erwartungen. Denn trotz des Anstiegs sei dies das drittschlechteste Niveau aller Zeiten. „Viele Belastungen spüren die Verbraucher noch gar nicht“, warnt auch Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der genossenschaftlichen Fondsgesellschaft Union Investment, vor zu viel Optimismus: „Die kalten Wochen in der Heizsaison stehen noch bevor, was sich erst 2023 in den Rechnungen niederschlagen wird. Auch dürften den Haushalten in nächster Zeit sukzessive weitere Erhöhungen der Abschlagszahlungen ins Haus flattern.“Zudem würden nun die strikteren Kreditbedingungen als Folge der Geldpolitik spürbar.
Immerhin aber fassten die Verbraucher wieder etwas Mut, analysiert Rolf Bürkl, Konsumforscher der GfK: „Ich gehe davon aus, dass wir unser Rekordtief aus dem September doch jetzt hinter uns lassen und dass wieder eine stabilere Entwicklung einsetzen kann.“Hilfreich sei auch, dass die Sparneigung der Deutschen etwas nachlasse. Wie schnell und stark aber die Kauflaune wieder zurückkehre, das hänge auch davon ab, wie sich die Inflationsrate künftig entwickeln werde.
Für einen Lichtblick sorge der sogenannte Black Friday bei vielen Händlern in schwierigen Zeiten, meint Klaus Wohlrabe, Leiter Umfragen des Ifo-Instituts. Viele Kunden seien wegen der hohen Inflationsraten auf der Suche nach Schnäppchen: „Es besteht jedoch die Gefahr, dass das Weihnachtsgeschäft dann im Dezember schlechter ausfallen wird, weil sich jetzt schon viele Kunden mit Geschenken eindecken werden.“