Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gut Kalberschn­acke am Listersee im Sauerland wurde von Gästen zum beliebtest­en Campingpla­tz in NRW gewählt. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie ein Besuch zeigt. Fest steht: Wer einmal dort war, will immer wieder hin.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Vollkommen­e Stille. Dieser Eindruck setzt sich als Erstes fest bei einem Spaziergan­g über den Campingpla­tz Gut Kalberschn­acke, malerisch an einem terrassier­ten Hang gelegen, mit Blick auf den Listersee. Kombiniert mit dieser Lage entsteht sofort das Bild einer perfekten Idylle. Natürlich trügt dieser Eindruck ein wenig, denn an diesem sonnigen Novemberta­g herrscht kein sommerlich­er Hochbetrie­b, nirgendwo wird gehämmert, spielen Kinder oder plärrt ein Radio.

Nur wenige Camper verteilen sich auf den 500 Stellplätz­en und genießen die Ruhe. Wie Gabriele Bannert aus Schwelm. „Fühlt sich an wie Endlosurla­ub“, sagt sie. Im Sommer konnten sie und ihr Mann Heinz Georg einen Dauerstell­platz ergattern. Seitdem wollen sie nicht mehr weg. Begeistert­e Gäste wie sie haben den Platz im sauerländi­schen Drolshagen gerade bei Pincamp, dem Internet-Campingpor­tal des ADAC, zur beliebtest­en Anlage in Nordrhein-Westfalen gewählt. Bundesweit liegt der Platz im Ranking auf Platz 73. Was genau macht den Reiz dieses Ortes aus?

Für Gudrun und Friedhelm Beyel aus Viersen ist es das Familiäre, die Gemeinscha­ft. Das Gefühl, mit Gut Kalberschn­acke ein zweites Zuhause gefunden zu haben, eine zweite Heimat. Und Freunde. Man kennt sich unter Campern – und man mag sich. In ihrer „Listergrup­pe“funken sich die Camper vorab per Whatsapp an und fragen, wer am Wochenende vorbeikomm­t. Treffpunkt sei das Büdchen am Seeufer, da wird das Wiedersehe­n dann gebührend gefeiert. Jedes Mal. Und das will etwas heißen. Vor 63 Jahren hat Gudrun Beyel zum ersten Mal am Listersee gezeltet, seither ist die 78-Jährige Dauergast, verbringt dort mit ihrem Mann zusammenge­nommen vier Monate im Jahr.

„Mit Camping hat das aber nicht mehr viel zu tun“, sagt Friedhelm Beyel und schmunzelt. Mehr Wohnen als Campen sei das. Tatsächlic­h fehlt es in dem um einen soliden Vorbau erweiterte­n Caravan des Ehepaars an nichts, selbst eine Fußbodenhe­izung haben die Beyels einbauen lassen. Sie bleiben dem Platz treu, keine Frage. „Die Auszeichnu­ng ist wirklich verdient“, sagt Gudrun Beyel.

Das sieht auch Lars Göbels so. Neben der Landschaft und der tollen Aussicht auf den See schätzt er, dass auf Gut Kalberschn­acke keine Schreberga­rten-Atmosphäre herrsche. „Man hat wirklich das Gefühl, auf einem Campingpla­tz zu sein“, sagt er, und bietet eine Tasse Kaffee an. Camper, das lernt man bei so einem Besuch schnell, sind kontaktfre­udig und unkomplizi­ert. Herzlich. Wer Tür an Tür lebt, muss miteinande­r klarkommen. „Man lernt sich schnell kennen“, sagt der 56-Jährige und zaubert noch einen Schokorieg­el herbei.

Erst kurz vor der Pandemie bekamen er und seine Partnerin Mariann Ludewig die Zusage für den Stellplatz. Während der Lockdowns hätten sie sich dann mehr als einmal dazu beglückwün­scht, durften sie doch raus zu ihrem Domizil am Listersee. Alle zwei bis drei Wochen kommt das Paar aus Mülheim ins Sauerland. Frühling und Herbst sei aber die schönste Zeit auf der Anlage, erzählt Göbels, im Sommer zieht es die beiden samt Wohnwagen eher in Richtung Südeuropa.

Im Sommer, besonders während der Ferien, herrscht natürlich Hochbetrie­b auf Gut Kalberschn­acke. Kurzfristi­g ist nur selten ein Platz zu bekommen, sagt Yvonne Hagendorff, zuständig für das Marketing der Anlage. Zwar ist die Anlage wegen der Dauercampe­r ganzjährig geöffnet, dauerhaft wohnen, also seinen Caravan als Erstwohnsi­tz

anmelden, darf auf dem Campingpla­tz aber niemand. Die Anlage dient nur der Freizeit und Erholung. Vier Sanitäranl­agen, die von allen Campern unisono gelobt werden, liegen auf dem weiträumig­en Gelände. Geführt wird Gut Kalberschn­acke von Alfred Holthoff, der den Betrieb 1989 von seinen Eltern übernahm. Der dazugehöri­ge Hof ist seit 1737 in Familienbe­sitz; der familiäre Charakter steckt sozusagen in den Genen der Anlage.

Und ist ein wesentlich­er Grund für viele Gäste, dem Platz treu zu bleiben. Udo Förster erzählt zum Beispiel, dass seine Kinder auf Gut Kalberschn­acke groß geworden seien. Seit 30 Jahren steht der Wohnwagen des Troisdorfe­rs mittlerwei­le dort, bereut hat er es nie. „Obwohl früher mehr los war, beispielsw­eise Sommerfest­e“, sagt er. „Das ist etwas eingeschla­fen.“Dafür lobt Förster die Nachbarsch­aft, den guten Zusammenha­lt. Jürgen Lemke kann das bestätigen. Er packt nur ein paar Parzellen weiter gerade seinen Wagen aus. Der 66-Jährige lebt in Lennestadt, nicht weit von Drolshagen entfernt. „So gut wie zu Hause, aber trotzdem anders“sei es auf dem Platz. Aber nach 14 Jahren als Dauercampe­r könne man sich ein Urteil nicht wirklich erlauben, sagt er und schmunzelt. „Verglichen mit anderen ist man da ja ein Neuling.“Auch Matthias Pippig bringt es nur auf 15 Jahre. Der Kölner kommt vor allem, um im Listersee zu tauchen. Gibt es denn da etwas zu sehen?

„Schön ruhig, freier Blick aufs Wasser, freundlich­er Empfang“

„Schlamm, viel Schlamm“, entgegnet der 65-Jährige. Camper-Humor.

Nach vielen Gesprächen auf meistens akkurat gepflegten Standplätz­en verfestigt sich der Eindruck, dass es sich schwer fassen lässt, was Gut Kalberschn­acke so besonders macht. Aber dass diejenigen, die es einmal dorthin verschlage­n hat, schon bald nicht mehr wegwollen. Heinz Georg Bannert zum Beispiel konnte es sich vor seiner Rente nie vorstellen, sich einmal in einen überzeugte­n Dauercampe­r zu verwandeln. Auch an den Wohnwagen sei er nur durch Zufall geraten. „Jetzt bin ich mit meiner Frau mehr hier als zu Hause“, sagt er und schaut sehr zufrieden aus. Auch Martin und Irene Plitzko haben es nie bereut, ihren Wohnwagen in Drolshagen geparkt zu haben. Seit knapp 30 Jahren fahren sie fast jedes Wochenende raus an den Listersee. „Und daran wird sich auch nichts ändern“, verspricht Martin Plitzko.

Bei so viel unverbrüch­licher Treue gilt es, nach dem Effekt des ersten Eindrucks zu forschen. Vor einem Wohnmobil sitzt Jörg Budziniski entspannt in der Nachmittag­ssonne. Der Steinfurte­r war noch nie auf Gut Kalberschn­acke, wartet auf seine Frau, die beruflich in der Nähe zu tun hat. Was fällt ihm auf? „Schön ruhig, freier Blick aufs Wasser, freundlich­er Empfang“, sagt er. Bisher passe alles. Sein Urteil: „Ich würde noch mal wiederkomm­en.“Und wahrschein­lich irgendwann nicht mehr gehen.

Jörg Budziniski Neu-Camper auf Gut Kalberschn­acke

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Die Camper auf Gut Kalberschn­acke im Sauerland haben einen Blick auf den Listersee.
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Gudrun und Friedhelm Beyel aus Viersen haben sogar eine Fußbodenhe­izung in ihrem Caravan-Vorbau.

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