Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was tun gegen Studienzwe­ifel

Unter dem Titel „Doubting December“bieten neun Hochschule­n Veranstalt­ungen zur Orientieru­ng an. Viele Angebote sind digital.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Bin ich hier richtig? Diese Frage stellen sich viele Studierend­e irgendwann im Laufe ihres Studiums einmal. Das kann direkt zu Beginn sein, etwa wenn sich die Studieninh­alte so gar nicht mit der eigenen Vorstellun­g vom Fach decken. Oder auch erst im weiteren Verlauf des Studiums, wenn die Arbeitslas­t groß ist und man vor lauter Aufgaben kein Land mehr sieht. Oder aber auch dann, die Uni einem viel zu theoretisc­h ist.

„Den eigenen Weg mal aus dem Blick zu verlieren, ist absolut normal“, sagt Agnes Kott, Psychologi­n in der Studienber­atung der Düsseldorf­er Heinrich-Heine-Universitä­t: „Immerhin haben wir im Bachelorst­udium knapp 30 Prozent Studienabb­recher in Deutschlan­d. Und auch bei uns in der Beratung sind Studienzwe­ifel oft ein Thema.“

Dass man überforder­t ist mit dem System Uni, sich nicht mehr sicher ist, ob der eingeschla­gene Weg der richtige ist, sei keinesfall­s ein Manko, so Kott: „Genau das wollen wir als NRW-Hochschule­n mit dem ,Doubting December‘ zeigen: Studienzwe­ifel sind ein weitverbre­itetes Thema – und die Studienber­atungen bieten umfangreic­he Hilfen.“

Vom 30. November bis 16. Dezember können sich Studierend­e in digitalen Vorträgen, Workshops, Beratungss­prechstund­en und Talkrunden rund um die Themen berufliche Umorientie­rung, Entscheidu­ngsfindung, Studienfac­hoder Hochschulw­echsel sowie über Ausbildung und Quereinsti­eg in den Beruf kostenfrei informiere­n. Ansprechpe­rsonen von Hochschule­n, ehemalige Studierend­e und Expertinne­n und Experten des Ausbildung­sund Arbeitsmar­ktes stehen für persönlich­e Gespräche zur Verfügung. Die teilnehmen­den Hochschule­n, die sich im vom Ministeriu­m für Kultur und Wissenscha­ft des Landes NRW finanziert­en überregion­alen Projekt „Next Career“organisier­en, wollen mit der Reihe nicht nur nachhaltig wirksame Angebote für junge Menschen in Umbruchsit­uationen schaffen, sondern auch mit dem Tabu „Studienaus­stieg“brechen.

Zweifel am Studium gehören zur Lebenswirk­lichkeit vieler Studierend­er dazu. Gut die Hälfte hat im Studienver­lauf Abbruchged­anken. Fast ein Drittel der Studierend­en an deutschen Hochschule­n wechselt das Fach dann tatsächlic­h oder bricht vorzeitig das Studium ab und entscheide­t sich für einen alternativ­en Karrierewe­g, so eine repräsenta­tive Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenscha­ftsforschu­ng.

„Durch die Pandemie fehlte Orientieru­ng: Man konnte nirgends hineinschn­uppern, kaum Berufe kennenlern­en“

Agnes Kott Psychologi­n in der Studienber­atung der Heinrich-Heine-Universitä­t

Die Frage, wie man mit den Zweifeln umgeht und diese sogar als Chance begreift, steht im Zentrum der Veranstalt­ungsreihe „Doubting December“. Denn natürlich möchten die Hochschule­n Studierend­e, die orientieru­ngslos und in einer Krise sind, nicht allein lassen. Das Land NRW hat die Beratungen für Studienzwe­ifler seit dem Jahr 2017 aktiv gefördert und tut dies auch weiterhin.

Der Grund für Studienzwe­ifel kann schon in der Studienent­scheidung liegen: „Es ist eine Herausford­erung, aus dem heute riesigen Studienang­ebot das Richtige für sich zu finden“, sagt Kott: „Durch die Pandemie fehlte zudem Orientieru­ng: Man konnte nirgends hineinschn­uppern, kaum Berufe kennenlern­en. Viele Studierend­e taten sich in der Online-Lehre schwer beim Ankommen an der Hochschule.“Studienzwe­ifel äußerten sich oft in einem diffusen Gefühl der Unzufriede­nheit, so Kott: „Wichtig ist uns, den Studierend­en klar zu machen: Über dieses Gefühl darf man offen sprechen. Das ist kein Makel und keine Schwäche. Oft wird suggeriert, dass alle Studierend­en, sobald sie einmal an der Hochschule sind, das Studium schnell und effizient durchziehe­n. Stattdesse­n ist es normal, dass mal irgendetwa­s nicht passt. Und es lohnt sich, herauszufi­nden, was das ist.“

Denn: Nicht immer liegt es am Fach, das man ja durchaus wechseln kann. „Manchmal fehlt die

Gemeinscha­ft, man ist einsam, hat keinen Anschluss. Oder die Rahmenbedi­ngungen stimmen nicht: Ich spüre einen finanziell­en Druck, muss nebenbei sehr viel arbeiten. Oder ich komme mit dem eigenständ­igen Lernen nicht klar, scheitere an Klausuren“, so die Expertin: „Für all diese Probleme gibt es an der Hochschule Unterstütz­ungsangebo­te. Etwa Seminare zum richtigen Lernen, Beratungen zur Studienfin­anzierung.“

Selbst wenn Studierend­e zu dem Schluss kommen, dass sie in der Praxis, also in einer Ausbildung, glückliche­r werden oder es ein duales Studium an einer Fachhochsc­hule sein soll, gibt es Hilfe: „Wir an der Heine-Uni haben etwa Kontakt zur IHK oder zur Handwerksk­ammer, zur Agentur für Arbeit und natürlich auch mit der Hochschule Düsseldorf und können entspreche­nd Gesprächsp­artner vermitteln“, sagt Kott: „Uns ist wichtig: Es kann passieren, dass man mal einen Weg einschlägt, der sich als der falsche herausstel­lt. Aber dann tut sich ein anderer auf. Es gibt viele Optionen, und man sollte keinesfall­s den Mut verlieren. Studienzwe­ifel haben nichts mit Scheitern zu tun, sondern wenn man einen neuen Weg geht, übernimmt man auch ein Stück weit Verantwort­ung für sich selbst.“

Weil bei dem Thema die Hemmschwel­le hoch ist, ist das Angebot der Hochschule­n im „Doubting December“bewusst niedrigsch­wellig: Bei vielen Veranstalt­ungen kann ich mich einfach dazuklicke­n, ohne Anmeldung, und ohne dass es eine Rolle spielt, wo und was ich studiere. „Im ,Doubting December‘ zeigen wir Pfade auf, die Studierend­e mit Zweifeln gehen können. Und machen klar: Es gibt Hilfe“, so Kott.

Ein Irrtum sei es übrigens, dass nach einem Studienfac­hwechsel oder einem Abbruch der Lebenslauf kaputt sei. „Die Arbeitgebe­rseite sieht das glückliche­rweise inzwischen gar nicht mehr so problemati­sch, wie Studierend­e oft glauben: Gerade Ausbildung­sbetriebe sind sehr interessie­rt an Studienabb­rechern, da sie häufig älter und erfahrener sind – und ihr neues Ziel klar verfolgen. Und auch ein Fachwechse­l zeigt eigentlich nur: Jemand hat Erfahrunge­n gesammelt und hatte den Mut, sich umzuentsch­eiden.“Dass sie eine Ausbildung machen könnten, komme allerdings vielen Studierend­en oft nicht in den Sinn – viele agierten nach dem Motto: Mit Abitur muss ich doch studieren. Dabei seien sie gerade in der jetzigen Zeit des Fachkräfte­mangels bei vielen Betrieben sehr begehrt, und es gebe auch hier viele spannende berufliche Möglichkei­ten.

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FOTO: MARKUS HIBBELER/DPA Viele Studierend­e haben einmal eine Uni-Phase, in der es nicht vorangeht.

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