Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Neue Virus-Sorgen im Rhein-Kreis
Säuglinge auf der Intensivstation, kaum freie Betten, Mediziner am Limit: Die Welle von schweren, durch das RS-Virus verursachten Atemwegsinfekten macht auch dem Rhein-Kreis Neuss zu schaffen. Hinzu kommen viele Influenza-Fälle.
NEUSS Es sind deutliche Worte, mit denen Guido Engelmann, die aktuelle Lage beschreibt. Der Chef der Kinderklinik im Neusser Lukaskrankenhaus und sein Team sehen sich derzeit mit einer „heftigen Welle“konfrontiert, wie der Mediziner beschreibt. Freie Betten seien derzeit Mangelware. Ein Hauptgrund dafür ist das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus, das auch im Rhein-Kreis Neuss derzeit besonders stark verbreitet ist. „Erst Donnerstag hatten wir drei Säuglinge, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, weil sie keine Luft mehr bekommen haben“, sagt Engelmann. Mittlerweile konnte man in allen drei Fällen zwar Entwarnung geben, RS hält die Kinderklinik aber weiter in Atem. Wegen der hohen Auslastung von Betten stehe man im engen Austausch mit Kliniken im Umland, um eine schnelle Behandlung zu gewährleisten. Egal ob in Mönchengladbach, Solingen oder Wuppertal.
Das Virus kann zwar in allen Altersgruppen auftreten, gefährdet sind aber vor allem Säuglinge und Kleinkinder. Bei der Erkrankung entzünden sich oft Bronchien, Luftröhre oder Lunge, schwere Verläufe können in seltenen Fällen zum Tod führen. Eine Ursache für die aktuelle Heftigkeit der Welle: „Durch die Corona-Schutzmaßnahmen in den vergangenen zwei Jahren haben sich weniger Kinder angsteckt als sonst, und wir hatten nur eine kurze RSWelle im November. Heißt: Alle anderen Kinder lernen das Virus jetzt erst kennen“, sagt Engelmann.
Dies kann die Neusser Kinderärztin Eva-Maris Schroers nur bestätigen, die von einer „riesigen Infektwelle“spricht, die es derzeit zu bekämpfen gelte. „Besonders gefährdet sind Säuglinge“, fügt der Kinderarzt Jürgen Funck hinzu, der bislang zwei nachgewiesene RS-Fälle in seiner Praxis hatte. „Wir sind aber erst am Anfang der Saison“, so der Mediziner.
Kinderärzte stellen allerdings nicht nur eine erhöhte Anzahl von RS-Infektionen fest, sondern auch zahlreiche Fälle klassischer Influenza. Anders als im vergangenen Jahr, so betont Eva-Maris Schroers, seien diesmal auch auffällig viele ältere Kinder und Jugendliche betroffen, die zum Teil tagelang unter hohem Fieber leiden. Die Welle hat auch Auswirkungen auf den Schulbetrieb. So habe Schroers schon von Schulen gehört, in denen zum Teil halbe Klassen ausfallen. In manchen Kitas herrsche zudem Notbetrieb, weil Personal fehle.
Auch nach Angaben des RheinKreises Neuss – wie aus einer am Freitag veröffentlichten MItteilung deutlich wurde – gibt es schon jetzt Anzeichen dafür, dass die Grippewelle in diesem Winter besonders heftig ausfallen könnte. So wurden in den vergangenen vier Wochen im Rhein-Kreis mehr als 100 Grippefälle gemeldet; im Jahr 2019 lagen Ende November lediglich vier Grippefall-Meldungen vor. Kreisgesundheitsamtsleiterin Barbara Albrecht berichtet, dass vermehrt Menschen mit deutlichen Grippesymptomen in die Ambulanzen der Kliniken kommen. Sie rät ausdrücklich zur Grippeschutzimpfung. „Nach zwei Coronajahren mit sehr niedrigen Grippezahlen wird nun das Immunsystem vieler Menschen auf
Symptomatik Eine RSV-Infektion kann das Symptomspektrum von einer einfachen Atemwegsinfektion bis zu einer schweren beatmungspflichtigen Erkrankung der unteren Atemwege zeigen oder auch asymptomatisch verlaufen.
Besonders gefährdet Das sind sowohl Frühgeborene als auch kleine Kinder mit chronischen Lungenerkrankungen oder angeborenen Herzfehlern. die Probe gestellt“, sagt sie und betont, dass eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt der beste Schutz gegen die so genannte Influenza ist.
Die Medizinerin empfiehlt die Impfung insbesondere für über 60-Jährige, aber auch für alle anderen Personengruppen. Vor allem Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Dauer RSV-infizierte Personen können schon einen Tag nach der Ansteckung und noch bevor sich Symptome zeigen infektiös sein. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit beträgt nach Angaben des RobertKoch-Instituts (RKI) in der Regel drei bis acht Tage und klingt bei immunkompetenten Patienten meist innerhalb einer Woche ab.
Rundumblick Weltweit ist das RSVirus nach Expertenmeinung für rund zwei Drittel aller Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Kindern verantwortlich.
mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Asthma oder einer Herzkreislauferkrankung sollten sich impfen lassen, ebenso wie Menschen in Alters- und Pflegeheimen, medizinisches Personal, Schwangere ab der 13. Schwangerschaftswoche und Personen, die sich in Einrichtungen mit viel Publikumsverkehr
aufhalten.
In den Neusser Krankenhäusern wird die Darstellung des Kreises bestätigt. Im Johanna-Etienne-Krankenhaus sieht man aktuell deutlich steigende Zahlen von Patienten mit Influenza, von denen einige stationär aufgenommen werden müssen, wie Annika Stollenwerk, Chefärztin der Zentralambulanz des „Etienne“, betont. Die meisten davon hätten keinen Impfschutz, weshalb man ebenfalls zu einer Impfung rate.
Nach Empfehlungen der Ständigen Impfkommission können die Impfstoffe gegen Covid-19 und gegen die Grippe gleichzeitig verabreicht werden, wobei diese jeweils an unterschiedlichen Gliedmaßen erfolgen soll. Grippeschutzimpfungen müssen jedes Jahr erneuert werden, weil die Zusammensetzung der Influenza-Impfstoffe aus Bestandteilen der aktuell weltweit zirkulierenden Virustypen immer wieder neu entwickelt werden muss. In der Vergangenheit erreichte die Grippewelle ihren Höhepunkt in der Regel im Februar oder März.