Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Chancen des Advents
ESSAY Was wir in diesem Jahr und diesem Winter brauchen, ist Hoffnung, ist ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft. Die am Sonntag beginnende Adventszeit ist dafür eine gute Erfahrung.
Unsere Stimmung aktuell? Das ist wohl der Wunsch, dass einiges möglichst schnell zu Ende geht. Der Krieg in der Ukraine. Die Sorgen um Strom und Gas. Unsere Angst vor neuen Virusvarianten. Die Ernährungskrise weltweit. Der Klimawandel. Eine Unterbrechung des Weltgeschehens täte jetzt gut. Noch besser: eine Art Reset-Knopf.
Das sind naive Wünsche für einen unschuldigen Neuanfang. Naiv deshalb, weil sie ausblenden, dass wir selbst es sind, die für viele Bedrohungen die Verantwortung tragen.
In dieser Zeit voller Ungewissheiten beginnt etwas Neues: ein Kirchenjahr. Der erste Advent ist sein „Startschuss“, auch wenn keine Sektkorken knallen und kein Feuerwerk am Himmel erscheint. Das Kirchenjahr setzt leise und ein bisschen besinnlich ein, wenn am Sonntag in vielen Haushalten die erste Kerze auf dem Adventskranz angezündet wird. Der ist im Grunde ein Zeitmesser, genauer vielleicht ein Countdown. Weil mit jeder neuen Kerze das Weihnachtsfest um eine Woche näher rückt. Daraus erwächst Vorfreude, auch in schwieriger Zeit.
Alles im Advent ist nach vorne gerichtet, in die Zukunft. Das ist schon seinem Namen eingeschrieben. Advent leitet sich vom lateinischen „Adventus“ab und bedeutet „Ankunft“. Damit ist die Geburt Jesu in der Heiligen Nacht gemeint, die Ankunft Christi, die Menschwerdung Gottes.
Und wer nicht glaubt? Oder den Glauben nach all den Skandalen an seine Kirche verloren hat? Das Einüben des Wartens und die Erfüllung der Ankunft sind existenzielle Lebenserfahrungen. Sie sind auch ohne Glauben möglich, aber sie bleiben mit dem Glauben eingebunden in eine Gemeinschaftserfahrung. Das Warten der Vielen ist das Fundament von Solidarität.
Unsere Städte signalisieren das Gegenteil. Adventsmärkte und gigantische Weihnachtsbaum-Pyramiden haben nichts zu tun mit dem Geist des Advents. Nun muss man nicht gleich päpstlicher als der Papst sein und alles verteufeln. Nur ist der Rummel ums bevorstehende Fest mehr als nur ein atmosphärisch netter Begleitumstand. Er macht den Sinn des Advents vergessen.
Seinem Wesen nach ist der Advent kein fröhliches, Glühwein-seliges Fest, sondern eine Zeit des Fastens und darin durchaus vergleichbar mit der vorösterlichen Zeit. Früher begann der Advent schon Mitte November und dauerte 40 Tage – eine in der Bibel symbolträchtige Zahl: 40 Tage dauerte die Sintflut, 40 Jahre wanderte das Volk Israel nach seinem Auszug aus Ägypten durch die Wüste, 40 Tage bereitete sich Jesus in der Wüste auf seine Sendung vor.
Der Advent steht also in einem großen Zusammenhang der Menschheitsgeschichte. Das kann man schulterzuckend ignorieren und sein Leben weiterleben wie bisher. Man kann das aber auch als Chance nutzen, diese Tage und dann auch unsere Krisenzeit allgemein bewusster zu leben. Der Advent unserer Tage könnte stärker als in früheren Jahren mit Hoffnung verbunden sein, mit einem zuversichtlichen Blick in eine Zukunft, die immer schon ungewiss war.
Der Hoffnungsglaube des Advents antwortet auf diese Ungewissheit nicht mit trotzigem und robustem Optimismus. Diese Hoffnung richtet sich auf die Geburt Jesu, sie bleibt am Ende eben keine leere Versprechung. Was sich in der Heiligen Nacht begab, macht die Welt allein nicht heil. Aber sie kann Mut machen, Kraft und Zuversicht spenden. Auch das ist nicht wenig.
An diesem Sonntag wird in vielen Familien die erste Kerze des Adventskranzes entzündet. Es folgen in den kommenden Wochen drei weitere Kerzen. Es wird also Kerze um Kerze heller. „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, sagt Jesus im JohannesEvangelium.
Alles Gute und Gottes Segen für das neue Kirchenjahr!