Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Hoffnung für den Regenwald
ANALYSE Brasiliens Umweltschützer sind euphorisch: Der neue Präsident Lula da Silva, der im Januar sein Amt antritt, kündigt an, die Abholzung im Land komplett einzustellen. Es ist fraglich, ob er den Worten Taten folgen lässt.
Ein Blick in die internationale und deutsche Medienlandschaft macht deutlich: Es gibt Anlass zur Hoffnung für den Amazonas-Regenwald. Kaum ein Politiker ist mit so viel Vorschusslorbeeren überhäuft worden wie Brasiliens ehemaliger und künftiger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (77). Der Grund für die Euphorie in Europa und in den USA: Lula – wie ihn seine Anhänger rufen – hat im Wahlkampf ein historisches Versprechen abgegeben. Und nun auf der gerade zu Ende gegangenen UN-Klimakonferenz Cop 27 in Ägypten sogar noch einmal nachgelegt. Lula will etwas schaffen, das bislang noch keinem brasilianischen Staatsoberhaupt gelungen ist: eine NullAbholzungsstrategie umzusetzen.
Doch wie realistisch ist dieses Versprechen? Lulas eigene Umweltbilanz in seinen ersten Amtszeiten in den Jahren von 2003 bis 2011 ist – aus heutiger Sicht – durchwachsen. Er hatte damals eine Abholzungsrate von durchschnittlich etwa 15.600 Quadratkilometern pro Jahr zu verantworten. Der momentan noch amtierende Präsident, der international isolierte Rechtspopulist Jair Bolsonaro, kommt in seinen ersten drei Amtsjahren auf etwa 11.405 Quadratkilometer (2019 bis 2021, die Zahlen für das gesamte Jahr 2022 liegen noch nicht abschließend vor). Der kleine, aber entscheidende Unterschied ist die Tendenz: Lulas Zahlen gingen ab dem dritten Regierungsjahr nach unten, Bolsonaros Zahlen von Beginn an nach oben.
Marcelo Rocha, Aktivist der Bewegung „Fridays for Future Brasilien“, sieht im Gespräch mit unserer Redaktion die Chance für eine Kehrtwende und stellt fest: „Wir kommen von einer
Regierung Bolsonaro, die Brasilien von internationalen Partnern entfernt hat, die den Amazonas-Fonds ablehnte, die sich internationalen kollektiven Aktionen verweigerte. Wir hatten an Glaubwürdigkeit verloren. Lulas Auftritt vor der Klimakonferenz war deshalb sehr wichtig.“
Lulas hohe Abholzungsquote ist seiner ersten Amtszeit geschuldet, als er mit aus heutiger Sicht apokalyptischen 25.396 (2003), 27.772 (2004) und 19.014 Quadratkilometern (2005) begann, also sogar mehr als doppelt so viel wie heute unter Bolsonaro abgeholzt wurde. Damals setzte Lula alles auf die Karte Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Die „New York Times“kommentierte jüngst: „In Lulas erster Amtszeit trug Chinas unersättlicher Appetit auf brasilianische Sojabohnen, Eisenerz, Öl und Fleisch dazu bei, ein schnelles Wachstum anzuheizen, das Brasilien bis 2012 zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt machte.“
Die Weichen für die ökonomisch so erfolgreiche Agrar-Industrie und die Erdölförderung in Brasilien wurden damals gestellt. Unmittelbar nach den Wahlen gab der Erdölkonzern Petrobras bekannt, dass die wohl dickste Erdölschicht in der Geschichte Brasiliens im Meeresboden 250 Kilometer vor der Küste von Rio de Janeiro gefunden wurde. Die BBC kommentierte deswegen vor wenigen Tagen: „Das Öl kann zur ‚Achillesferse‘ von Lulas Umweltpolitik werden.“
Streng genommen muss Lula das von ihm einst mit aufgebaute Wirtschaftsmodell Brasil ganz neu erfinden. Dass das möglich ist, davon ist zum Beispiel Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, fest überzeugt: „Mit Präsident Lula hat Brasilien jetzt die Chance, wegzukommen von einer Wirtschaft,
Svenja Schulze Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die auf Waldzerstörung basiert. Brasilien kann ein Powerhouse für nachhaltige Landwirtschaft und eine der führenden Nationen der neuen grünen Wasserstoffwirtschaft werden“.
Bei der Weltklimakonferenz in Ägypten ließ Lula nun zum ersten Mal erste Details durchblicken: „Wir werden keine Anstrengungen scheuen, die Entwaldung und den Verfall unserer Ökosysteme bis 2030 auf null zu bringen.“Interessant dabei: Lula will nach eigenen Angaben nur noch eine Amtszeit regieren, Ende 2026 wäre er 81 Jahre. Die Umsetzung dieses Jahrhundertversprechens kann und will Lula also nur einleiten, vollenden muss sie dann die Präsidentschaft 2026 bis 2030.
Für Lula sprechen zwei Fakten: die deutliche Reduzierung der Abholzung während seiner zweiten Amtszeit (2007 bis Ende 2010) und der Versuch, die Klimaschutzkonferenz Cop im Jahr 2025 in den brasilianischen Amazonas holen zu wollen. Dann wird er angesichts seines weltweit gefeierten Versprechens Erfolge vorweisen müssen, er setzt sich also selber unter enormen Erfolgsdruck. „Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Vorschlag, weil er der Dimension des Problems gerecht wird“, sagt Aktivistin und Lula-Unterstützerin Rafaela Albergaria, die ebenfalls in Ägypten war, zu einer möglichen Konferenz im Regenwald. „Die Schaffung eines Ministeriums für indigene Völker ist ein sehr wichtiger Schritt in die Richtung der angekündigten Politik.“
Allerdings: Lula hat in der Vergangenheit auch mal gegebene Umweltversprechen gebrochen. Die ökologischen Langzeitfolgen des von ihm im Jahr 2010 genehmigten gigantische Amazonas-Staudamms Belo Monte, für den Tausende Indigene ihre Heimat verlassen mussten, offenbaren sich mehr und mehr. Und dass sich Lula im Privatjet eines Multimillionärs und Parteispenders zur Weltklimakonferenz nach Ägypten fliegen ließ, zeigt, dass den Worten noch nicht die richtigen Gesten folgen.
„Brasilien kann eine der führenden Nationen der neuen grünen Wasserstoffwirtschaft werden“