Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Was tun gegen Studienzweifel
Unter dem Titel „Doubting December“bieten neun Hochschulen Veranstaltungen zur Orientierung an. Viele Angebote sind digital.
DÜSSELDORF Bin ich hier richtig? Diese Frage stellen sich viele Studierende irgendwann im Laufe ihres Studiums einmal. Das kann direkt zu Beginn sein, etwa wenn sich die Studieninhalte so gar nicht mit der eigenen Vorstellung vom Fach decken. Oder auch erst im weiteren Verlauf des Studiums, wenn die Arbeitslast groß ist und man vor lauter Aufgaben kein Land mehr sieht. Oder aber auch dann, die Uni einem viel zu theoretisch ist.
„Den eigenen Weg mal aus dem Blick zu verlieren, ist absolut normal“, sagt Agnes Kott, Psychologin in der Studienberatung der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität: „Immerhin haben wir im Bachelorstudium knapp 30 Prozent Studienabbrecher in Deutschland. Und auch bei uns in der Beratung sind Studienzweifel oft ein Thema.“
Dass man überfordert ist mit dem System Uni, sich nicht mehr sicher ist, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, sei keinesfalls ein Manko, so Kott: „Genau das wollen wir als NRW-Hochschulen mit dem ,Doubting December‘ zeigen: Studienzweifel sind ein weitverbreitetes Thema – und die Studienberatungen bieten umfangreiche Hilfen.“
Vom 30. November bis 16. Dezember können sich Studierende in digitalen Vorträgen, Workshops, Beratungssprechstunden und Talkrunden rund um die Themen berufliche Umorientierung, Entscheidungsfindung, Studienfachoder Hochschulwechsel sowie über Ausbildung und Quereinstieg in den Beruf kostenfrei informieren. Ansprechpersonen von Hochschulen, ehemalige Studierende und Expertinnen und Experten des Ausbildungsund Arbeitsmarktes stehen für persönliche Gespräche zur Verfügung. Die teilnehmenden Hochschulen, die sich im vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW finanzierten überregionalen Projekt „Next Career“organisieren, wollen mit der Reihe nicht nur nachhaltig wirksame Angebote für junge Menschen in Umbruchsituationen schaffen, sondern auch mit dem Tabu „Studienausstieg“brechen.
Zweifel am Studium gehören zur Lebenswirklichkeit vieler Studierender dazu. Gut die Hälfte hat im Studienverlauf Abbruchgedanken. Fast ein Drittel der Studierenden an deutschen Hochschulen wechselt das Fach dann tatsächlich oder bricht vorzeitig das Studium ab und entscheidet sich für einen alternativen Karriereweg, so eine repräsentative Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung.
„Durch die Pandemie fehlte Orientierung: Man konnte nirgends hineinschnuppern, kaum Berufe kennenlernen“
Agnes Kott Psychologin in der Studienberatung der Heinrich-Heine-Universität
Die Frage, wie man mit den Zweifeln umgeht und diese sogar als Chance begreift, steht im Zentrum der Veranstaltungsreihe „Doubting December“. Denn natürlich möchten die Hochschulen Studierende, die orientierungslos und in einer Krise sind, nicht allein lassen. Das Land NRW hat die Beratungen für Studienzweifler seit dem Jahr 2017 aktiv gefördert und tut dies auch weiterhin.
Der Grund für Studienzweifel kann schon in der Studienentscheidung liegen: „Es ist eine Herausforderung, aus dem heute riesigen Studienangebot das Richtige für sich zu finden“, sagt Kott: „Durch die Pandemie fehlte zudem Orientierung: Man konnte nirgends hineinschnuppern, kaum Berufe kennenlernen. Viele Studierende taten sich in der Online-Lehre schwer beim Ankommen an der Hochschule.“Studienzweifel äußerten sich oft in einem diffusen Gefühl der Unzufriedenheit, so Kott: „Wichtig ist uns, den Studierenden klar zu machen: Über dieses Gefühl darf man offen sprechen. Das ist kein Makel und keine Schwäche. Oft wird suggeriert, dass alle Studierenden, sobald sie einmal an der Hochschule sind, das Studium schnell und effizient durchziehen. Stattdessen ist es normal, dass mal irgendetwas nicht passt. Und es lohnt sich, herauszufinden, was das ist.“
Denn: Nicht immer liegt es am Fach, das man ja durchaus wechseln kann. „Manchmal fehlt die
Gemeinschaft, man ist einsam, hat keinen Anschluss. Oder die Rahmenbedingungen stimmen nicht: Ich spüre einen finanziellen Druck, muss nebenbei sehr viel arbeiten. Oder ich komme mit dem eigenständigen Lernen nicht klar, scheitere an Klausuren“, so die Expertin: „Für all diese Probleme gibt es an der Hochschule Unterstützungsangebote. Etwa Seminare zum richtigen Lernen, Beratungen zur Studienfinanzierung.“
Selbst wenn Studierende zu dem Schluss kommen, dass sie in der Praxis, also in einer Ausbildung, glücklicher werden oder es ein duales Studium an einer Fachhochschule sein soll, gibt es Hilfe: „Wir an der Heine-Uni haben etwa Kontakt zur IHK oder zur Handwerkskammer, zur Agentur für Arbeit und natürlich auch mit der Hochschule Düsseldorf und können entsprechend Gesprächspartner vermitteln“, sagt Kott: „Uns ist wichtig: Es kann passieren, dass man mal einen Weg einschlägt, der sich als der falsche herausstellt. Aber dann tut sich ein anderer auf. Es gibt viele Optionen, und man sollte keinesfalls den Mut verlieren. Studienzweifel haben nichts mit Scheitern zu tun, sondern wenn man einen neuen Weg geht, übernimmt man auch ein Stück weit Verantwortung für sich selbst.“
Weil bei dem Thema die Hemmschwelle hoch ist, ist das Angebot der Hochschulen im „Doubting December“bewusst niedrigschwellig: Bei vielen Veranstaltungen kann ich mich einfach dazuklicken, ohne Anmeldung, und ohne dass es eine Rolle spielt, wo und was ich studiere. „Im ,Doubting December‘ zeigen wir Pfade auf, die Studierende mit Zweifeln gehen können. Und machen klar: Es gibt Hilfe“, so Kott.
Ein Irrtum sei es übrigens, dass nach einem Studienfachwechsel oder einem Abbruch der Lebenslauf kaputt sei. „Die Arbeitgeberseite sieht das glücklicherweise inzwischen gar nicht mehr so problematisch, wie Studierende oft glauben: Gerade Ausbildungsbetriebe sind sehr interessiert an Studienabbrechern, da sie häufig älter und erfahrener sind – und ihr neues Ziel klar verfolgen. Und auch ein Fachwechsel zeigt eigentlich nur: Jemand hat Erfahrungen gesammelt und hatte den Mut, sich umzuentscheiden.“Dass sie eine Ausbildung machen könnten, komme allerdings vielen Studierenden oft nicht in den Sinn – viele agierten nach dem Motto: Mit Abitur muss ich doch studieren. Dabei seien sie gerade in der jetzigen Zeit des Fachkräftemangels bei vielen Betrieben sehr begehrt, und es gebe auch hier viele spannende berufliche Möglichkeiten.