Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Chancen des Advents

- VON LOTHAR SCHRÖDER

ESSAY Was wir in diesem Jahr und diesem Winter brauchen, ist Hoffnung, ist ein zuversicht­licher Blick in die Zukunft. Die am Sonntag beginnende Adventszei­t ist dafür eine gute Erfahrung.

Unsere Stimmung aktuell? Das ist wohl der Wunsch, dass einiges möglichst schnell zu Ende geht. Der Krieg in der Ukraine. Die Sorgen um Strom und Gas. Unsere Angst vor neuen Virusvaria­nten. Die Ernährungs­krise weltweit. Der Klimawande­l. Eine Unterbrech­ung des Weltgesche­hens täte jetzt gut. Noch besser: eine Art Reset-Knopf.

Das sind naive Wünsche für einen unschuldig­en Neuanfang. Naiv deshalb, weil sie ausblenden, dass wir selbst es sind, die für viele Bedrohunge­n die Verantwort­ung tragen.

In dieser Zeit voller Ungewisshe­iten beginnt etwas Neues: ein Kirchenjah­r. Der erste Advent ist sein „Startschus­s“, auch wenn keine Sektkorken knallen und kein Feuerwerk am Himmel erscheint. Das Kirchenjah­r setzt leise und ein bisschen besinnlich ein, wenn am Sonntag in vielen Haushalten die erste Kerze auf dem Adventskra­nz angezündet wird. Der ist im Grunde ein Zeitmesser, genauer vielleicht ein Countdown. Weil mit jeder neuen Kerze das Weihnachts­fest um eine Woche näher rückt. Daraus erwächst Vorfreude, auch in schwierige­r Zeit.

Alles im Advent ist nach vorne gerichtet, in die Zukunft. Das ist schon seinem Namen eingeschri­eben. Advent leitet sich vom lateinisch­en „Adventus“ab und bedeutet „Ankunft“. Damit ist die Geburt Jesu in der Heiligen Nacht gemeint, die Ankunft Christi, die Menschwerd­ung Gottes.

Und wer nicht glaubt? Oder den Glauben nach all den Skandalen an seine Kirche verloren hat? Das Einüben des Wartens und die Erfüllung der Ankunft sind existenzie­lle Lebenserfa­hrungen. Sie sind auch ohne Glauben möglich, aber sie bleiben mit dem Glauben eingebunde­n in eine Gemeinscha­ftserfahru­ng. Das Warten der Vielen ist das Fundament von Solidaritä­t.

Unsere Städte signalisie­ren das Gegenteil. Adventsmär­kte und gigantisch­e Weihnachts­baum-Pyramiden haben nichts zu tun mit dem Geist des Advents. Nun muss man nicht gleich päpstliche­r als der Papst sein und alles verteufeln. Nur ist der Rummel ums bevorstehe­nde Fest mehr als nur ein atmosphäri­sch netter Begleitums­tand. Er macht den Sinn des Advents vergessen.

Seinem Wesen nach ist der Advent kein fröhliches, Glühwein-seliges Fest, sondern eine Zeit des Fastens und darin durchaus vergleichb­ar mit der vorösterli­chen Zeit. Früher begann der Advent schon Mitte November und dauerte 40 Tage – eine in der Bibel symbolträc­htige Zahl: 40 Tage dauerte die Sintflut, 40 Jahre wanderte das Volk Israel nach seinem Auszug aus Ägypten durch die Wüste, 40 Tage bereitete sich Jesus in der Wüste auf seine Sendung vor.

Der Advent steht also in einem großen Zusammenha­ng der Menschheit­sgeschicht­e. Das kann man schulterzu­ckend ignorieren und sein Leben weiterlebe­n wie bisher. Man kann das aber auch als Chance nutzen, diese Tage und dann auch unsere Krisenzeit allgemein bewusster zu leben. Der Advent unserer Tage könnte stärker als in früheren Jahren mit Hoffnung verbunden sein, mit einem zuversicht­lichen Blick in eine Zukunft, die immer schon ungewiss war.

Der Hoffnungsg­laube des Advents antwortet auf diese Ungewisshe­it nicht mit trotzigem und robustem Optimismus. Diese Hoffnung richtet sich auf die Geburt Jesu, sie bleibt am Ende eben keine leere Versprechu­ng. Was sich in der Heiligen Nacht begab, macht die Welt allein nicht heil. Aber sie kann Mut machen, Kraft und Zuversicht spenden. Auch das ist nicht wenig.

An diesem Sonntag wird in vielen Familien die erste Kerze des Adventskra­nzes entzündet. Es folgen in den kommenden Wochen drei weitere Kerzen. Es wird also Kerze um Kerze heller. „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, sagt Jesus im JohannesEv­angelium.

Alles Gute und Gottes Segen für das neue Kirchenjah­r!

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