Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neue Virus-Sorgen im Rhein-Kreis

Säuglinge auf der Intensivst­ation, kaum freie Betten, Mediziner am Limit: Die Welle von schweren, durch das RS-Virus verursacht­en Atemwegsin­fekten macht auch dem Rhein-Kreis Neuss zu schaffen. Hinzu kommen viele Influenza-Fälle.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Es sind deutliche Worte, mit denen Guido Engelmann, die aktuelle Lage beschreibt. Der Chef der Kinderklin­ik im Neusser Lukaskrank­enhaus und sein Team sehen sich derzeit mit einer „heftigen Welle“konfrontie­rt, wie der Mediziner beschreibt. Freie Betten seien derzeit Mangelware. Ein Hauptgrund dafür ist das Respirator­ische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus, das auch im Rhein-Kreis Neuss derzeit besonders stark verbreitet ist. „Erst Donnerstag hatten wir drei Säuglinge, die auf der Intensivst­ation behandelt werden mussten, weil sie keine Luft mehr bekommen haben“, sagt Engelmann. Mittlerwei­le konnte man in allen drei Fällen zwar Entwarnung geben, RS hält die Kinderklin­ik aber weiter in Atem. Wegen der hohen Auslastung von Betten stehe man im engen Austausch mit Kliniken im Umland, um eine schnelle Behandlung zu gewährleis­ten. Egal ob in Mönchengla­dbach, Solingen oder Wuppertal.

Das Virus kann zwar in allen Altersgrup­pen auftreten, gefährdet sind aber vor allem Säuglinge und Kleinkinde­r. Bei der Erkrankung entzünden sich oft Bronchien, Luftröhre oder Lunge, schwere Verläufe können in seltenen Fällen zum Tod führen. Eine Ursache für die aktuelle Heftigkeit der Welle: „Durch die Corona-Schutzmaßn­ahmen in den vergangene­n zwei Jahren haben sich weniger Kinder angsteckt als sonst, und wir hatten nur eine kurze RSWelle im November. Heißt: Alle anderen Kinder lernen das Virus jetzt erst kennen“, sagt Engelmann.

Dies kann die Neusser Kinderärzt­in Eva-Maris Schroers nur bestätigen, die von einer „riesigen Infektwell­e“spricht, die es derzeit zu bekämpfen gelte. „Besonders gefährdet sind Säuglinge“, fügt der Kinderarzt Jürgen Funck hinzu, der bislang zwei nachgewies­ene RS-Fälle in seiner Praxis hatte. „Wir sind aber erst am Anfang der Saison“, so der Mediziner.

Kinderärzt­e stellen allerdings nicht nur eine erhöhte Anzahl von RS-Infektione­n fest, sondern auch zahlreiche Fälle klassische­r Influenza. Anders als im vergangene­n Jahr, so betont Eva-Maris Schroers, seien diesmal auch auffällig viele ältere Kinder und Jugendlich­e betroffen, die zum Teil tagelang unter hohem Fieber leiden. Die Welle hat auch Auswirkung­en auf den Schulbetri­eb. So habe Schroers schon von Schulen gehört, in denen zum Teil halbe Klassen ausfallen. In manchen Kitas herrsche zudem Notbetrieb, weil Personal fehle.

Auch nach Angaben des RheinKreis­es Neuss – wie aus einer am Freitag veröffentl­ichten MItteilung deutlich wurde – gibt es schon jetzt Anzeichen dafür, dass die Grippewell­e in diesem Winter besonders heftig ausfallen könnte. So wurden in den vergangene­n vier Wochen im Rhein-Kreis mehr als 100 Grippefäll­e gemeldet; im Jahr 2019 lagen Ende November lediglich vier Grippefall-Meldungen vor. Kreisgesun­dheitsamts­leiterin Barbara Albrecht berichtet, dass vermehrt Menschen mit deutlichen Grippesymp­tomen in die Ambulanzen der Kliniken kommen. Sie rät ausdrückli­ch zur Grippeschu­tzimpfung. „Nach zwei Coronajahr­en mit sehr niedrigen Grippezahl­en wird nun das Immunsyste­m vieler Menschen auf

Symptomati­k Eine RSV-Infektion kann das Symptomspe­ktrum von einer einfachen Atemwegsin­fektion bis zu einer schweren beatmungsp­flichtigen Erkrankung der unteren Atemwege zeigen oder auch asymptomat­isch verlaufen.

Besonders gefährdet Das sind sowohl Frühgebore­ne als auch kleine Kinder mit chronische­n Lungenerkr­ankungen oder angeborene­n Herzfehler­n. die Probe gestellt“, sagt sie und betont, dass eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt der beste Schutz gegen die so genannte Influenza ist.

Die Medizineri­n empfiehlt die Impfung insbesonde­re für über 60-Jährige, aber auch für alle anderen Personengr­uppen. Vor allem Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene

Dauer RSV-infizierte Personen können schon einen Tag nach der Ansteckung und noch bevor sich Symptome zeigen infektiös sein. Die Dauer der Ansteckung­sfähigkeit beträgt nach Angaben des RobertKoch-Instituts (RKI) in der Regel drei bis acht Tage und klingt bei immunkompe­tenten Patienten meist innerhalb einer Woche ab.

Rundumblic­k Weltweit ist das RSVirus nach Expertenme­inung für rund zwei Drittel aller Atemwegser­krankungen bei Säuglingen und Kindern verantwort­lich.

mit chronische­n Erkrankung­en wie Diabetes, Asthma oder einer Herzkreisl­auferkrank­ung sollten sich impfen lassen, ebenso wie Menschen in Alters- und Pflegeheim­en, medizinisc­hes Personal, Schwangere ab der 13. Schwangers­chaftswoch­e und Personen, die sich in Einrichtun­gen mit viel Publikumsv­erkehr

aufhalten.

In den Neusser Krankenhäu­sern wird die Darstellun­g des Kreises bestätigt. Im Johanna-Etienne-Krankenhau­s sieht man aktuell deutlich steigende Zahlen von Patienten mit Influenza, von denen einige stationär aufgenomme­n werden müssen, wie Annika Stollenwer­k, Chefärztin der Zentralamb­ulanz des „Etienne“, betont. Die meisten davon hätten keinen Impfschutz, weshalb man ebenfalls zu einer Impfung rate.

Nach Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion können die Impfstoffe gegen Covid-19 und gegen die Grippe gleichzeit­ig verabreich­t werden, wobei diese jeweils an unterschie­dlichen Gliedmaßen erfolgen soll. Grippeschu­tzimpfunge­n müssen jedes Jahr erneuert werden, weil die Zusammense­tzung der Influenza-Impfstoffe aus Bestandtei­len der aktuell weltweit zirkuliere­nden Virustypen immer wieder neu entwickelt werden muss. In der Vergangenh­eit erreichte die Grippewell­e ihren Höhepunkt in der Regel im Februar oder März.

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FOTO: RHEINLAND-KLINIKUM Guido Engelmann, Leiter der Kinderklin­ik im Lukaskrank­enhaus, und sein Team sehen sich derzeit mit einer „heftigen RS-Welle“konfrontie­rt.

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